Meinung

Massenproteste in Deutschland und der geheuchelte Antifaschismus staatlich vereinnahmter "Linker"

Tausende protestierten am Tag der Deutschen Einheit gegen die Sanktions- und Verarmungspolitik der Ampel-Regierung. Eigentlich wäre das ein Spielfeld der Linken. Doch die, die sich so bezeichnen, standen zum Beispiel in Leipzig – wieder mal und weit entfernt von links – auf der Gegenseite. Für die Herrschenden ist das ein willkommenes Verwirrspiel.
Massenproteste in Deutschland und der geheuchelte Antifaschismus staatlich vereinnahmter "Linker"Quelle: www.globallookpress.com © Jan Woitas

Von Susan Bonath

"Arbeiterverräter – Rüstungsvertreter!"

"Arbeiterverräter – Rüstungsvertreter!": Mit diesem Slogan empfingen Tausende Demonstranten "für Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung" am 3. Oktober in Leipzig angeblich "linke" Gegendemonstranten mit "Antifa"-Fahnen, deren Schlachtrufe sich weitgehend in "Nazis raus!" erschöpften und deren Aktion darin bestand, sich auf die Straße zu setzen und die Großdemonstration zu blockieren.

Der Slogan war berechtigt, denn – mal abgesehen davon, dass man nicht in Köpfe schauen kann und dass es früher durchaus schon mal weniger eindeutig war – eine Nazidemo sieht definitiv anders aus, klingt anders und distanziert sich beim Auftakt auch nicht, wie in Leipzig, minutenlang unter Beifall von Rassismus und Faschismus. Auf der Demo protestierte und redete das normale Volk, gewöhnliche Lohnabhängige, die nicht mehr wissen, wie sie die explosive Verteuerung ihrer Grundbedürfnisse noch bewältigen sollen.

Propagandisten unter falscher Flagge

Wenn selbst erklärte Linke unter dem Symbol des Antifaschismus stramm an der Seite des Staats gegen die geschröpfte Arbeiterklasse demonstrieren, weil sie dort – wie inzwischen üblich – den einen oder anderen Rechten vermuten, ist gewaltig etwas faul. Dann stimmt der politische Kompass nicht mehr, und eine Propaganda-Armee des Staats agiert eindeutig unter falscher Flagge.

Dann haben sich da Gruppen unter dem Deckmantel "links" auf der Seite der Herrschenden positioniert: gegen die Geschröpften, für Krieg und Waffenlieferungen in die Ukraine, also ein Land, in dem das 2014 an die Macht geputschte Regime Staatskult um den SS-Kollaborateur Stepan Bandera und seine massenmordenden Kumpane betreibt und russischsprachige Ukrainer unterdrückt. Sie stehen auch für repressive Corona-Maßnahmen, staatliche Überwachung, Gesinnungskontrolle und so weiter. Das ist das genaue Gegenteil von links.

Denn Linke stehen per Definition für die Gleichwertigkeit aller Menschen, gegen Ausbeutung und Unterdrückung, und damit zwangsläufig gegen die kapitalistische Klassenherrschaft. Das schließt eine Kollaboration mit Staat und Kapital eigentlich aus und erfordert selbst unter widrigen Bedingungen Solidarität mit den Unterdrückten. Um es mit den Worten des deutschen Sozialphilosophen Max Horkheimer zu sagen:

"Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen."

Horkheimers Gedanken stützen sich auf das Naheliegende: Faschismus entsteht nicht mal eben aus Langeweile, etwa, weil ein paar Arbeiter falsche Gedanken haben. Faschismus benötigt die Klassengesellschaft, in der eine Klasse die andere unterdrückt sowie eine Krise, welche erstere dazu veranlasst und es ihr ermöglicht, den Unterdrückungsapparat zu brutalisieren.

