Meinung

Kissingers Angebot an die Ukraine: Der Westen ist außer Atem – und stellt Russland noch eine Falle

Das umstrittene Angebot vom Urgestein der US-Diplomatie Henry Kissinger an die Ukraine hat zweierlei Bedeutung. Erstens geht dem Westen bei dessen Krieg an allen Fronten gegen Russland die Puste aus, insbesondere bei dem mit ukrainischem Blut in der Ukraine geführten. Zweitens aber ist das Angebot ebenso eine Falle für Russland.
Kissingers Angebot an die Ukraine: Der Westen ist außer Atem – und stellt Russland noch eine FalleQuelle: Sputnik

von Daniil Bessonow 

In den ukrainischen Medien gibt es immer weniger enthusiastische Ausrufe in der Art "Die russische Operation ist kurz vor dem Absaufen, und wir [die Ukraine] werden von einer Minute auf die nächste in die Gegenoffensive gehen". Derlei hurrapatriotische Rhetorik der ukrainischen Propagandisten wurde von Äußerungen einer ganz anderen Stimmung verdrängt.

Erst kürzlich hatte der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba die Lage für die ukrainischen Streitkräfte im Donbass öffentlich als "außerordentlich schlecht" eingestuft. Und nur wenig später unterzogen sowohl Selenskijs Berater Alexei Arestowitsch als auch der ukrainische Präsident selbst den US-Politiker Henry Kissinger denkbar härtester Kritik, weil der auf dem Gipfel in Davos in seiner Botschaft die Ukraine zu Zugeständnissen aufgefordert hatte. Selenskij lehnte solches kategorisch ab: "Harte Kompromisse", wie die westlichen Medien sie für die Ukraine skizzierten, seien völlig inakzeptabel. Arestowitsch drückte das "Niveau" der Kommentare noch tiefer, gar bis zum Gebrauch der russischen Vulgärsprache, dem sogenannten Mat.

Er gab eine Wertung der Aktionen der westlichen Verbündeten der Ukraine ab, indem er den vielen mehr oder minder wohlmeinenden Ratgebern aus Europa und den USA aus der Gosse bekannte Sexualpraktiken anriet und sie als Personen bezeichnete, denen ... wie soll man das nur milde ausdrücken ... Versuche jeglicher intellektueller Betätigung der einfachsten Art bislang nur wenig glücken wollten. Gleichzeitig finden wir im Internet immer wieder Erklärungen ukrainischer Soldaten der Landwehren und der freiwilligen Territorialbataillone (sprich: der rechtsextremen Milizen), die mittlerweile den Kampfeinsatz verweigern, Berichte über den unerlaubten Rückzug einiger Einheiten aus ihren Stellungen oder aber – umgekehrt – auch Berichte, denen zufolge die eine oder eine andere Einheit eingekesselt sei und gar nicht mehr ausbrechen könne.

Die Fassade der ukrainischen Propaganda, die zugegebenermaßen eine Zeit lang erfolgreich standhielt und die eine gewisse Überlegenheit zu demonstrieren suchte, die solche Überlegenheit überall projizierte – selbst wenn davon dort weit und breit keine Spur zu erkennen war –, diese Propagandafassade hat schließlich Risse bekommen. Ein unablässiger Strom von Wehklagen im Tenor von "Alles ist hin!" ergoss sich durch die Ukraine und fließt nunmehr unaufhaltsam. So tauchte jüngst im Internet ein Video auf: Es zeigt ausländische "Freiwillige", die in Sewerodonezk feststecken. Emma Igual von der Organisation "Road to Relief" erklärte gegenüber ukrainischen und proukrainischen Medien, ihr selbst sei alles klar: Sewerodonezk werde nicht mehr lange zu halten sein.

