Russlands jüngster Schulterschluss mit Indien schockiert die USA
Eine Analyse von Simon Watkins
Das wichtigste Öl- und Gasabkommen zwischen Moskau und Neu-Delhi sieht vor, dass Russland über den staatlichen Ölkonzern Rosneft bis Ende 2022 fast 15 Millionen Barrel Rohöl an das Unternehmen Indian Oil liefern wird. In Anbetracht der massiven geopolitischen Auswirkungen größerer Ölgeschäfte erklärte Rosneft-Chef Igor Setschin:
"Die Unterzeichnung eines neuen Ölliefervertrags bestätigt den strategischen Charakter der langfristigen Partnerschaft zwischen Rosneft und Indian Oil."
Das Geschäft gewinnt noch mehr an Bedeutung, da es nur einen von 28 Investitionsverträgen zwischen Russland und Indien darstellt, die während des jüngsten Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin beim indischen Premierminister Narendra Modi unterzeichnet wurden. Diese Abmachungen umfassen eine breite Palette von Themen, darunter nicht nur Öl, Gas und Petrochemie, Stahl und Schiffbau, sondern auch militärische Angelegenheiten. Die Möglichkeit, dass militärische Elemente in die zwischen Russland und Indien vereinbarten Öl- und Gasprojekte einfließen, ist aus Sicht der USA schwerwiegend genug.
Die Öllieferungen von Rosneft werden über den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk verschifft. Bei Bedarf sollen in Indien zusätzliche Entladeanlagen gebaut werden. Putin betonte:
"Beide Seiten bekräftigten ihr Engagement, die russische Rohölproduktion im Rahmen langfristiger Verträge zu Vorzugspreisen zu steigern und die LNG-Importe (Flüssigerdgas) nach Indien zu erhöhen, wobei die Nordseeroute für Energielieferungen genutzt werden könnte."
Modi ergänzte die Aussage des russischen Präsidenten und präzisierte:
"Wir haben uns bis 2025 ein Ziel von 30 Milliarden US-Dollar im Handel und 50 Milliarden US-Dollar an Investitionen gesetzt."
Für die USA sind diese Geschäfte abträglich, da Russland sie als Hebel für militärische Möglichkeiten in Indien nutzen kann. Aber die Situation verschlechterte sich für das Weiße Haus im Laufe der Treffen zwischen Putin und Modi zusehends. In einer gemeinsamen Erklärung Russlands und Indiens heißt es:
"Wir haben die Absicht bekräftigt, die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zu verstärken, auch bei der gemeinsamen Entwicklung und Produktion von militärischem Gerät."
Weiteren offiziellen Erklärungen zufolge wird Indien mindestens 600.000 Kalaschnikow-Sturmgewehre produzieren. Noch beunruhigender für die USA ist die Tatsache, dass nach Angaben des indischen Außenministers Harsh Vardhan Shringla ein Vertrag aus dem Jahr 2018 über die Lieferung von S-400-Luftabwehrraketensystemen nun umgesetzt werde.
Umfang und Ausmaß dieser Vereinbarung zwischen den beiden Ländern sind ebenso dramatisch wie unerwartet und stehen im Widerspruch zu den Erwartungen der USA, wie gut ihre Strategie gegen China und Russland im Nahen Osten funktioniert hat.
Der Kampf der USA gegen die Ausweitung des chinesischen Einflusses im Nahen Osten basierte vor allem auf den Vereinbarungen zur "Normalisierung der Beziehungen" mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Israel sowie auf Indiens Rolle als Gegengewicht zu China in Asien und als wichtiger globaler Abnehmer von Öl und Gas, wie ich in meinem neuen Buch über die globalen Ölmärkte eingehend analysiert habe.
Die Vorstellung der USA, dass Indien als neuer Stützpfeiler bei der Ölnachfrage in Asien fungieren könnte, wurde durch die Veröffentlichung eines Berichts der Internationalen Energieagentur (IEA) im ersten Quartal 2021 untermauert. Daraus ging hervor, dass Indien in den nächsten zwei Jahrzehnten mit 25 Prozent den größten Anteil am Wachstum der Energienachfrage haben wird, da es die Europäische Union bis 2030 als drittgrößten Energieverbraucher der Welt ablösen wird.
