Kinder seit einem Jahr nicht in der Schule – Von Corona, Masken und der Berliner Verwaltung
Ein Kommentar von Dagmar Henn
Ist die Vorschrift wichtiger oder der Mensch? In der Vergangenheit wurde den Deutschen nachgesagt, in Richtung des ersten zu tendieren; eine kurze Zeit lang schien es so, als hätte das zweite eine Chance. Aber der Umgang mit den Coronaregeln deutet darauf hin, dass die Vorschriften abermals gewonnen haben.
Ein konkretes Beispiel dafür fand sich jüngst in Berlin. Der Fall einer Familie ging durch die Presse, deren Kinder seit einem Jahr nicht mehr in der Schule waren. Eines der drei betroffenen Kinder wird, da Autist, zu Hause beschult. Den anderen beiden wurde von den Schulen der Schulbesuch untersagt, da sie Masken und Testungen ablehnen. Inzwischen haben die Schulen längst Anzeigen wegen Kindeswohlgefährdung erstattet. Die ganze Geschichte droht zu eskalieren.
Nun liegen inzwischen, selbst in einem forschungsunwilligen Land wie Deutschland, andere Erkenntnisse zu COVID-19 vor als vor zwei Jahren. Man weiß inzwischen sicher, dass Kinder und Jugendliche eine Erkrankung nicht fürchten müssen, weil schwere Verläufe bei ihnen extrem selten sind. Damit ist im Grunde auch klar, dass die ganzen Vorgaben wie regelmäßige Tests, Maskentragen im Unterricht oder das Im-Kalten-Sitzen, weil die Hygieneregeln das Lüften erfordern, Maßnahmen sind, die zwar an den Kindern und Jugendlichen exekutiert werden. Aber dies geschieht nicht in deren eigenem Interesse, sondern bestenfalls in dem der anwesenden Lehrkraft.
Da ebenfalls klar ist, dass dieser Zustand bei den Kindern und Jugendlichen zu sozialen und psychischen Schädigungen führt, hätten diese Vorgaben längst beendet werden müssen. Aber nachdem inzwischen sogar das Impfen von Kindern angesagt ist und entsprechender sozialer Druck in den Schulen ausgeübt wird sowie das ganze Verhalten der verantwortlichen Politik vor allem darauf ausgerichtet scheint, nur keinen Fehler zuzugeben, haben diese Erkenntnisse keinerlei Auswirkungen auf den Lebensalltag. Die Zwänge bleiben.
Darüber wird nicht gesprochen, im Grunde jedoch verstößt diese Handhabung gegen eine der Grundregeln menschlicher Zivilisation. Der Schutz der Kinder hat normalerweise in einer Gesellschaft die höchste Priorität; es sind die Eltern, es ist die übrige Gesellschaft, die Opfer für das Wohl der Kinder bringt, nicht umgekehrt. Seit zwei Jahren werden Kinder und Jugendliche Regeln unterworfen, die ihren natürlichen Lebensbedürfnissen diametral entgegenstehen; die Kinderfeindlichkeit, die die deutsche Gesellschaft schon länger plagt, hat damit ganz neue Höhen erklommen. Doch eine Gesellschaft, die den Kindern nicht den Platz einräumt, der ihnen zusteht, ist langfristig nicht lebensfähig.
Der betroffene Vater beruft sich darauf, dass seine Kinder Tests und Masken ablehnen. Die Behörden berufen sich darauf, die Kinder würden nur der Meinung des Vaters folgen. Beides mag wahr sein. In Wirklichkeit dürfte es mindestens ebenso viele Kinder geben, die Tests und Masken nur über sich ergehen lassen, weil sie ihre Freunde treffen wollen, wie solche, die von einem Nutzen überzeugt sind. Eine eigenständige Ablehnung der Kinder kann nicht wirklich ausgeschlossen werden; und sollte das der Fall sein, entspräche das sogar dem im Kinder- und Jugendhilfegesetz niedergelegten Erziehungsziel zu selbständigem, verantwortungsbewussten Handeln.
Aber selbst unter der Annahme, sie würden der Überzeugung des Vaters folgen – muss daraus ein Konflikt resultieren, der bereits ein Jahr anhält? Der Vater sagt, er habe für seine beiden Kinder eine ärztliche Maskenbefreiung. Die Schulbehörde erklärte diese Maskenbefreiung für ungültig, weigert sich aber, dem Vater zu sagen, warum, und verweist auf das Gesundheitsamt. Das Gesundheitsamt sagt es ebenfalls nicht und teilt dem Vater mit, die Atteste seien in der Prüfung durch die Rechtsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung. Das bedeutet, nicht die medizinische Gültigkeit der Atteste wird überprüft, sondern die Ärztin, die die Atteste ausgestellt hat.