Auch in den Kreisen der ukrainischen Propagandisten sind zunehmend spärlicher gesät die bravourösen Sprüche darüber, wie toll doch alles ist. Dergestalt aus dem Gleichgewicht gebracht wurden sie auch durch die Kapitulation des Nazi-Regiments "Asow" im metallurgischen Komplex "Asow-Stahl" in Mariupol, wie ferner auch von der Unmöglichkeit, jene Pläne der verbündeten Kräfte der Russischen Föderation und der Volksrepubliken Donezk und Lugansk zu vereiteln, die Gruppierungen der ukrainischen Streitkräfte im Donbass auf ähnliche Weise in vielen kleinen Kesseln "lokal" zu isolieren und scheibchenweise zu umstellen.

Aber um auf Kissingers "Einsicht" zurückzukommen, möchte ich anmerken: Leute wie Professor Igor Panarin mit seiner Einschätzung von Kissingers Initiativen haben Recht, und zwar absolut Recht. Mit Zugeständnissen vom Westen darf man auch bei Kissinger nicht rechnen – sondern es sieht viel eher nach einer Falle aus.

Die Sonderoperation muss vielmehr konsequent zu Ende geführt werden und die NATO muss zu ihrer Position Stand Jahr 1997 zurückgedrängt werden – andernfalls wird Russland an den Fronten wie auf der internationalen Arena nur eine sehr vorübergehende Entlastung erfahren. Und zwar so kurz, dass nicht einmal Zeit bleibt, diesen flüchtigen Moment zu genießen.

Kissingers Vorstoß als solcher zeigt jedoch eben auch: Der Westen sucht nach Möglichkeiten, den Konflikt vorerst auszusetzen. Die ständigen milliardenschweren Finanzspritzen für die Ukraine haben die Wirtschaft sowohl der Europäischen Union als auch der Vereinigten Staaten spürbar geschwächt, während ihre selbst ersonnenen antirussischen Sanktionen nicht allein zum Wirtschaftskollaps in einigen der eigenen Länder, sondern sogar zu Hungersnöten weltweit führen könnten. Es ist also keineswegs allein die ukrainische Durchhalte-Propaganda, die da eine Niederlage erleidet.

Sondern bald werden auch die europäischen Medien dem plötzlichen unerwarteten ukrainischen Beispiel folgen müssen, um an "guten" Erklärungen für ihre Bürger zu feilen – dafür nämlich, weshalb diese Bürger wegen der Hilfe für die Ukraine auf einmal und fürderhin das Doppelte für Grundnahrungsmittel, Heizung oder Treibstoff bezahlen müssen. Das wird genauso schwer, wie etwa den Ehefrauen der ukrainischen Mobilisierten erklären zu wollen, wie gut man es doch jetzt bei der ukrainischen Armee habe und welche tollen Haubitzen von den US-Amerikanern oder Italienern es im Arsenal nun gebe. Wenn ihre Ehemänner unterversorgt und schlecht bewaffnet im Kessel feststecken oder als Deserteure in Untersuchungshaft sitzen, funktioniert auch solche Propaganda von Arestowitsch nicht mehr.

Mehr zum Thema – Goebbels wäre neidisch: Westliche Medien verkaufen Asow-Kapitulation als "Evakuierung"

Übersetzt aus dem Russischen

Daniil Bessonow ist Erster Stellvertretender Minister für Information der Volksrepublik Donezk. Er absolvierte im Jahr 2005 die Akademie des ukrainischen Innenministeriums und war im Gebiet Kiew als Jurist tätig. Im April 2014 zog er, mit der Politik Kiews nach dem Staatsstreich nicht einverstanden, nach Donezk um. Er nahm am Beginn des Ukraine-Konflikts unter dem Funknamen "Goodwin" an den Kämpfen um Slawjansk, Aufklärungsstreifzügen und der Kampfausbildung von Milizionären teil. Neben seiner Funktion im Informationsministerium der DVR führt er auch einen inoffiziellen Kanal auf Telegram, wo er Kommentarartikel (eigene und die anderer Autoren) sowie Nachrichten aus verschiedenen Quellen teilt. Außerdem schreibt er auch Kommentare exklusiv für RT.

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