Ernährung unter Özdemir: Für die einen Hanf, die anderen noch schlechteres Essen
von Dagmar Henn
Cem Özdemir hat es endlich auf einen Ministerposten geschafft, und nun verkündet er, was ihm am Herzen liegt. Sein Rundumschlag zum Thema Ernährung und Landwirtschaft kollidiert an vielen Punkten mit der Wirklichkeit; schlimmer noch, er kollidiert mit Verhältnissen, die die Grünen mit geschaffen haben.
Beim ersten Punkt seiner Klage, die Deutschen ernährten sich zu ungesund, merkt man sogleich, dass er keine Erfahrung hat, wie sich mit wenig Geld lebt. Die Deutschen seien zu dick, pflaumt er das Publikum an, und weiß auch genau, warum: "Der Grund dafür sind zu viel Zucker, Fett und Salz, vor allem in Fertigprodukten."
Wenn man mal von Vitaminen und Spurenelementen absieht, basiert die menschliche Ernährung auf Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß. Dabei sind die Eiweiße der teuerste Teil; Hauptlieferant ist Fleisch. Kohlenhydrate und Fette sind, wenn man eine Relation zwischen Brennwert und Preis herstellt, deutlich billiger. Die Vitamine und Spurenelemente, die sich in Gemüse und Obst finden, sind ebenfalls teuer. Im wirklichen Leben hat das die Folge, dass Armut in der Regel zu einer proteinarmen, fett- und kohlenhydratlastigen Ernährung führt. Man kann das einfach im Supermarkt überprüfen.
Ja, diese Ernährung macht dick. So wie Stress dick macht, den es zur Armut umsonst obendrauf gibt. Aber die Lösung für ein Problem, das vor allem durch zu wenig Geld entsteht, ist nicht, die Produkte teurer zu machen.
Wobei Özdemir nicht nur Zucker und Fett, sondern jeden Nahrungsbestandteil verteuern will. Das Fleisch nicht, weil die Esser zu dick sind, sondern wegen des Tierwohls, und Gemüse und Getreide, weil er 30 Prozent Bioanbau fordert. Damit wird einfach alles teurer. Das wird natürlich nicht damit enden, dass Ärmere gesünder essen, sondern damit, dass die Qualität ihrer Nahrung noch schlechter wird, billigeres Brot gekauft werden muss und die Zahl der Tage des Monats, an denen es nur Nudeln mit Soße gibt, weiter steigt; wie das endet, kann man in den USA sehen; aber der grünen Moral wird Genüge getan.
Dass Fertigprodukte viel Salz und Fette enthalten, hat einen simplen Grund. Mit Salz und Fetten kann man den Geschmack eines minderwertigen Produkts verbessern. Wenn den Herstellern vorgeschrieben wird, den Fett- und Salzgehalt ihrer Produkte zu senken, heißt das noch lange nicht, dass die Qualität steigt. Es heißt erst einmal schlicht, dass das Produkt schlechter schmeckt. Weil die Geschmacksinformation dann die wirkliche Qualität unverhüllt mitteilt.
Özdemir, der sich sicher öfter eine gute Flasche Wein in teuren Restaurants gönnt, kann natürlich auch nicht wissen, dass Naschwerk von den vielen käuflich zu erwerbenden Genüssen jener ist, der auch noch mit schmalem Geldbeutel erreichbar ist, und auch Genuss ein menschliches Bedürfnis ist, das nicht verschwindet, nur weil man sich die edleren Varianten nicht leisten kann. Solche Überlegungen setzen Empathie voraus. Wie viel Empathie die Grünen für den ärmeren Teil des Landes haben, dürfte seit ihrer Mitwirkung bei Hartz IV bekannt sein.
Aber Özdemir hätte sich zumindest vor der Erhebung seiner Forderung, alles Essbare zu verteuern, beim statistischen Bundesamt erkundigen können, wie die Entwicklung der Lebensmittelpreise zurzeit aussieht. Dank CO2-Steuer und anderer Widernisse sind sie nämlich in diesem Jahr bereits deutlich gestiegen, ganz im Gegensatz zu Renten und Sozialleistungen übrigens. Und für das kommende Jahr sind weitere Preissteigerungen vorausgesagt. Weil die CO2-Steuer noch einmal steigt, weil die Produktion von Kunstdünger energieintensiv ist, aber der Gaspreis hoch, weil auch der Diesel für landwirtschaftliche Maschinen teurer wird und anderes mehr. Özdemirs Pläne würden da noch eins draufsatteln. Das wird wahre Begeisterungsstürme auslösen. Und habe ich schon gesagt, dass die Ernährung der ärmeren Bevölkerungsteile dann noch schlechter wird?
30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche soll ökologisch bewirtschaftet werden; augenblicklich sind es zehn. Das klingt nach einem edlen Ziel. Nur – wer soll die dort angebauten Produkte kaufen? Und was soll dort angebaut werden? Tatsächlich sind große Teile der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland üble Monokulturen, und zwar mit Raps, Mais oder Getreide. Und nicht für den menschlichen Verzehr. Nein, das wird alles zu Biomasse und landet dann im Sprit oder wird zu Strom, etwa fünf Gigawatt. Für die landwirtschaftlichen Produzenten lohnt sich das, weil wenig Arbeitskräfte gebraucht werden, was wiederum damit zu tun hat, dass hier relativ hemmungslos Herbizide eingesetzt werden können; schließlich isst das ja niemand. Und die Subventionen sind vergleichsweise großzügig. Für die Energiewende.
