von Andrei Babizki
Solch harte und offene Worte dürften wohl nur wenige erwartet haben. Niemand war darauf vorbereitet, dass erneut Worte wie Wladimir Putins Erklärung von 2018 erklingen würden, Versuche einer Lösung des Donbass-Problems mit Gewalt könnten zum Zusammenbruch der ukrainischen Staatlichkeit führen. Aber dieses Mal kamen sie aus dem Mund eines hochrangigen russischen Militärs. Armeegeneral Waleri Gerassimow, Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte, verkündete bei einem Treffen mit Militärattachés ausländischer Staaten am 9. Dezember in Moskau:
"Jedwede Provokationen seitens der ukrainischen Regierung zwecks einer gewaltsamen Regelung der Probleme des Donbass werden unterbunden."
Der Konflikt in der Region nähert sich zunehmend einer akuten Phase. Ein Großteil der Schuld dafür liegt bei den westlichen Ländern, die immer mehr Waffen in die Ukraine pumpen:
"Lieferungen von Hubschraubern, unbemannten Fluggeräten und Flugzeugen [aus dem Westen] stacheln die ukrainische Regierung zu raschen und unüberlegten Schritten an. Kiew setzt die Minsker Abkommen nicht um. Ukrainische Streitkräfte verkünden, im Donbass den Einsatz der Panzerabwehr-Lenkwaffensysteme 'Javelin' begonnen zu haben, die ihnen von den USA geliefert wurden, und benutzen dort Aufklärungs- und Angriffsdrohnen aus türkischer Produktion."
Gleichzeitig bezeichnete der Leiter des russischen Generalstabs die von westlichen und ukrainischen Medien verbreiteten Informationen über eine angeblich von Russland vorbereitete Invasion in der Ukraine als Lüge. Zwar würde es auf den ersten Blick so erscheinen, dass diese Aussage im Widerspruch zu dem Versprechen steht, "Provokationen zu unterbinden": Denn angemessen kann man etwaigen Versuchen der ukrainischen Streitkräfte, die Kontrolle über den rebellischen Donbass zu übernehmen, nur militärische Gewalt entgegenstellen. Allerdings müssen dafür Streitkräfte an diese Front verlegt werden, was sofort als Invasion eingestuft werden würde. Denn das wäre in der Tat eine Invasion – rein aus rechtlicher Sicht.
Anerkennen – wie im Beispiel Südossetien
Unlösbar ist dieses Paradoxon jedoch nicht. Es gibt einen erprobten juristischen Behelf, der eine rechtliche Möglichkeit schaffen würde, Provokationen ohne jegliche Hindernisse zu unterbinden. Dies wäre eine Anerkennung der Staatlichkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch Russland. Daraufhin sind von Moskau mit Donezk und Lugansk Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zu unterzeichnen. Solche Verträge bilden dann die Grundlage für die anschließende Einrichtung russischer Militärstützpunkte auf dem Gebiet der Republiken – die schließlich die Sicherheit der von Russland anerkannten Staaten gewährleisten könnten.
Eigentlich wurde ja genau dieses Verfahren bereits am 17. September 2008 angewandt: Russland unterzeichnete Abkommen mit Abchasien und Südossetien. Die Wahrscheinlichkeit einer Aggression gegen diese Staaten durch Georgien wurde damit völlig ausgeschlossen.
Natürlich wird Russland im Falle einer Anerkennung der DVR und der LVR der Verletzung des Völkerrechts beschuldigt werden – ebenso wie auch damals solche Anschuldigungen erklangen. Doch gerade das besagte Völkerrecht ist derart vielfältig, dass es sehr leicht ist, eine juristische Rechtfertigung dafür zu finden, die Republiken zu souveränen Staaten zu erklären. Im Jahr 2008 ließ sich der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew dafür leiten von der UN-Charta, von der Erklärung über die Grundsätze des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten von 1970 sowie von der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von Helsinki im Jahr 1975.
Der russische Politologe Sergei Markow hält eine Anerkennung der beiden Volksrepubliken bereits im Januar nächsten Jahres für wahrscheinlich. Seiner Ansicht nach machte Wladimir Putin dies vermutlich in seinem zweistündigen Gespräch mit dem US-Präsidenten deutlich. Und gerade deshalb gaben die Erklärungen von Joe Biden im Nachgang ans Gespräch auch Anlass zur Hoffnung, dass man sich in Washington, D.C. um eine Beschwichtigung der ukrainischen Seite bemühen werde. Die Worte, dass die USA beabsichtigen, die Minsker Vereinbarungen voranzutreiben, geben nämlich Anlass zu dieser Annahme (Anm. d. Red.: ebenso auch spätere Meldungen zu diesem Thema).
Es ist glasklar: Waleri Gerassimow hätte keine so öffentlichkeitswirksame Erklärung vor ausländischen Vertretern abgegeben, wenn seinen Worten nicht ein bereits detailliert ausgearbeiteter Aktionsplan zugrunde läge – und natürlich wurde zweifellos jedes Wort mit dem Kreml abgesprochen. Es ist sogar durchaus möglich, dass der Kreml selbst den Generalstabschef anwies, die Ukraine auf diese Weise vor überstürzten Schritten zu warnen. Im Übrigen gibt auch die Aussage Wladimir Putins, dass das, was im Donbass geschieht, sehr an einen Völkermord erinnert, ein vollständiges Bild davon, wie ernst der russische Staatschef den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen bewertet.
Inzwischen organisierte die Ukraine eine Provokation im Asowschen Meer. Ein ukrainisches Kriegsschiff – mit dem beredten Namen "Donbass" – näherte sich der Meerenge von Kertsch und trat dann, ohne in russische Hoheitsgewässer einzudringen, wieder die Heimfahrt an. Das Pressezentrum des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB qualifizierte den Vorfall folgendermaßen:
"Die Aktion der Besatzung des ukrainischen Schiffes wird als Provokation und Bedrohung der Sicherheit auf See angesehen."
Was soll's? Wenn sich das ukrainische Militär weder an Land noch zur See zusammenreißen kann, dann werden Maßnahmen, die Ukraine zum Frieden zu zwingen, unvermeidlich ergriffen werden müssen.
Mehr zum Thema – Vorauseilende Reaktion – USA schlagen Anlegeverbot für russische Schiffe in Europa vor
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Übersetzt aus dem Russischen.
Andrei Babizki ist ein altgedienter russischer Journalist. Er lieferte Berichterstattung von Konflikten und Brennpunkten in Tadschikistan und im Nordkaukasus, in den beiden tschetschenischen Kriegen. Im zweiten tschetschenischen Krieg war er Korrespondent für den US-Staatssender Radio Liberty im von den russischen Truppen belagerten Grosny; verlor aber seine Arbeitsstelle bei Radio Liberty wegen Differenzen bezüglich des Ukraine-Konflikts: Er veröffentlichte Videoaufnahmen von Zivilisten, die von Kämpfern des ukrainischen nationalistischen Freiwilligenbataillons Aidar in der Siedlung Nowoswetlowka ermordet wurden.