Meinung

"Nein, die Erde ist flach!" Polen nimmt zwanghaft eine konträre Position zu allem Russischen ein

Polen spielt eine Schlüsselrolle im Ukraine-Konflikt. Warschau ist von allen westlichen Führungen Moskau gegenüber am feindseligsten gestimmt – trotz der über tausendjährigen Geschichte der Nachbarschaft mit den Russen. Das wird für Polen Folgen haben.
"Nein, die Erde ist flach!" Polen nimmt zwanghaft eine konträre Position zu allem Russischen einQuelle: www.globallookpress.com © Artur Widak/ ZUMAPRESS/ Global Look Press

von Elem Rasnochintski

Hat man das große Glück, der wunderschönen und melodischen, polnischen Sprache mächtig zu sein und sich einer regelmäßigen Presseschau ihrer zu unterziehen, wird einem angst und bange, wie weit die Wirklichkeitsverzerrung in den dortigen Medien greift. Da ist es bedauerlicherweise egal, ob man sich die Publikationen polnischer Thinktanks durchliest oder die Tages- und Wochenzeitungen durchblättert. Der Ton variiert ein wenig, aber die Analyse bleibt sehr eng auf eine strenge NATO-Perspektive geschnürt: Russland ist und bleibt für die polnische Führung "Mordor", das spätestens seit 2014 "für die Polen keinen Partner mehr darstellt", wie der Sprecher des Außenministeriums Łukasz Jasina am Dienstag in einem Interview mit dem konservativen Sender Telewizja Republika erklärt hat. Außerdem hat er Wladimir Putin auch noch einen "Verbrecher" genannt, was in der EU aber heutzutage schon zum guten Ton gehört.

Alles, was mit eher leichterer Kost zu tun hat und täglich gesendet und publiziert wird, bedient sich dem selbstgefälligen Motto "wir, die Polen, die Russland nie als Partner sahen, haben es euch ja gesagt". Die Ukraine hätte, so der polnische Konsens, außer ein paar einzelner Ausnahmen keinerlei rechtsextreme Elemente. Sogar in konservativen, sonst sehr geschichtsbewussten Medienplattformen, wie wPolityce oder Niezależna, werden die Mitglieder des Asow-Bataillons als die heldenhaften "Verteidiger Mariupols" dargestellt. Gazeta Polska arbeitet ein wenig gründlicher und merkt sogar an, dass das Asow-Bataillon durchaus etwas "hinter den Ohren hat", wenn es um eine Affinität zum Nationalsozialismus geht. Trotzdem wird es sehr spielerisch dargestellt, indem man den Soldaten von Asow eine fast kindliche Unbeholfenheit attestiert, die die "bösen Putinisten" für ihre grausame Propaganda gegen die Ukraine missbrauchen. Fazit: Die Mörder vom Asow-Bataillon sind der arme "Sündenbock", den der Kreml unbarmherzig ausnutzt, um sich einen medialen Vorteil zu schaffen im Informationskrieg. Wie man es auch dreht, der Russe ist immer schuld und von hinterhältigen Beweggründen besessen.

In polnischen Zentren der Meinungsbildung – sei es Unterhaltung, Bildung, Politik – ist die aufmüpfig konträre Position zu allem Russischen so abstrus geworden, dass wenn Moskau in einer Pressemitteilung behaupten würde, die Erde sei rund, aus Warschau ein hastiges, schrilles Kreischen ertönen würde: "Nein, die Erde ist flach. Zum Angriff!"

Es wird nicht einmal die Vermutung zugelassen, dass Russland auch mal in gewissen Aspekten Recht haben  beziehungsweise eine gute Begründung haben könnte, Geschichte und politische Prozesse anders auszuwerten und aufzuarbeiten. Wenn die Polen das Stichwort "NATO-Osterweiterung" im Kontext einer Bedrohung der russischen Sicherheit hören, kommt bei ihnen nur weißes Rauschen an. Das ist klar, sind doch eben die Polen die beglückten Subjekte gewesen, die im Rahmen der ersten Washingtoner Versprechensbrüche gegenüber Moskau mit einem breiten Grinsen in die NATO eingesaugt wurden. Auf diesem Auge ist Warschau vollkommen blind und sieht "NATO" als Synonym für "Neutralität". Stattdessen wird von den Polen die Imperialisten-Keule gegen Russland geschwungen.

