Meinung

Der Mann, der die USA drängte, im Irak einzumarschieren, und später seinen Fehler zugab

David Kay, ein erfahrener Waffeninspekteur, der durch seine Lobbyarbeit vor dem US-Kongress den Vorwand für die Invasion in den Irak 2003 untermauerte, war trotz allem ein Mann mit Integrität – und dafür gibt es einen guten Grund.
Der Mann, der die USA drängte, im Irak einzumarschieren, und später seinen Fehler zugab© https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/64/DavidKay.jpg

Ein Nachruf von Scott Ritter

Bekannt für seinen aggressiven Inspektionsstil und seine festen Ansichten über die Einhaltung der Abrüstungsverpflichtungen durch den Irak, zeigte David Kay am Ende seiner Laufbahn seine wahre Charakterstärke, indem er der Weltöffentlichkeit gegenübertrat und sie mit der Tatsache konfrontierte, dass alle in Bezug auf den Vorwand für die Invasion in den Irak 2003 falschlagen.

Als ich Mitte September 1991 in New York ankam, waren Waffeninspektoren der Sonderkommission der Vereinten Nationen (UNSCOM) seit Mai 16-mal vor Ort im Irak gewesen. Die meisten Inspektionen wurden gemäß demselben Schema durchgeführt, das aus der US-Erfahrung bei der Umsetzung des Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) hervorgegangen war.

Dieses Schema kam im Grunde einer Vereinbarung unter Ehrenmännern gleich, bei dem die eine Seite ausführlich die Orte aufzeigte und die Materialien erklärte, die Gegenstand des Abkommens zur Erteilung der Inspektionsbefugnis waren – im Fall des Irak war dies die Resolution 687 des Sicherheitsrates, verabschiedet im April 1991, mit der die Gründung der UNSCOM und ihre Abrüstungsmission angeordnet wurde. Die andere Seite erklärte sich bereit, die Vollständigkeit der Angaben zu überprüfen und die Zerstörung und Entsorgung der betreffenden Materialien in einer Weise zu überwachen, mit der die Souveränität und Würde der inspizierten Partei respektiert wurde.

Aber es gab einige bemerkenswerte Ausnahmen die von diesem Schema abwichen. Als der Irak der UNSCOM seine Erklärung über die eigenen Bestände an verbotenen chemischen, biologischen, nuklearen und ballistischen Langstreckenraketen vorlegte, waren viele Nationen, die diese Erklärung überprüften, verblüfft über das, was in dieser Erklärung nicht eingeschlossen war – der Irak hatte jede Beteiligung an der Entwicklung von nuklearen oder biologischen Waffen geleugnet und seine Fähigkeiten bei chemischen und ballistische Langstreckenraketen erheblich heruntergespielt. Der US-Geheimdienst hatte Beweise für die Existenz umfangreicher Anlagen ermittelt, sogenannte Calutrone, die vom Irak zur Anreicherung von Uran verwendet wurden und diese Anlagen wurden vom Irak nicht deklariert.

Im Juni 1991 hatte ein Inspektionsteam der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), das unter der von der UNSCOM erteilten Autorität operierte, eine Inspektion einer Einrichtung im Irak durchgeführt, in der Calutrone von Satelliten des US-Geheimdienst entdeckt worden waren. Das Team, angeführt von einem erfahrenen Waffeninspekteur namens David Kay, hatte den von den US-Geheimdiensten identifizierten Ort aufgesucht, war jedoch drei Tage lang nicht in die Einrichtung gelassen worden. Als das Team schließlich Zugang erhielt, war nichts mehr vorzufinden– alle Anlagen waren von den Irakern heimlich abtransportiert worden.