Zudem geht aus dem Bericht hervor, dass sich der Energieverbrauch Indiens fast verdoppeln dürfte, wenn das BIP des Landes auf Grundlage des aktuellen politischen Szenarios bis 2040 auf schätzungsweise 8,6 Billionen US-Dollar ansteigt. Dies wird durch eine BIP-Wachstumsrate untermauert, die der Weltwirtschaft bis 2040 das Äquivalent eines weiteren Japans verleiht, so die IEA. Die Agentur fügte hinzu, dass der wachsende Energiebedarf des Landes zu einer stärkeren Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe führen wird, da die heimische Öl- und Gasproduktion seit Jahren stagniert, obwohl die Regierung die Exploration und Förderung von Erdöl und erneuerbaren Energien vorantreibt.
Militärische Feindseligkeiten zwischen China und Indien am 15. Juni 2020 ließen das Weiße Haus zu der Überzeugung gelangen, dass ein aggressiveres Auftreten Indiens gegenüber seinem Nachbarn China für die Vereinigten Staaten von Nutzen sein könnte. Und zwar nicht nur im Rahmen ihrer Nahoststrategie, sondern auch bei ihren Bemühungen, die zunehmend aggressiven Maßnahmen Chinas in der asiatisch-pazifischen Region in Schach zu halten.
Insbesondere der militärische Zusammenstoß zwischen China und Indien im Juni 2020 im umstrittenen Gebiet des Galwan-Tals im Himalaya spiegelte eine weitaus größere Veränderung in den Kernbeziehungen zwischen den beiden Ländern wider, als die relativ geringe Zahl von Opfern vermuten lässt.
Hiermit setzte Indien Chinas Politik der Ausweitung seiner wirtschaftlichen und militärischen Allianzen von Asien über den Nahen Osten bis nach Südeuropa, die im Einklang mit Pekings generationenübergreifendem Projekt "One Belt, One Road" steht, eine neue "Strategie des Zurückdrängens" entgegen.
Bis China das Tempo seiner Politik drastisch erhöhte – etwa zur gleichen Zeit, als die USA durch ihren Rückzug aus dem Atomabkommen mit Iran und aus weiten Teilen Syriens ihr Desinteresse an der Fortsetzung ihrer eigenen groß angelegten Aktivitäten im Nahen Osten signalisierten –, hatte Indien an einer Politik der Eindämmung Chinas festgehalten.
Mit der Ankündigung des von den USA vermittelten "Normalisierungsabkommens" zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) im August 2020 schien sich ein neuer Korridor der Zusammenarbeit von den USA (und Israel) über die VAE (und Kuwait, Bahrain und teilweise Saudi-Arabien) bis nach Indien zu entwickeln.
Da ein Großteil von Chinas derzeitiger Turbo-Expansion in den Nahen Osten in erster Linie auf dem Energiesektor beruht, schien der Ausgangspunkt für den Aufbau des Korridors USA-Israel-UAE-Indien ebenfalls der Energiesektor zu sein. Dies ergibt durchaus Sinn, denn gerade in der Ölindustrie werden riesige Mengen an Geld, Schiffen, Ausrüstung, Technologie und Personal bewegt. Oft auf verschleierte Art und Weise über vertrauliche Bankkonten, Geheimdienst- und Militärpersonal, das sich als hochrangige Öltechniker oder Sicherheitsleute ausgeben kann und Schiffe, die durch AIS-Manipulationen unsichtbar werden können.
In anderen Branchen sind Aktivitäten, die Länder im Stillen durchführen wollen, nicht möglich. Auch Putin weiß das – besser als jeder andere – und die 28 abgeschlossenen Deals mit Indien werden wohl kaum das Ende seiner Pläne für das südasiatische Land sein.
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Simon Watkins ist ein ehemaliger leitender Devisenhändler, Finanzjournalist und Bestsellerautor.
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