Wachsende Übersterblichkeit nun auch bei Jüngeren: An Corona kann das nicht liegen

Die COVID-19-Pandemie macht besonders den Über-80-Jährigen und schwer Vorerkrankten zu schaffen. Die meisten Todesfälle betreffen diese Gruppen. Doch seit Mai dieses Jahres zeigt sich ein bedenklicher Trend: Die Todesrate bei den Unter-40-Jährigen steigt – am Virus liegt das wohl nicht.
Wachsende Übersterblichkeit nun auch bei Jüngeren: An Corona kann das nicht liegenQuelle: www.globallookpress.com © Thomas Koehler/photothek.net

von Susan Bonath

Im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie starben in Deutschland rund 45.000 Menschen mehr als ein Jahr zuvor. Das Plus zeigte sich dabei ausschließlich in der Bevölkerungsgruppe der über 80-Jährigen. Da diese vulnerabelste Gruppe zugleich zwischen 2016 und 2020 um rund eine Million Personen angewachsen ist, relativiert sich diese Zahl etwas. Mehr Todesfälle sind auch in diesem Jahr zu erwarten. Doch die vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes lassen einen alarmierenden Trend erkennen. Nicht nur, dass ein Teil der vermehrten Todesfälle nicht mit Corona in Zusammenhang steht. Seit Mai dieses Jahres steigt die Todesrate in der Bevölkerung signifikant, obwohl es in dieser keinen nennenswerten Zuwachs gibt.

Statistiker: Plus an Todesfällen nicht allein mit COVID-19 zu erklären

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht seit Beginn der Pandemie wöchentlich die vorläufigen Sterbezahlen mit jeweils gut zwei Wochen Verzug. Diese Daten lassen am ehesten eine bedenkliche Entwicklung in Pandemie-Zeiten erkennen. Denn bei den COVID-19-Todesfällen unterscheidet das Robert Koch-Institut (RKI), das diese erfasst, nicht zwischen klinischen Sterbeursachen.

Stattdessen werden in die Kategorie "COVID-19-Todesfälle" Verstorbene eingeordnet, die irgendwann zuvor positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren. Anders als in vielen anderen Ländern gibt es in Deutschland dafür auch keine vorgegebene maximale Zeitspanne, etwa 28 Tage. Der Ausdruck "an oder mit Corona verstorben" beschreibt die Unklarheit. Die Zahl der COVID-19-Toten lässt, anders als die Gesamtsterbezahlen, somit keine Rückschlüsse auf das Sterbegeschehen in Deutschland zu.

In ihrer jüngsten Pressemitteilung berichtete die Statistikbehörde bereits von vermehrten Sterbefällen in der wärmeren Jahreszeit. Im Mai hätten diese den Medianwert der vier Vorjahre um sieben Prozent, im Juni um acht Prozent übertroffen. Im ersten Sommermonat könne dies aber auf eine Hitzewelle zurückgeführt werden, so die Experten. Besonders auffällig wurde es demnach seit dem Spätsommer. So schreibt das Statistische Bundesamt:

"Im September und Oktober lagen die Sterbefallzahlen mit plus zehn Prozent wieder deutlich über dem mittleren Wert der Vorjahre. Die gemeldeten COVID-19-Todesfallzahlen erklären diese Entwicklung nur zum Teil."

Ein Blick in die tabellarische Einzelauswertung der Jahre 2016 bis 2021 zeigt seit einigen Monaten zusätzliche Besonderheiten: Anders als im ersten Jahr der Pandemie zeigt sich seit Anfang Mai auch eine deutliche Übersterblichkeit bei den Unter-40-Jährigen, die im September und Oktober ihren Höhepunkt erreichte und ebenfalls nicht mit Corona erklärt werden kann. Auch die Statistik zur Bevölkerungsentwicklung liefert keine plausible Antwort. Die Zahl der jüngeren Einwohner der Bundesrepublik bis 40 Jahre ist seit 2019 sogar leicht um rund 0,13 Prozent von insgesamt 35,74 auf 35,69 Millionen gesunken.

Plötzlich signifikant mehr Todesfälle bei jungen Menschen

Das erste Pandemie-Jahr folgte noch dem Trend einer seit Jahrzehnten leicht rückläufigen Sterberate. In den ersten vier Monaten dieses Jahres zeigten sich ebenfalls keine Auffälligkeiten bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 40 Jahren. So verzeichnete das Amt von Januar bis April 4,7 Prozent weniger Todesfälle als im gleichen Zeitraum 2020 und 5,4 Prozent weniger als 2019 in dieser Gruppe. Das ändert sich fast schlagartig im Mai und nimmt tendenziell zu.

So starben von Mai bis August 2021 zunächst sechs Prozent mehr Unter-40-Jährige als im gleichen Zeitfenster des Vorjahres und vier Prozent mehr als 2019. Im September und Oktober überragte die Sterblichkeit bei den Jüngsten die in den beiden Vorjahren sogar um 11,5 beziehungsweise 9,5 Prozent.

Besonders signifikant wuchs die Zahl der Todesfälle von Jungen und Männern unter 40 Jahren an. Im Vergleich zu 2020 betrug hier das Plus in den Monaten September und Oktober sogar 12,6 Prozent, gegenüber 2019 waren es 11,5 Prozent und gegenüber 2018 rund elf Prozent mehr Tote.