Dass inzwischen 80 Prozent der pflanzlichen Nahrungsmittel importiert werden müssen, hat auch damit zu tun. Die Arbeitsbedingungen auf jenen Flächen, auf denen tatsächlich Gemüse oder Obst angebaut werden, Erdbeeren und Spargel etwa, sind in letzter Zeit auch etwas bekannter geworden. Arbeitsintensive Teile der Landwirtschaft sind nämlich Saisonarbeit.
Wenn man rückblickend sehen will, welche Lebensverhältnisse dadurch entstehen, greift man am Besten zu italienischen Klassikern wie "Bitterer Reis" oder Bertoluccis "1900". Der Grund, warum die Arbeitskräfte heute vor allem Arbeitsmigranten sind, ist, dass Löhne, die ein ganzjähriges Leben in Deutschland ermöglichen würden, nicht gezahlt werden können. Der von Özdemir angestrebte Anteil von 30 Prozent Bioanbau wäre nur erreichbar, wenn entweder noch mehr Arbeiter unter unwürdigsten Bedingungen beschäftigt würden (auch spanische Bioerdbeeren werden so gepflückt) oder wenn sich die gesamten Verhältnisse auf dem Land wieder in die Richtung ändern, dass sich die Bevölkerungsbewegung in die Städte umkehrt.
Das würde allerdings nicht nur ganz andere Löhne voraussetzen, sondern zusätzlich die Wiederangleichung der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land, Kultur und Bildung mit einschließen. Wie man am Beispiel der DDR sehen kann, geht das nur, wenn der Staat beträchtliche Mittel in diese Angleichung investiert; kaum anzunehmen unter der Ampel, die sich in der Vergötterung der schwarzen Null einig ist. Aber wer will schon nachdenken müssen, ehe er plappert. Özdemir weiß ja, woher er die Abnehmer für seine Bioprodukte nehmen will. In öffentlichen Einrichtungen soll die Verpflegung mehr regionale und Bioprodukte beinhalten. Ganz moralisch meint der Landwirtschaftsminister: "Der Staat muss da Vorbild sein."
Eine nette Idee. Die hatten wir vor Jahren im Münchner Stadtrat auch mal, als die Verpflegung für die Münchner Kindertagesstätten vergeben wurde. Ein Drittel Bio und bitte möglichst regional. Und alle waren dafür, ich auch, das gebe ich zu. Schließlich will man etwas für die eigene Gegend tun. Und was war das Resultat?
Wir hatten die Rechnung ohne die EU gemacht. Genauer gesagt, ohne die Vergaberichtlinien. Der Auftrag lag selbst in mehrere Lose geteilt immer noch über der Schwelle, ab der die europaweite Ausschreibung vorgeschrieben ist. So würde es den von Özdemir erwähnten öffentlichen Einrichtungen auch gehen. Sie müssten europaweit ausschreiben. Dann kommen die Firmen, die sich bewerben, eben aus Polen oder Tschechien, und das dort gekochte Essen wird gekühlt herantransportiert und vor Ort erwärmt. Örtlich besetzen kann man im Grunde gerade noch Rathauskantinen.
Die ganzen hübschen Überlegungen, den regionalen Anbau zu fördern, erwiesen sich letztlich als Witz. Wenn nämlich in der Ausschreibung steht, das Gemüse solle aus dem regionalen Anbau kommen, der Lieferant, der als kostengünstigster den Zuschlag erhält, erhalten muss, aber in Tschechien sitzt, dann bedeutet regionaler Anbau eben im Umkreis von hundert Kilometern rund um den Herstellungsort in Tschechien. Gemüsebauern im Münchner Umland haben davon weniger als nichts. Die Grünen sind übrigens vehemente Verfechter europaweiter Ausschreibungen und finden sie so toll transparent.
Mal sehen, wie lange es dauert, bis Özdemir dämmert, dass er – dank grüner Vorgaben – Minister für eine Landwirtschaft ist, die Biosprit statt Nahrung produziert, und dass die von ihm verteufelte Fleischerzeugung der einzige Bereich ist, in dem sich Deutschland noch selbst versorgen kann. Gut, das wird ihm vermutlich egal sein. Wer denkt in Deutschland schließlich noch daran, dass eine halbwegs eigenständig gesicherte Nahrungsversorgung ein zentraler Punkt der Souveränität ist. Es gibt ja die EU. Noch.
Leider ist weit und breit niemand, der auf seine schulmeisterlichen Anwandlungen, die Ernährung der Deutschen betreffend, mit der richtigen Antwort reagiert (das wäre Aufgabe der Gewerkschaften) – er darf ja gerne die Produkte teurer machen, vorausgesetzt, sie werden im Verhältnis zu Löhnen und Sozialleistungen billiger. Die Franzosen und die Italiener essen weit besser. Das liegt nicht nur an der Kultur; das liegt auch an den bald dreißig Jahren Lohnsteigerungen, die in Deutschland fehlen. Sie fehlen im Suppentopf genauso wie in der Rentenkasse. Der größte Niedriglohnsektor Europas ist nun einmal kein Quell gesunder Ernährung.
Aber wer weiß, vielleicht wird ja sein Wunschziel von 30 Prozent Bio durch ganz viele Biohanffelder erfüllt. Dann sind zumindest seine Hipster-Wähler glücklich.
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