Verbandelt mit Staat und Politik

Dass vermeintliche Linke unter falscher Flagge zu Verkündern staatlicher Propaganda werden, ist keine neue Entwicklung, die in ganz Deutschland und anderen Ländern, vor allem des Westens, zu beobachten ist. Das Geschehen und die Akteure in Leipzig am 3. Oktober, weitgehend mitgefilmt vom Onlineportal Infrarot (Teil 1 und Teil 2), bieten aber einen guten Einblick und lassen den Grund erahnen: finanzielle und ideologische Vereinnahmung durch staatliche und staatsnahe Institutionen.

Organisator der angeblich "antifaschistischen" Gegendemonstrationen war das "Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz". Auf ihrer Webseite bleiben die Akteure vage. Man arbeite mit "zahlreichen Partnern aus zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Zusammenhängen" zusammen, heißt es dort etwa. Doch diese Partner sind nicht irgendwer, sondern zum Beispiel politische Parteien, wie die Grünen, die SPD und Die Linke. Das geht unter anderem aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom November 2020 hervor, wo es, ganz im Sinne des staatlichen Repressionsapparats, gemeinsam "gegen Querdenker" ging.

Die Spenden, von denen das Netzwerk seine Aktionen finanziert, sammelt der Verein "Bon Courage" aus Borna im Landkreis Leipzig ein. Dieser bekommt auch staatliche Unterstützung und gilt als fester Bestandteil der kommunalen sozialen Infrastruktur im Rahmen einer "lokalen Partnerschaft", unter anderem bei der – durchaus löblichen – Betreuung Geflüchteter.

Die Akteure von "Leipzig nimmt Platz" und Co. sind also fest eingebunden in staatliche Institutionen und Strukturen, agieren gemeinsam mit Vertretern von Parteien, die aktuell auf Bundesebene Hauptprotagonisten der Kriegs-, Sanktions- und Verarmungspolitik sind. Und sie sind angewiesen auf Spenden und staatliche Förderungen. Sie sind nicht unabhängig, im Gegenteil, und werden kaum in die sprichwörtliche Hand ihrer Förderer beißen.

Faschismus braucht Staat und Kapital

Nun ist Faschismus, gegen den sich die Demonstranten unter der Antifa-Flagge angeblich wehren, eine Regierungsform im Kapitalismus. Er kann historisch und gegenwärtig nicht losgelöst vom Staat betrachtet werden, mit dem die vermeintlichen Linken zusammenarbeiten.

Im Gegenteil: Unterstützt von diversen Großkonzernen, Banken oder einzelnen Oligarchen erlangten Faschisten in der Geschichte stets die Staatsmacht – sei es durch Wahlen, Absprachen in Regierungskreisen oder durch einen militärischen Putsch. Von Letzterem muss man etwa, als aktuellstes Beispiel, mit Rückblick auf die Maidan-Proteste in der Ukraine sprechen.

Die historisch immer wieder belegte Unterstützung von an die Macht strebenden Faschisten durch diverse Kapitalfraktionen spricht dafür, dass der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff mit seiner Faschismus-Theorie wohl nahe an der Wahrheit lag. Er definierte Faschismus nach der Machtergreifung der deutschen Nazis 1933 als "terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals". Kommen soziale Destabilisierung und drohende Verarmung bis hinein in die Mittelschichten hinzu, scheint auch der gesellschaftliche Boden für Faschismus geebnet.

Heuchelei von Demokratie und Antifaschismus

Sich der nationalen Vergangenheit bewusst, gebärdeten sich deutsche Regierende gern als eiserne Bekämpfer von Neonazis. Die aktuelle Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP legt dabei verbal noch eins drauf: Überschwänglich schwadroniert sie von ihrer eigenen Demokratie, ordnet alles, was sie selbst als "Hetze" bewertet, dem Rechtsextremismus unter und verspricht gesetzliche Gegenwehr.

Nun sind "Demokratie" und "Hetze" äußerst unklare Rechtsbegriffe. Man kann einen waffenliefernden Corona-Maßnahmenstaat, der Impfunwillige repressiven Maßnahmen aussetzt, genauso als Demokratie schön reden, wie man jegliche Kritik am Staat als "rechtsextrem" oder "nazistisch" verunglimpfen kann.

