Ist die Mutter aller Finanzblasen kurz vorm Platzen?

Der Finanzmarkt ist seit Wochen sichtlich in Aufruhr, manche seiner Zweige sogar im freien Fall. Die Erregung hat bereits einige unabhängige Experten weltweit ins Rampenlicht gerückt, die sogar von einer US-gespeisten ''Superblase'' sprechen.

Von Alexander Pałucki

Der Begriff der "Superblase" – zur Beschreibung des gegenwärtigen Stadiums der Weltwirtschaft – stammt vom Co-Gründer der Finanzberatungsfirma GMO ("Grantham, Mayo, & van Otterloo"), Jeremy Grantham. Der gelernte, britische Ökonom hat am 20. Januar auf seiner Firmenwebsite einen umfangreichen Essay, mit dem Titel "Let the wild rumpus begin" (zu Deutsch: "Lasst den wilden Tumult beginnen"), veröffentlicht. Die Publikation hat bereits einige Wellen in der Branche geschlagen.

Die Blasen der Vergangenheit

Zum Verständnis der Lage, in der sich der weltweite Finanzsektor vermeintlich befindet, zieht Grantham Geschichtsvergleiche heran. Laut dem Experten gab es lediglich fünf ähnlich prägnante Phasen in den letzten 100 Jahren. Dazu gehören der "New Yorker Börsencrash" aus dem Jahr 1929 sowie die "Dotcom-Blase" (auch genannt: "Internetblase") aus dem Jahr 2000. Zu dieser kurzen Liste gehört außerdem die 2006er US-"Immobilienblase". Wobei die japanische "Immobilienblase" wiederum grob auf das Jahr 1989 festgelegt werden kann. Diese war aber nur ein Unterkapitel in einer viel größeren, umfassenderen Blase, die in Japan das letztendliche Platzen der "Blasen-Wirtschaft" nach sich zog. Preise für praktisch alles wurden künstlich hochgehalten und geschützt, da Japans Wirtschaft per Staatserlass von Importen abgeschirmt war. Als Mitte der 1980er Jahre eine Deregulierung begann, traf der plötzliche, flächendeckende Preisverfall ein. Ab dem Jahr 1990 zählt der Beginn des sogenannten Zeitalters der "zwei verlorenen Dekaden". Mit dem Jahr 2010 gilt der Ausklang dieser wirtschaftlichen Epoche in Japan.

Der Begriff "Superblase"

Grantham ist vollkommen überzeugt, dass sich die Weltwirtschaft mittlerweile in einer sogenannten "Superblase" befindet. Mit der Einführung dieses Begriffs will der Experte auch einen Akzent zu den oben genannten, historischen Präzedenzfällen setzen. Er gibt in seinem Aufruf zu verstehen, dass nur die wenigsten seiner Warnung folgen werden, da Blasen und "Superblasen" üblicherweise von einer hoch-euphorischen Marktbeteiligung definiert sind, in der das Sentiment eines ewigen Aufwärtstrends und der Unglaube an ein Ende des Wirtschaftswachstums herrscht. Deshalb ist für die meisten Beobachter und Teilnehmer der Kollaps dann auch verheerend, so Grantham.

Warum handelt es sich konkret um eine "Superblase"? Heute vor einem Jahr war noch die Rede von einer singulären Blase, die sich allein auf den Aktienmarkt bezog. Diese wurde verursacht und weitergetrieben durch staatlich verordnete, hohe Anleihekurse sowie niedrige Zinsen. Stichwort: Regulation.

Wäre es dabei verblieben, so gäbe es dem nichts weiter hinzuzufügen und die Wirtschaft hätte zwar die "die üblichen Schmerzen" (Grantham) zu verkraften, aber eine Stabilisierung wäre noch zustande gekommen. Mittlerweile haben sich aber zwei weitere Blasen dazu gesellt, nämlich die im Rohstoff- und Immobilien-Sektor.