Framing ist alles: "Selbst wenn der Russe Recht hat, lügt er"

Ein Bericht des Political Capital namens "Russian soft power in Poland – The Kreml and pro-Russian organizations" (auf Deutsch: "Russische Soft Power in Polen – Der Kreml und pro-russische Organisationen") aus dem Jahr 2017 versucht zu beschreiben, wie die Russen vermeintlich versuchen, die öffentliche Meinung in Polen zum eigenen Vorteil zu ändern. Dafür benutzt der Bericht schnell erkennbare rhetorische Mittel, wie den verschwommenen Begriff "Wolhynien-Tragödie", statt es einen Völkermord oder zumindest ein "Massaker" zu nennen. Dies geschieht, um das Framing zu erreichen, dass es die Russen allein sind, die versuchen, die Polen und Ukrainer zu "zerstreiten". Das heißt, wenn jemand in Polen zu sehr auf dieser mutmaßlich unaufgearbeiteten, schauderhaften Episode in der Geschichte beider Länder pocht, beteiligt er sich faktisch an russischer Propaganda.

Alle Meinungen in Polen, die auch nur eine halbwegs wohlwollende Perspektive auf die russische Sicht haben, werden als minderbemittelte, fremdbestimmte, Kreml-finanzierte Übeltäter denunziert. Dazu gehört der betagte EU-Skeptiker, Anti-Etatist und Libertäre, Janusz Korwin-Mikke, der für seine gleichmütige, pragmatische und neutrale Position gegenüber Moskau regelmäßig an den Pranger gestellt wird.

Gesponsert wurde dieser "unvoreingenommene" und "neutrale" Bericht vom US-amerikanischen National Endowment for Democracy (NED) - was gleichbedeutend ist mit einem ausgehungerten Wolf, den man in den Stall schickt, um die Hennen zärtlich zu umsorgen. Die Kollegen aus dem Außenministerium der Volksrepublik China haben eine gründliche Zusammenfassung der Machenschaften und Arbeitspraktiken des NED verfasst. Ironischerweise wäre für die Forscher und Spin-Doktoren vom Political Capital der gegenwärtige Artikel auch pure russische Propaganda, die nicht einmal mit einem Funken Wahrheit hantiert.

Prognosen für Polen

Das stolze und durchaus auch historisch mutige Volk schlendert geradewegs in die Schlachtbank, die früher oder später – vielleicht auch erst nach einem Zusammenbruch der heutigen EU – in eine europäische Technokratie führen wird, in der das Aufrechterhalten oder die Rückkehr "polnischer Souveränität" auf der Prioritätenliste ganz weit unten liegen wird.

Ein polnischer Widerspruch ist besonders anschaulich, erscheint aber für das angeblich konservativ-katholisch regierte Polen als das ungelöste 3D-Rätsel des Jahrhunderts: um jeden Preis Teil des Westens sein zu wollen, während derselbe Westen rasch im hedonistischen Materialismus zu versinken beginnt. Am besten wird dies illustriert am Tweet des Chefs des britischen Geheimdienstes MI6, Richard Moore, der zu Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine, am 25. Februar 2022, Folgendes postuliert hatte:

"Angesichts der Tragödie und der Zerstörung, die sich in der Ukraine abspielen, sollten wir uns an die Werte und die hart erkämpften Freiheiten erinnern, die uns von Putin unterscheiden, insbesondere die Rechte von LGBT+. Lasst uns also unsere Reihe von Tweets zum #LGBTHM2022 fortsetzen."

Das Europa der Zukunft und seine höchsten Werte – so wie es sich die jetzigen Eliten in Washington, Brüssel, London, Berlin und Paris ersehnen –, sollen unwiderruflich an das inhärent faschistische LGBTQ+-Paradigma gekoppelt werden. Das konservativ-katholische Polen versteht verblüffenderweise heute noch nicht, dass es bald an einer dramatischen, zivilisatorischen Gabelung ankommen wird. In Prinzipien der Sitten, Tugenden und Gesellschaftsmoral sind die Polen den Russen so nah, aber dank der langwierigen Kontrolle der US-amerikanischen Hegemonie doch so fern.

Auch empfanden die Polen nie eine Voreiligkeit bei den eigenen Beitrittsgesuchen in die NATO oder EU. Man bedenke zuerst, dass die polnische Nation während der Nazi-Politik der aggressiven “Lebensraum-Erweiterung” die Ermordung von jeweils drei Millionen ihrer jüdischen und drei Millionen ihrer ethnisch polnischen Zivilbevölkerung in Kauf nehmen musste.