Nun gibt es immer kleine Schlupflöcher, die menschliches Handeln ermöglichen. Was wäre denn passiert, hätte die Schule die Atteste akzeptiert? Es gab zwei mögliche Reaktionen auf die Vorlage der Atteste. Die erste wäre gewesen, erleichtert aufzuseufzen und zu sagen, danke, damit kriegen wir die Kuh unauffällig vom Eis, die Kinder können wieder in die Schule kommen. Für die andere, die Atteste anzufechten und damit den Konflikt zu verlängern, gibt es nur eine denkbare Begründung – die Schulleitungen hatten Angst, dann noch viel mehr Atteste vorgelegt zu bekommen und die Vorschrift nicht mehr halten zu können. Das allerdings ist wieder ein Grund, der außerhalb des konkreten Falls liegt. Halt, nein, es gibt noch eine dritte Möglichkeit. "Vorschrift ist Vorschrift."
An manchen Stellen widersprechen sich die Akteure. Der Vater sagt, er habe angeboten, Spucktests mitzugeben; seine Ablehnung bezieht sich also nicht auf jede Form von Tests, sondern nur auf jene, bei denen Nasen- und Rachenabstriche gemacht werden. Die Schulen hätten dies abgelehnt. Die Schulen wiederum betonen, sie hätten angeboten, die Kinder in einem separaten Raum ohne Masken am Unterricht teilnehmen zu lassen, und das habe der Vater zurückgewiesen. Inzwischen will der Vater, dass seine Kinder Distanzunterricht erhalten, wie das beim dritten schulpflichtigen Kind möglich ist.
Im Hintergrund läuft derweil die Strafmaschinerie an, von Bußgeldern bis hin zu einer eventuellen Inobhutnahme. Womit natürlich die Behörden einer Wagenburgmentalität in der betroffenen Familie eher Vorschub leisten, statt den Konflikt zu deeskalieren. Denn am Anfang der Auseinandersetzung wäre es einfach gewesen, sollten die Kinder nicht aufgrund eigener Überzeugung Tests und Masken ablehnen, den Raum dafür zu öffnen, dass sie eine eigene Meinung finden und umsetzen können. Nun wurde inzwischen eine Lage geschaffen, in der eine pragmatische Lösung durch die Kinder einem Verrat am Vater gleichkäme. Dieser psychische Druck auf die Kinder ist völlig unnötig.
Wohlgemerkt, der Kern des ganzen Dramas ist die Umsetzung von Maßnahmen, deren Nutzen zweifelhaft, deren Schaden aber belegt ist. Auch wenn dieser Schaden eher im Bereich der psychischen und sozialen Folgen von Distanzgeboten und Masken zu suchen ist als im Bereich schädlicher Substanzen in den Masken selbst, wie der Vater der Kinder es vorträgt.
Vielleicht ist es ja das Protestantische, das die Berliner Behörden so hartleibig reagieren lässt. Katholiken haben mancherorts ein lockereres Verhältnis zu Regeln; man beugt sie auch mal, aus menschlicher Einsicht, schließlich kann man beichten. Oder es ist der letzte Rest preußischen Pflichtbewusstseins, der sich ausgerechnet im strafenden, nicht im leistenden Bereich der Verwaltung festgesetzt hat.
Die Senatsverwaltung für Bildung jedenfalls, die als Landesbehörde den Schulen gegenüber weisungsbefugt ist und sie durchaus hätte anweisen können, in solchen Konfliktfällen den Ball flach zu halten, deutete schon an, da seien womöglich "Jugendamt und dann auch die Gerichte gefragt." Gerichte allerdings wären nur in einer Hinsicht gefragt: Wenn das Jugendamt einen Antrag auf Entzug des Sorgerechts stellen würde. Weil Kinder oder ihr Vater Tests und Masken ablehnen.
Der Schaden, der der Gesellschaft durch die rigide Befolgung dieser zweifelhaften Maßnahme zugefügt wird, ist weit höher als jener, der ihr dadurch entstehen könnte, dass zwei Kinder ohne Tests und Masken am Unterricht teilnehmen. Die extremen Coronamaßnahmen, die Australien verhängte, führten zu weltweitem Spott, das Land kehre zu seinen Wurzeln als Sträflingskolonie zurück. Die Flut bürokratischer Vorgaben, die dank Corona über Deutschland hereinbrach, scheint ebenso dazuzuführen, dass der preußische Untertanenstaat seine Wiedergeburt erlebt. Nur ohne die in der ursprünglichen Version durchaus vorhandene Leistungsfähigkeit.
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