Kein Platz für andere Meinungen: Wochenzeitung "Freitag" kündigt Moskau-Korrespondenten
Ein Kommentar von Anton Gentzen
"Sehr geehrter Herr Heyden, Sie sind seit vielen Jahren ein Autor des Freitags und es gibt viele Stücke, die Sie für uns geschrieben haben und die ich schätze."
So fängt der Brief des Chefredakteurs der Wochenzeitung und Online-Nachrichtenplattform Freitag, Philip Grassmann, an den in Moskau lebenden Ulrich Heyden an. Und in der Tat, seit 1992 schon ist Heyden freier Autor. Was folgt, ist allerdings kein Dankschreiben, keine Prämierung und keine Gehaltserhöhung. Es folgt ein Rausschmiss, der in seiner Begründung seit den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts einmalig sein dürfte – oder seit den Berufsverboten für Kommunisten in der Alt-BRD.
Weiter heißt es in dem Schreiben, das Ulrich Heyden am Donnerstag in seinem Freitag-Blog veröffentlichte:
"Allerdings habe ich kein Verständnis für Ihre Positionierung zum Ukraine-Krieg. Es gibt eine Vorgeschichte zu diesem Krieg – ja. Aber der Westen trägt keine Mitverantwortung an diesem Krieg. Das war Putins alleinige Entscheidung. Es handelt sich auch nicht um eine Intervention Russlands, sondern um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Sie sehen das anders und das ist Ihr gutes Recht. Aber ein Autor mit dieser Haltung hat keinen Platz im Freitag – zumindest nicht solange, wie der Ukraine-Krieg dauert oder seine politischen Auswirkungen das Geschehen in Europa dominieren."
Konsequenzen für die Ausübung eines "guten Rechtes" dürften ein neues Wort im modernen Arbeits- und Dienstrechts sein. Zumal Ulrich Heyden nach eigenem Bekenntnis keineswegs die Auffassung vertritt, die Grassmann ihm unterstellt. In seiner ebenfalls veröffentlichten Antwort schreibt Heyden:
"Sie schreiben über meine 'Positionierung im Ukraine-Krieg'. Aber bitte wo habe ich mich 'positioniert'? Auf welche Veröffentlichungen beziehen Sie sich genau? Ich habe mich nirgendwo so geäußert, wie Sie es in Ihrem Brief formulieren. Bezeichnenderweise haben Sie auch kein einziges direktes Zitat von mir gebracht."
Der Chefredakteur der Wochenzeitung "der Freitag", Philip Grassmann, will keine Artikel mehr von mir im "Freitag" drucken. Warum, kann man hier lesen: https://t.co/XmMYi3xcGX
— Ulrich Heyden (@uheyden) March 23, 2022
Den Unterschied zwischen ihm selbst und dem journalistischen Mainstream in Deutschland sieht Heyden vielmehr darin, dass er sich mit der Verurteilung des russischen Vorgehens zurückhält, weil es in Russland Heuchelei und ein weiterer Fall des doppelten Standards des Westens sei:
"Ja, es war ein Angriffskrieg und er war völkerrechtswidrig. Aber ich würde mich niemals öffentlich hinstellen und in diesen deutschen Chor einstimmen. Denn dieser Chor hat etwas extrem Heuchlerisches. Denn wo waren die lauthalsen Bekenntnisse zur Verletzung des Völkerrechts bei den Angriffskriegen der USA und der NATO und der Beteiligung der deutschen Luftwaffe beim Krieg gegen Serbien?"
In der Tat gab es weder während des NATO-Luftkriegs gegen Jugoslawien, dessen Beginn sich am 24. März zum 23. Mal jährte, noch während des von unwahren Tatsachenbehauptungen begleiteten völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der USA und deren "Koalition der Willigen" keinerlei Kündigungen oder Publikationsverbote gegen Journalisten oder Juristen, die das Vorgehen der USA und der NATO rechtfertigten. Ganz im Gegenteil: Die Befürworter des amerikanischen und transatlantischen Vorgehens dominierten bald die öffentlichen Debatten.
Das Völkerrecht wurde damals auch an deutschen Hochschulen und in deutschen Redaktionsstuben eiligst umgeschrieben, indem zuerst ein "Recht der humanitären Intervention" und später das "Recht der präemptiven Selbstverteidigung" (Wo sind die USA und wo der Irak? Und andererseits, wo die Ukraine und wo Russland?) erfunden. Repressionen und berufliche Nachteile hatten damals eher die Journalisten und Juristen zu fürchten, die die USA kritisierten.
Will jemand behaupten, dass es heute anders wäre, wenn die USA einen weiteren völkerrechtlichen Krieg vom Zaun gebrochen hätten? Dass alle Flugverbindungen über den Atlantik gestrichen und alle Geschäftsbeziehungen abgebrochen, amerikanische Waren boykottiert und amerikafreundliche Journalisten gekündigt worden wären. Wirklich?
Die derzeitigen Vorgänge, glaubt auch Heyden, haben mit einer gesellschaftlichen Debatte nichts mehr zu tun. Sie sind vielmehr Indiz einer Kriegsmobilisierung:
"Die öffentliche Rede vom 'russischen Angriffskrieg' dient meiner Meinung nach ausschließlich der Formierung der deutschen Nation auf einen (alten) äußeren Feind und dem Einschwören auf das größte deutsche Rüstungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg."
Im Jahr 2022 zeigt sich, dass die Entnazifizierung Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg sich nur auf den antisemitischen Aspekt der deutschen Variante des Faschismus beschränkte. Die russophoben und antikommunistischen Wurzeln des deutschen Nationalsozialismus blieben unangetastet und tragen jetzt in der Generation der Enkel und Urenkel neue Blüten und Früchte. Der Fall Heyden ist da nur ein Beispiel unter vielen.
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RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.