Meinung

Sergei Karaganow: Geht nicht um Ukraine – Russlands historische Lektion im Umgang mit der NATO

Sergei Karaganow, Politikexperte und Ehrenvorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik der Russischen Föderation, erklärt in einem Gastbeitrag für RT, wie Russland aus seinen vorherigen Schwächen im Umgang mit der NATO eine Lektion gelernt hat.
Sergei Karaganow: Geht nicht um Ukraine – Russlands historische Lektion im Umgang mit der NATOQuelle: Sputnik © Sergei Awerin

Die russischen Truppen nahe der ukrainischen Grenze werden nicht in das Land einrücken. Dies wäre einfach sinnlos. Die Aneignung von Land, das bereits von seinen antirussischen und korrupten Eliten verwüstet wurde, ist eine der schlimmsten Varianten, vor der Moskau stehen könnte.

Stattdessen ist es wahrscheinlich, dass diese Truppen dort stationiert sind, um einen weiteren Angriff auf die selbsternannten Donbass-Republiken zu verhindern. Wenn das passieren würde, würde Kiews Armee zerstört und die Überreste des bereits gescheiterten Staates würden wahrscheinlich zusammenbrechen. Wie das russische Militär bereits bestätigte, sind diese Truppen und weiteres militärisch-technisches Gerät vor Ort, um den Druck auf die Puppenspieler zu erhöhen – und nicht auf die Marionetten.

Russland kann sich auf seine beachtliche, stark ausgebaute militärische Macht verlassen, die ihm in Europa und in anderen Regionen von lebenswichtigem Interesse wahrscheinlich das verschaffen würde, was westliche Experten als Eskalationsdominanz bezeichnen. Wir wissen auch, dass Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, der den Block zur gegenseitigen Verteidigung verpflichtet, absolut hohl ist – lesen Sie ihn einfach – trotz eines Haufens von Versprechen. Und die USA würden unter keinen Umständen in Europa gegen eine Atommacht kämpfen und damit eine verheerende Reaktion im eigenen Land riskieren. Darüber hinaus steht Russland Rücken an Rücken mit China, was das militärpolitische Potenzial der beiden erheblich erweitert.

Nach wie vor lehnen die USA und die NATO die berechtigten Vorschläge Russlands ab, der NATO-Erweiterung, die in Moskau als absolut inakzeptabel angesehen wird und daher eine Gefahr für einen großen Krieg und den Einsatz von Offensivwaffen im östlichen Teil Mitteleuropas darstellt, ein Ende zu setzen und zum Status quo ante von 1997 zurückzukehren, als die Russland-NATO-Grundakte unterzeichnet wurde. Die US-Gegenvorschläge zu Gesprächen über vertrauensbildende Maßnahmen und Rüstungskontrolle klingen angenehm, sind aber weitgehend sinnlos. Wir haben das alles schon einmal gesehen. Das Vertrauen kann nur wiederhergestellt werden, wenn grundlegende Interessen Russlands berücksichtigt werden.

Wir sind auch mitschuldig an der Schaffung der aktuellen Vorkriegssituation, indem wir schwach waren und unseren westlichen Partnern vertrauten. Nicht mehr. Zudem wissen wir, wenn auch die NATO früher ein Verteidigungsblock gewesen war, ist sie nach der Bombardierung der Überreste Jugoslawiens, der Aggression der Mehrheit ihrer Mitglieder gegen den Irak, der Aggression gegen Libyen, wo sie Hunderttausende Tote hinterlassen hatte, zu einem aggressiven Block degeneriert, der ganze Regionen verwüstet.

Die NATO ist keine unmittelbare Bedrohung. Wir haben ihre Kampffähigkeiten in Afghanistan beobachtet. Aber wir sehen sie als ein gefährliches Virus, das Kriegslust verbreitet und daran gedeiht. Außerdem ist es offensichtlich, dass es umso gefährlicher werden könnte, je näher sie an unsere Grenzen kommt. Russland hat in der Vergangenheit alle europäischen Koalitionen zerschlagen, die versuchten, es zu besiegen. Die letzten beiden waren von Napoleon und Hitler angeführt. Aber wir wollen keinen weiteren Krieg. Auch wenn er nicht auf unserem eigenen Territorium stattfinden würde.

Das Sicherheitssystem in Europa, das nach den 1990er-Jahren weitgehend vom Westen geformt wurde, ohne dass nach dem Ende des vorausgegangenen Kalten Krieges ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde, ist gefährlich unhaltbar.

Es gibt einige Lösungen für das engstirnige Problem mit der Ukraine wie die Rückkehr zu einer dauerhaften Neutralität oder rechtliche Garantien mehrerer wichtiger NATO-Staaten, niemals für eine Erweiterung des Bündnisses zu stimmen. Diplomaten, nehme ich an, haben noch ein paar Weitere im Ärmel. Wir wollen Brüssel nicht demütigen, indem wir darauf bestehen, sein irriges Plädoyer für eine ergebnisoffene NATO-Erweiterung zurückzunehmen. Wir alle kennen das Ende der Demütigung von Versailles. Und natürlich sei die Umsetzung der Minsker Abkommen nicht zu vergessen.

Aber die Aufgabe ist umfassender: Ein lebensfähiges System auf den Ruinen der Gegenwart aufzubauen. Und natürlich ohne Einsatz von Waffen. Wahrscheinlich im erweiterten groß-eurasischen Rahmen. Russland braucht im Wettbewerb der Zukunft eine sichere und freundliche Westflanke. Europa ohne Russland oder sogar gegen Russland verliert rapide an internationaler Bedeutung. Dies wurde von vielen Menschen in den 1990er-Jahren vorhergesagt, als Russland eine Angliederung, nicht aber eine Integration in das System des Kontinents angeboten hat. Wir sind zu groß und stolz, um absorbiert zu werden. Unser Vorschlag wurde damals abgelehnt, aber es besteht immer die Möglichkeit, dass dies diesmal nicht der Fall sein wird.

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