Dann ist es dieselbe NATO nämlich, die sich Adolf Heusinger, einen hochgestellten und einflussreichen Nazi-General, von 1961 bis 1964 als Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses zulegte. Dieselbe NATO auch, die im Jahr des Polen-Beitritts, also 1999, Jugoslawien bombardierte. Wie ausgeprägt musste damals schon die kognitive Dissonanz bei den polnischen Eliten sowie dem Volk gewesen sein, während eines völkerrechtswidrigen NATO-Krieges innerhalb Europas, parallel und mit großem Elan selbigem "Verteidigungsbündnis" beizutreten? Zu guter Letzt, dieselbe NATO, die heute die Erben der ukrainischen Verbrecher aus der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), das Asow-Bataillon und andere, mit aller Kraft unterstützt und zu "Freiheitskämpfern" stilisiert hat. Dieselbe UPA, die in den Jahren 1943–1944 das bestialische Massaker von Wolhynien an der polnischen Zivilbevölkerung verübte, bei dem bis zu hunderttausend Menschen auf grausamste Weise umgekommen sind. Selbst die dort stationierten deutschen Militärs waren vom Grad des angewandten Horrors verblüfft, was schon etwas heißen muss.

Auch die EU hat eine mit Hakenkreuzen leicht befleckte Weste. Zum Beispiel der de-facto-Vorgänger der heutigen Frau Ursula von der Leyen: Nazi-Leutnant, Gelehrter und später der erste Vorsitzende der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Walter Hallstein. Es ist ulkig anzuschauen, wie die akademischen Sprachrohre der BRD Hallstein – als ihren noblen "EU-Gründungsvater", mit Mühe und Not als "Nicht-Mitglied der NSDAP oder SA" kennzeichnen möchte. Gleichzeitig war Herr Hallstein nun mal aber auch ein "Nationalsozialistischer Führungsoffizier", betraut mit der Aufgabe der Indoktrinierung und Schulung junger Geister, die im Militärapparat der Nazis massenhaft mit Hass programmiert wurden. Selbst der Wikipedia-Artikel ist wenig beschönigend in der Beschreibung der Pflichten und Aufgaben eines solchen "NS-Führungsoffiziers". Interessiert die Polen aber kaum. Hauptsache, der versprochene EU-Bürgersteig ist endlich gelegt und der Feind "Russland" steht stramm in alle Ewigkeit.

Der Elefant im Raum namens "Vatikan"

Eine weitere Blase für die Polen, die niemals platzen darf, ist die Katholische Kirche. Besonders aber der Vatikan als Epizentrum – ein korrupter, uralter, machiavellistischer, politischer Machtkörper. Um das Image des Vatikans zu polieren, ist eine seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch nie dagewesene Medienkampagne aufgefahren worden. Eine bis heute laufende, gut geölte Schadenskontrolle, die bewirkte, dass nicht nur die Polen, sondern auch die Deutschen und die meisten anderen Länder nicht die leiseste Ahnung haben von den politischen Verbrechen des Vatikans. Zum Beispiel vom Genozid an orthodoxen Serben während des Zweiten Weltkrieges auf dem Gebiet des Nazi-besetzten Jugoslawien. Wen diese wichtigen, aber verschleierten Geschichtsetappen interessieren, sollte sich das Werk des Historikers Avro Manhattan durchlesen.

In Büchern wie "The Vatican’s Holocaust", "The Vatican in World Politics" oder "Catholic Imperialism and World Freedom" restauriert er die verlorene Chronik der äußerst motivierten und ambitionierten Katholischen Kirche, die eigentlich alle militärischen Massenbewegungen in Europa unterstützte und instrumentalisierte, die als ihr Endziel den orthodoxen Osten und Südosten sahen. Damit sind natürlich vor allem Serbien und Russland gemeint, beziehungsweise für die Jahre 1922 bis 1991 die Sowjetunion. So kam die katholische Unterstützung der Nazis gegen die Sowjetunion unter dem oberflächlichen Schleier des "Kampfes gegen den atheistischen Kommunismus" sehr gelegen. Dafür hat man auch den ewig-katholischen Außenposten namens "polnische Republik" gerne regelmäßig ausbrennen lassen.