Grantham erklärt, dass dieser facettenreiche Ansturm mehrerer Wirtschaftsblasen, die sich zu einer einzigen zusammenschließen, Folgen von außerordentlichem Ausmaß haben werden.

Weshalb könnte die Expertise Granthams relevant sein?

Er spricht von Überschätzung, die zwar erst von den Entscheidern in der US Federal Reserve (US-amerikanische Zentralbank) und der US-Regierung praktiziert und verordnet wurde, dann aber im Folgenden ausgeweitet wird auf den Rest der Gesellschaft und den freien Markt. Das Konsumverhalten ändert sich, genauso wie die Bewertung der Dienstleistungen. Menschen verfolgen eine extrem verzerrte Vorstellung von einem illusorisch hohen Wohlstand, der kosmetisch aufrechterhalten wird von einer vorsätzlich schlechten Wirtschaftspolitik, wie Grantham beteuert.

Jede wirtschaftliche Blase, besonders "Superblasen", müssen früher oder später deflationieren, konstatiert der britische Ökonom. Sobald diese ruckartige Schrumpfung erfolgt, sind die Konsequenzen für den Großteil der Bevölkerung – sogar für die, die versuchten vorzusorgen – fatal. Sie können sich in einer schnell steigenden Arbeitslosigkeit, einem steil abfallenden Bruttoinlandsprodukt und einem Einbruch von Produktion und Dienstleistungen äußern. Letzteres auch deswegen, weil Verdienende aufgrund der wirtschaftlichen Ungewissheit ihr Konsumverhalten signifikant zurückdrehen. Auf diese Weise wird auch seitens der Bevölkerung die Zirkulation der Wirtschaft weiter abgebremst. In Zeiten einer solchen Rezession wollen Menschen, die zumindest etwas Geld besitzen, es nicht ausgeben. Diejenigen jedoch, die schon fast gar kein Geld besitzen, müssen alles davon ausgeben. 

Alle Vermögenswerte steigen weiterhin im Preis (z.B. Immobilien) und das mit einer außerordentlichen Rasanz, die die meisten Menschen in der Disziplin der Kapitalsicherung völlig disqualifiziert. Auch wird die US-amerikanische Einkommensschere von Grantham angeführt, die als Schablone auch repräsentativ für andere westliche Staaten ist. Demnach sei nun das Gehalt eines durchschnittlichen Vorstandsvorsitzenden heute das 250-fache seiner Angestellten, wohingegen es vor wenigen Jahrzehnten noch das 25-fache gewesen sei. Ein Prozess, der seit mindestens dem Jahr 1997 klar zu beobachten sei.

Jegliche Angriffe auf und Brüche innerhalb der repräsentativen US-Demokratie in der Zukunft seien direkt zurückzuführen auf die erhebliche Schlucht im Einkommen und Wohlstand, verursacht durch die jetzige "Superblase", legt Grantham dar.

Da die meisten Menschen sowieso auf Basis von geliehenem Geld leben und deren Kreditverträge in der Regel zu einer Zeit abgeschlossen wurden, die ewiges Wirtschaftswachstum voraussetzen, wird diese enorme, demografische Gruppe besonders von dieser Überschätzung betroffen sein. Vor allem, wenn die inflationäre Geldschöpfung, die Teil der – von Grantham genannten – "schlechten Wirtschaftspolitik" ist, in den letzten zwei Jahren nie dagewesene Proportionen erreicht.

Wie von uns bereits in einer früheren Publikation darauf hingewiesen, hat die US-Zentralbank bis Januar 2020 das Drucken von vier Billionen (Anmerkung der Red.: nicht "Milliarden") neuer US-Dollar-Einheiten veranlasst. Bis Oktober 2021 wuchs dies durch diesen hastigen Prozess auf zwanzig Billionen US-Dollar.