In Zahlen ausgedrückt: Von Mai bis Oktober dieses Jahres fanden insgesamt 7.332 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 40 Jahren den Tod. Das waren knapp 500 junge Verstorbene mehr (sieben Prozent) als in den gleichen Vorjahresmonaten und 350 (fünf Prozent) mehr als 2019. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung wäre hingegen ein weiterer leichter Rückgang der Sterbefälle bei den Unter-40-Jährigen erwartbar gewesen.

Einseitiger Blickwinkel von Behörden und Medien?

Weder in der wöchentlichen Auswertung noch in der jüngsten Pressemitteilung vom 9. Dezember erwähnt das Statistikamt vermehrte Todesfälle in den jüngsten Altersgruppen seit Mai dieses Jahres. Stattdessen zitierte es unter der Überschrift "Pandemie führt zu Übersterblichkeit in Deutschland" nun den Vizepräsidenten der Behörde, Christoph Unger, mit einer allgemeinen Feststellung:

"Von März 2020 bis Mitte November 2021 sind in Deutschland mehr Menschen verstorben, als unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung zu erwarten gewesen wäre."

Dieser Anstieg sei nicht nur durch die Alterung der Einwohner erklärbar, "sondern maßgeblich durch die Pandemie beeinflusst". Eine erhöhte Sterblichkeit zeigt sich seiner Einschätzung nach bereits seit März 2020. Erwartet habe er im vorigen Jahr etwa zwei Prozent Tote, tatsächlich seien es fünf Prozent mehr gewesen, zwischen März 2020 und Februar 2021 sogar 7,5 Prozent mehr.

Das steht zumindest für das vorige Jahr in Diskrepanz zu einer Auswertung, die Forscher der Universität Duisburg-Essen im Oktober vorgelegt hatten. Sie verglichen darin die Sterbezahlen der vergangenen Jahre mit der Größe der jeweiligen Altersgruppe in der Bevölkerung. Ihr Fazit: Im Gegensatz zu Spanien (14,8 Prozent) und Schweden (drei Prozent) habe es in Deutschland keine Übersterblichkeit gegeben.

Große Medien wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und der Spiegel übernahmen die Meldung des Statistikamtes, wiesen dabei aber nicht auf die teils anderslautende Bewertung durch die Forscher hin. Ebenso unerwähnt blieb die (vermutlich noch nicht wahrgenommene) plötzliche Zunahme der Sterberate bei den Jüngeren. Die oben zitierte Mitteilung des Statistikamtes selbst, wonach ein nennenswerter Teil der Verstorbenen eben nicht durch die COVID-19-Pandemie zu erklären ist, taucht ebenfalls nicht mehr auf. Werden hier andere mögliche Ursachen ignoriert und die Probleme einseitig auf die Virusausbreitung geschoben?

Keine Suche nach der Ursache?

Nach den Ursachen der unklaren Übersterblichkeit, vor allem in der jüngeren Bevölkerung, wird offenbar bisher nicht geforscht. Felix zur Nieden, Sprecher des Statistischen Bundesamtes, meinte, seine Behörde könne nur erkennen, dass die Sterberaten bei den über 55-Jährigen leicht und bei den Über-80-Jährigen stark erhöht seien. "Bei der sehr geringen Sterblichkeit in diesen Altersjahren und einer monatlichen Betrachtung können auch Zufallsschwankungen eine Rolle spielen", erläuterte zur Nieden. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beantwortete eine Anfrage der Autorin am Donnerstag nicht, ob nach den Ursachen der unklaren Übersterblichkeit, die nicht mit Corona erklärbar ist.

Ein möglicher Grund für gehäufte Todesfälle könnten etwa verschobene Operationen oder nicht rechtzeitig behandelte Erkrankungen sein, was für sich allein aber für die spürbare und wachsende Zunahme der Todesfälle bei jungen Menschen nicht plausibel genug erscheint. Möglich ist auch eine Zunahme von Suiziden etwa im Zuge von Depressionen oder Ängsten, vielleicht ein verstärktes Auftreten von Unfällen oder anderer Erkrankungen.

Bezüglich der Minderjährigen fällt zudem eine anhaltend verstärkte Belegung der Kinder-Intensivstationen seit Anfang September auf. So geht aus den Daten der Tagesreports des DIVI-Intensivregisters hervor, dass sich seit mehr als drei Monaten durchgängig bis zu 25 Prozent mehr schwer kranke Kinder als im Herbst und Winter 2020 in den Kliniken in intensivmedizinischer Behandlung befanden. Unklar ist, ob es sich dabei allein um eine Folge des verstärkten Auftretens von RS-Viren, einem Atemwegserreger, handelt.

Warum also verzeichnen die Statistiker urplötzlich seit Mai eine so deutliche Zunahme der Sterbefälle unter den jüngsten Altersgruppen in der deutschen Bevölkerung? Spielen hier psychische Erkrankungen im Zuge der fortwährenden Corona-Maßnahmen eine Rolle? Gibt es nicht genügend Hilfsangebote für Betroffene? Die offenen Fragen drängen nach einer Klärung. Doch untersucht wird das bisher offenbar nicht.

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