Da weiter oben die NATO-Bombardierung bereits angesprochen wurde, zu deren Zeit sich die Polen an ihren Mitgliedsplatz durchgedrängelt haben, sei auch Manhattans Sachbuch namens "Terror Over Yugoslavia : The Threat to Europe" aus dem Jahr 1953 empfohlen. Darin gelingen dem Forscher unabdingbare Einsichten in die komplexen Verwirrungen der Region und wie sich der Vatikan aggressiv Gelegenheiten schuf, die dortige christlich-orthodoxe Bevölkerung zu terrorisieren – über Zwangskonvertierungen, Mord und Genozid. Es ist keine leichte Kost, aber der Autor belegt seine Thesenführung mit historiografischen Nachweisen und Fotos. Es ist die Überzeugung des Autors dieses Artikels, dass die US-orchestrierte Zerschlagung Jugoslawiens in den 1990er Jahren noch besser zu verstehen ist, wenn das Buch von Manhattan und die Arbeit Michael Parentis, "To Kill a Nation: The Attack on Yugoslavia", nacheinander gelesen werden.

Die Polen, die zwar heldenhaft gegen den Hitlerfaschismus kämpften, werden mal wieder die Letzten sein, die all diese Punkte miteinander verbinden und die bitternötigen Schlüsse ziehen werden – wenn überhaupt.

Wie viele andere Länder auch – ausgenommen Deutschland – hat die polnische Republik eine sehr tief ausgebildete Erinnerungskultur. Nur ist diese halt extrem selektiv und nach regionaler Priorität aufgebaut. Der dazugehörige Opfer-Kult ist nie weit weg, da dieser bereits früh gepflanzt wurde und durch National-Poeten wie Adam Mickiewicz tief in die Kultur und Volksidentität eingeprägt wurde. Das Konzept heißt "Polska, Chrystus narodów" (zu Deutsch: "Polen, der Christus unter den Völkern") und entstammt der polnischen Romantik. Es besagt weiter, dass Polen im Zuge der drei Teilungen im 18. Jahrhundert für alle anderen Völker leidet. Dieses Leiden soll irgendwann auch zur Erlösung aller Völker führen. Außer den Protestanten und Russisch-Orthodoxen natürlich, da diese laut irgendeiner Papst-Bulle mit dem Anathema belegt wurden.

Bei all dem Selbstmitleid, zeitweise sogar Wehleidigkeit, ist den polnischen Eliten – die für die Erinnerungskultur verantwortlich sind – das Leiden der orthodoxen Christen dabei völlig egal, ob zu Zeiten von Gogols "Taras Bulba", der Russischen Revolution oder wann auch immer. Darin waren die Polen leider nie sehr gut, das durchaus echte, legitime Leiden anderer Völker nachzuvollziehen und im Kontext zu betrachten. Die Verluste der über 30 Millionen sowjetischen Menschen im Kampf gegen den deutschen Hitlerfaschismus während des Zweiten Weltkrieges sind den Polen als Ereignis auch nicht genug, um Empathie walten zu lassen. Immerhin verlief diese blutige Schlacht, nach der sie ihr freies Polen nach 1945 nicht erhalten haben, in großen Teilen auf ihrem Gebiet.

Nur so kann man sich erklären, dass es in den letzten Jahren kaum eine organisierte Stimme in Polen gab, die den Krieg des Kiewer Regimes gegen die Menschen des Donbass in den Jahren 2014 bis 2022 jemals verurteilt hatte. Ganz zu schweigen davon, dass die Polen zutiefst ignorant gegenüber dem "Morgenländischen Schisma" sind, das wie ein blutiges Schwert direkt durch die heutige Ukraine hin und her streift und schneidet. Sie nahmen diesen geopolitisch-kulturellen Zwischenspeicher voller ohnehin schon blutiger Wunden nicht ernst und trampeln bis heute auf ihm herum. Eben dieser Pufferraum, den sich die römisch-katholische und die orthodoxe Welt – früher offen, heute im Verborgenen – teilen, wurde vom Westen in den letzten 30 Jahren offensiv penetriert. Ab ungefähr 2014 lagen die Karten offen auf dem Tisch für die, die die Augen hatten zu sehen. 

Polen hätte es besser wissen müssen und trägt besondere Schuld und Verantwortung an der blutigen Zerrissenheit der heutigen Ukraine und allen Folgen, die damit gewiss einhergehen. 

Mehr zum Thema - Polnischer Spielfilm über Wolhynien-Massaker und Gräueltaten ukrainischer Nationalisten sorgt für Empörung in Kiew

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.