Die US-Satelliten lokalisierten einen Konvoi von Fahrzeugen, die mit den Calutronen beladen waren, in einem Militärlager westlich von Bagdad. Das Inspektionsprotokoll verlangte vom Inspektionsteam, die Iraker im Voraus über die Absicht zu informieren, wann und wo das Inspektionsteam eine Inspektion durchführen wollte. Dieses Mal jedoch führte Kay sein Team zu dem vorgesehenen Ort, ohne den Irakern zuvor Bescheid zu geben. Bei ihrer Ankunft wurde das Team von bewaffneten Wachposten daran gehindert, das Gelände zu betreten. Zwei Inspekteure kletterten auf einen nahe gelegenen Wachturm, wodurch sie Einsicht in die Anlage bekamen. Sie beobachteten, wie die irakischen Lastwagen auf der Rückseite des Lagers wegfuhren, und gaben dies per Funk an den Rest des Teams weiter. Ein Fahrzeug des Inspektionsteams nahm die Verfolgung des Konvois auf und erreichte bald fast 100 Lastwagen, von denen einige mit den Calutronen beladen waren, die von den Irakern in ihrer Eile, das Lager zu verlassen, nicht sorgfältig abgedeckt worden waren. Während der Fahrt an der Seite der Lastwagen machten die Inspekteure Dutzende von Fotos, bevor sie von irakischen Soldaten mit Warnschüssen aufgehalten wurden.

Der Schaden war angerichtet. Eine lange diplomatische Pattsituation zwischen den Inspekteuren und dem Irak endete, als der UN-Sicherheitsrat damit drohte, den Einsatz militärischer Gewalt zu genehmigen. Letztendlich musste der Irak zugeben, dass er ein nicht deklariertes Programm zur Anreicherung von Uran betrieben hatte, leugnete jedoch, dass diese Bemühungen irgendetwas mit einem Atomwaffenprogramm zu tun hatten. Bei einer Nachinspektion im darauffolgenden Juli konnte Kay genügend Ungereimtheiten und Indizien aufspüren, die zusammen mit Ergebnissen aus detaillierten forensischen Untersuchungen und Analysen auf die Existenz eines Waffenprogramms hindeuteten.

Im September führte Kay ein weiteres Team zur Inspektion in den Irak. Diese Inspektion war anders – anstelle von Inspekteure der IAEA und Nuklearspezialisten bestand das Team aus einer großen Anzahl von US-Spezialeinheiten und paramilitärischen Agenten der CIA, die in der Kunst der Ausspähung sensibler Standorte geschult waren – kurz gesagt darin, wie man versteckte Dokumente und andere Materialien auf einem Werksgelände entdeckt. Ausgestattet mit präzisen Informationen, die von irakischen Überläufern stammten, war das Team von Kay in der Lage, ein Archiv mit sensiblen Dokumenten über Nuklearforschungen zu entdecken, darunter einige, die die Existenz eines Atomwaffenprogramms bewiesen. Kays Team nahm diese Dokumente in Besitz, wurde jedoch von bewaffneten irakischen Wachen daran gehindert, das Gelände zu verlassen. Diese Pattsituation wurde live im Fernsehen übertragen, wobei Kay durch seine zahlreichen per Satellitentelefon geführten Interviews ein bekannter Name wurde.

Nach einigen Tagen gaben die Iraker nach, ließen die Inspekteure und die Dokumente ziehen und waren erneut gezwungen, ihre Erklärung zu ihrem Nuklearprogramm zu überarbeiten und die Existenz eines Atomwaffenprogramms zuzugeben. Der Mann, der praktisch im Alleingang für dieses Resultat verantwortlich war, war Kay.

Mein allererster Kontakt mit Kay war, als ich als diensthabender Offizier der UNSCOM diente und mit ihm ein Telefongespräch führte. Später, als er zu Konsultationen nach New York kam, hörte ich zu, wie er die Mitarbeiter der UNSCOM über die Vorgänge im Irak informierte, aber ich war zu schüchtern, diese mittlerweile legendäre Figur anzusprechen. Das hohe Ansehen Kays erwies sich jedoch als zu viel für die schwerfällige Bürokratie der IAEA, und bald darauf verließ er die Organisation, um ruhigere Gewässer im zivilen Leben zu finden.

Inzwischen war mein eigenes Ansehen als Inspekteur gewachsen. Im Sommer 1992 wurde ich in meine eigene Konfrontation mit dem Irak verwickelt. Das Team, das ich zusammengestellt hatte und in dem ich als Einsatzleiter diente, geriet in eine tagelange Konfrontation mit dem Irak, der uns den Zutritt zu einem Ministerium und seinem Archiv verweigerte, in dem Unterlagen zu Programmen zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen gelagert wurden.