Genau das praktiziert bereits der deutsche Inlandsgeheimdienst in seinem Bericht für das Jahr 2021 mit der Einführung des neuen Begriffs: "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Mit anderen Worten: Jeder, der die Politik oder Behörden in unliebsamer Weise kritisiert, könnte demnach als Staatsfeind verfolgt werden. Mit Demokratie hat das nicht viel zu tun.

Der vermeintlich heroische Kampf des deutschen Staates gegen den Faschismus straft sich selbst ständig Lügen. Wer offen SS-Symbole tragende Nazis und eine den SS-Kollaborateur Stepan Bandera verehrende Regierung in der Ukraine als Demokraten lobt und mit Waffen beliefert, die nachweislich in großen Mengen auf die Zivilbevölkerung vor allem im Donbass gefeuert werden, ist alles mögliche, nur kein Antifaschist.

Auch in der Vergangenheit deckte der deutsche Staat immer wieder gewalttätige, rechtsextreme, faschistische und rassistische Strukturen. Man erinnere sich an das "Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980, dessen Aufklärung maßgeblich Politik und Geheimdienste verhinderten, sowie den angeblich erst 2011 aufgeflogenen NSU, bei dem es ganz ähnlich lief. Man erinnere sich an die staatliche Verweigerung, die mutmaßlichen Morde an Oury Jalloh, Mario Bichtemann und Hans-Jürgen Rose im offenbar von rechtsextremen Strukturen durchsetzten Dessauer Polizeirevier aufzuklären, um nur einiges zu nennen.

Man könnte es vielleicht so zusammenfassen: In Zeiten schwerer ökonomischer Krisen liebäugelten und liebäugeln kapitalistische und imperialistische Regierungen immer wieder mit dem Faschismus (neuerdings auch mit einem etwas "seichter" daher kommenden Totalitarismus) als repressivem Überbau. Insbesondere mit Blick auf die NATO-Staaten unter Führung der USA und ihrer Unterstützung der ukrainischen Nazis erscheint es daher logisch, dass ihr angeblicher Kampf gegen Rechtsextremismus pure Heuchelei ist. Offenkundig braucht der Imperialismus die Faschisten in der Hinterhand.

Mit Dauerpropaganda umgarnt und vereinnahmt

Die schleichende Entwicklung zu totalitären Staatsformen im vermeintlichen "Hort der Demokratie" des Westens ist unübersehbar. Die digitale Revolution ermöglicht der herrschenden Klasse dabei nicht nur die Totalüberwachung der Bevölkerung, sondern auch ihre umfassende Manipulation mit einem riesigen Propaganda-Apparat, in den Funkhäuser, Zeitungsverlage und Social-Media-Konzerne fest integriert sind.

Zur Staatspropaganda gehört freilich auch das Märchen vom angeblichen Kampf der "Guten" gegen "Bösewichte", also Nazis, mit ständig wiederholten, vor bürgerlicher Pseudomoral nur so triefenden Dauerbekundungen gegen Rassismus und sonstige Menschenfeindlichkeiten.

Im Klartext: Ein Staat, der nicht straffällige Flüchtlinge gern nach Hautfarbe sortiert in Asylknäste sperrt, Waffenlieferungen zum Töten von Zivilisten in alle möglichen Regionen pumpt, Hunderttausende Obdachlose in der Gosse verrotten lässt und Hartz-IV-Beziehern das Existenzminimum wegsanktioniert, nur zum Beispiel, rühmt sich allen Ernstes des Antifaschismus. So viel Dreistigkeit muss man erst mal aufbieten.

Doch irgendwie hat dieser Staat es mit seiner Dauerpropaganda geschafft, den Glauben an den Westen als angeblichen Hort von Demokratie und Menschenrechten sogar bei einer Vielzahl selbst erklärter "Linker", denen es offensichtlich an grundlegender politischer und historischer Bildung fehlt, zu verfestigen. So brüllen diese heute – völlig absurd – der Arbeiterklasse plump "Nazis raus!" entgegen, wie am 3. Oktober in Leipzig. Die Verwirrung über die politischen Lager dürfte riesig sein – aber auch das ist wohl politisch beabsichtigt.

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