Grantham lässt auch eine Beobachtung massenpsychologischer Natur, die eine Endphase von großen Wirtschaftsblasen illustriert, nicht missen:

"Die wichtigste und am schwersten zu definierende Eigenschaft einer Blase im Spätstadium ist das rührselige Merkmal des verrückten Investor-Verhaltens. Aber in den letzten zweieinhalb Jahren haben wir zweifellos verrücktes Investor-Verhalten in Hülle und Fülle gesehen – mehr sogar als im Jahr 2000 – vor allem bei Meme-Aktien und Aktien aus dem Bereich der Elektrofahrzeuge, bei Kryptowährungen und NFTs."

Es sollte angemerkt werden, dass diese Einschätzung im Lichte des Versuches unternommen worden ist, die Klienten der privaten Finanzberatungsfirma GMO zu warnen. Es ist auch eine politische Positionierung, die explizit die Wirtschaftsentscheidungen Washingtons  der letzten Jahre wie auch Dekaden, sichtlich an den Pranger stellt.

Bitcoins Schicksal gekoppelt an eine "Dotcom-Blase 2.0"?

Der Bitcoin erscheint mittelfristig viele der oben genannten Prozesse einer "Superblase" widergespiegelt zu haben. Spekulationen über den wahrhaftigen, langfristigen Wert vom Bitcoin sind weiterhin im Gange: in einem Spektrum von 5.000 US-Dollar bis 150.000 US-Dollar und sogar 1.000.000 US-Dollar wird weiterhin alles besprochen. Jedoch sollte diese Gegenüberstellung auch stets die laufende Entwertung des US-Dollars berücksichtigen, die unabhängig voranschreitet.

Ähnlich wie zu Zeiten der "Dotcom-Blase" gibt es auch nun einen Überschuss an Firmen und Projekten, die alle behaupten, dem innovativen Blockchain-Markt einzigartigen Wert und einmalige Anwendungsmöglichkeiten zu bieten. Den Sturm aber, der dem Platzen der "Superblase" folgen wird, überdauern nur die wenigsten.

Der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Galaxy Digital Holdings, Mike Novogratz, verbrachte den Januar mit pragmatischen Prognosen, die einen stetigen Fall des Bitcoins annahmen. Da der Abwärtstrend seit dem Allzeithoch Anfang November 2021 (67.566 US-Dollar) zu beobachten ist, sind diese Aussagen keine große Enthüllung. Wichtig sind aber die Tiefs, die von Novogratz genannt wurden und die bei jeder späteren Äußerung noch niedriger angesetzt wurden.

Die letzte Schätzung Novogratzs betrug sich auf den Bereich 38.000 – 40.000 US-Dollar (34.150 Euro – 35.950 Euro).

Das Januartief von 33.240 US-Dollar (29.814 Euro) stellte einen Abfall von 43,34 Prozent beziehungsweise 27,26 Prozent gegenüber dem Vormonat (Dezember-Hoch: 58.667 US-Dollar; Dezember-Tief: 45.697 US-Dollar) dar. Der Bitcoin schließt den ersten Monat des neuen Jahres mit einem Preis von 37.900 US-Dollar ab. (Stand: 30. Januar 2022)

Ob der Bitcoin einen Ausnahmeweg eingeschlagen hat oder passives Subjekt der Makroprozesse der von Grantham prognostizierten, weltwirtschaftlichen "Superblase" verbleibt, ist unklar.

Jeremy Grantham schließt seinen vermeintlichen Appell unter anderem damit ab, dass er eingesteht, derzeit zu wenig von Kryptowährungen zu verstehen, als dass er diese bereits in diesem Wirtschaftszyklus schon als glaubwürdige und verlässliche Krisen- oder Inflationsabsicherung betrachten könne. Aber der britische Experte würde sich auch in jedem Fall von US-Aktien fernhalten. Er bevorzugt klassische Vermögenswerte, wie Gold, Silber oder Bargeld.

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