Im darauffolgenden Herbst konzipierte, organisierte und leitete ich zwei Inspektionen, die dazu beitrugen, die Wahrheit über die nicht deklarierte ballistische Raketentruppe des Irak aufzudecken. Später übernahm ich die Führung bei der Untersuchung der sogenannten Verschleierungsmechanismen des Irak, die angewandt worden waren, um Informationen und Material bei Inspektionen zu verbergen. Bei der Durchführung dieser Missionen wurden die von mir geleiteten Teams oft in schwierige Konfrontationen mit irakischen Behörden und Sicherheitskräften verwickelt, die oft eine Intervention des Sicherheitsrates nötig machte.

Nach meinem Austritt aus der UNSCOM im August 1998 war ich aufgrund meiner siebenjährigen Tätigkeit als Leiter der UNSCOM-Inspektionen im Irak davon überzeugt, dass die Bestände an Massenvernichtungswaffen im Irak weitgehend geklärt waren und dass nichts von Bedeutung übrig geblieben war. Kay hingegen, der auf der Grundlage seiner persönlichen Erfahrung handelte, verfolgte einen anderen Ansatz und beschuldigte den Irak, Massenvernichtungswaffen vor den Inspekteuren verborgen zu haben, die seiner Meinung nach der Aufgabe, den Irak in einem angespannten Umfeld zu entwaffnen, einfach nicht gewachsen waren.

Als Verantwortlicher für die Konzeption und Umsetzung der Methoden, Technologien und Taktiken, die von der UNSCOM eingesetzt wurden, um den Bemühungen des Irak entgegenzuarbeiten, nahm ich Anstoß an Kays Verunglimpfung der von mir und meinem Team geleisteten Arbeit und beobachtete mit wachsender Frustration, wie er in der Lage war, den US-Kongress und die Massenmedien erfolgreich dazu zu bewegen, seine Sichtweise zu übernehmen – dass der Irak weiterhin erhebliche Mengen an Massenvernichtungswaffen besitzt und diese Tatsache eine Bedrohung darstellt, die eine militärische Intervention der USA rechtfertigt.

Durch Kays Lobbyarbeit, dessen Glaubwürdigkeit als ehemaliger Inspekteur unanfechtbar war, konnte die Regierung von Präsident George W. Bush den US-Kongress dazu bringen, grünes Licht für eine Invasion in den Irak zu geben, die dann im März 2003 auch stattfand. Kurz nach dem Zusammenbruch des irakischen Widerstands wurde Kay im April als Leiter einer von der CIA geführten Organisation namens Iraq Survey Group (ISG) ernannt, die mit der Suche nach den irakischen Massenvernichtungswaffen beauftragt wurde.

Während viele, die mit Kays Biografie vertraut sind, seine Zeit als IAEA-Inspekteur als die erfolgreichste seiner Karriere bezeichnen, habe ich eine andere Sicht darauf. Ende 2003 wurde Kay mit der beängstigenden Realität konfrontiert, dass die irakischen Massenvernichtungswaffen, mit deren Auffinden er beauftragt war und von deren Existenz er felsenfest überzeugt war, in Wahrheit nicht existierten. Angesichts dieser harten Realität trat Kay von seiner Position als Leiter der ISG zurück und hatte bei einer Anhörung vor dem Kongress im Februar 2004 den Mut und die Integrität zuzugeben, dass sich bezüglich der Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen "herausgestellt hat, dass wir uns alle geirrt haben, und das ist höchst beunruhigend".

David Kay ist am 12. August 2022 im Alter von 82 Jahren verstorben.

Ich werde ihn für immer als jenen Mann in Erinnerung behalten, der mich, als kampferprobten ehemaligen Marineinfanteristen, im Herbst 1991 allein durch seine Anwesenheit und seinen Ruf einschüchtern konnte, und trotz unserer Meinungsverschiedenheiten über die Disposition irakischer Massenvernichtungswaffen als einen Mann mit der Integrität, sich hinzustellen und für seinen Fehler zur Rechenschaft ziehen zu lassen.

Kay wird für mich immer der Inbegriff leibhaftiger und moralischer Tapferkeit bleiben. Das ist etwas, wovon die Welt in diesen schwierigen Zeiten mehr brauchen könnte. Jetzt, da er weg ist, wurde diese Welt zu einem Ort, die einen solchen Charakter weniger hat.

Übersetzt aus dem Englischen

Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie und Autor von "SCORPION KING: America's Suicidal Embrace of Nuclear Weapons from FDR to Trump". Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Man kann ihm auf Telegram folgen.

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