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Altenpflege – für private Investoren wie Geld drucken

Die Altenpflege in Deutschland ist eine Gewinnmaschine für Konzerne und Investoren. Hohe Renditen für Investoren locken; auf der Strecke bleiben dabei die Pflegebedürftigen und die Beschäftigten. Der Staat könnte eingreifen, gibt sich aber machtlos.
Altenpflege – für private Investoren wie Geld druckenQuelle: Gettyimages.ru

von Bernd Müller

Die Altenpflege ist ein Eldorado für Investoren und Spekulanten – nicht nur in Deutschland, sondern in vielen westeuropäischen Ländern. Die Branche lockt mit satten Renditen, die zu Lasten der Pflegekräfte, der Pflegebedürftigen und deren Familien sowie der Steuerzahler eingefahren werden.

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) zeigt, privat betriebene Pflegeheime versprechen für Investoren gute Bedingungen. Einerseits wächst die Nachfrage nach Plätzen in den Heimen stetig, und das ohne konjunkturelle Schwankungen fürchten zu müssen. Wachstumstreiber ist die demografische Entwicklung in Deutschland: Im Jahr 2060 sind der Prognose zufolge mehr als 27 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik älter als 67 Jahre. Der zusätzliche Bedarf an Pflegeplätzen dürfte enorm sein.

Andererseits werfen die schon heute satte Renditen ab. "Seniorenimmobilien sind langfristig attraktive Investitionsgüter und Investoren erwartet daher auch bei Pflegeheimen mittlerweile eine Spitzen-Nettoanfangsrendite von 4,0 Prozent", sagte Dirk Henning, Experte für Immobilienbewertung bei PwC. Und in Zukunft dürften die Preise für Altenheime weiter steigen. Mit der in Aussicht stehenden Rendite werfen sie mehr Ertrag ab als zum Beispiel Bürogebäude, heißt es in der Studie weiter. Lukrativ seien Seniorenimmobilien unter anderem in Ostdeutschland.

Um zu verstehen, weshalb die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Allgemeinheit für die Renditen aufkommen, hilft ein Blick auf die Eigenanteile, die Heimbewohner aufbringen müssen. Im bundesweiten Durchschnitt betragen sie aktuell etwas mehr als 2.000 Euro im Monat. Die Summe setzt sich zusammen aus: dem "Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil", mit dem Leistungen der pflegerischen Versorgung finanziert werden, deren Kosten nicht aus der Pflegeversicherung gedeckt sind; den Kosten für "Unterkunft und Verpflegung", und den "Investitionskosten" der jeweiligen Einrichtung. Für diese beiden Posten fließt nichts aus der Pflegekasse, und sie müssen deshalb vollständig von den Pflegebedürftigen über deren Eigenanteil finanziert werden.

Verdeckte Gewinnabführung

Gerade bei den Investitionskosten haben die Heimbetreiber weitgehend freie Hand, wie Recherchen von Investigate Europe im Juli 2021 zeigten. Das sind Ausgaben für Immobilien oder Instandhaltung, für die bis zu 40 Euro pro Bewohner und Tag abgerechnet werden. Ob die Kosten aber wirklich angefallen sind und an wen sie gezahlt werden, prüft keine Behörde nach. Gesetzlich sei das zwar vorgesehen, aber es scheitert an den fehlenden Ressourcen.

Vertreter der kommunalen Sozialbehörde in Schleswig-Holstein haben das bestätigt. "Wem die Immobilien oder Leasinggesellschaften wirklich gehören, da kommen wir nicht ran", sagte demnach eine Beamtin. Es gebe die Möglichkeit zur verdeckten Gewinnabführung, bestätigte sie. Die Sozialbehörde springt ein, wenn die Renten der Pflegebedürftigen für die Eigenanteile nicht ausreichen.

Das Problem ist nicht neu. "Die Jagd nach Rendite führt am Ende dazu, dass die Belastungen für die Versicherten und die Pflegebedürftigen immer weiter steigen", hatte die SPD-Gesundheitspolitikern Hilde Mattheis schon 2018 gewarnt. Und weil sich immer weniger Betroffene die wachsenden Eigenanteile leisten könnten, kletterten automatisch auch die Ausgaben für die Sozialhilfe. Die Renditeerwartungen der Investoren würden so durch die Beitrags- und Steuerzahler erfüllt.

Auch der noch amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte damals die Gier der Investoren gerügt. Er warf dem Pflegeheimbetreibern 2018 vor, ihr Gewinnstreben auf Kosten des Pflegepersonals und der Pflegebedürftigen zu übertreiben. Ein "kapitalmarktgetriebenes Fokussieren auf zweistellige Renditeerwartungen" sei nicht angemessen, hatte er gesagt.

Heute ist davon nicht mehr viel zu vernehmen. Auf dem "Deutschen Pflegetag 2021", der kürzlich stattfand, stellte Spahn die Löhne des Pflegepersonals als Kostentreiber hin. Christine Vogler, Vorsitzende des Pflegerats, hatte für Fachpersonal ein Einstiegsgehalt von 4.000 Euro brutto im Monat gefordert. Spahn sagte, da könne er "mitgehen in der Perspektive", verwies aber auf die Verantwortung der Tarifpartner. Es müsse auch eine ehrliche Debatte geführt werden, so Spahn. Mehr Personal und bessere Bezahlung zu verlangen, und dann die Kosten zu beklagen, "das passt noch nicht so ganz zusammen".

Überarbeitete Pflegekräfte und vernachlässigte Heimbewohner

Vogler hatte das erhöhte Einstiegsgehalt als einen "der ersten elementaren Schritte" bezeichnet, um den Pflegeberuf für mehr Menschen attraktiv zu machen. Schon heute fehlen rund 200.000 Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen – und die Tendenz ist steigend. Bis 2035 könnte sich die Personallücke auf rund 500.000 unbesetzte Stellen steigern.

Sollte sich diese Entwicklung einstellen, wäre es eine Katastrophe für die Versorgung der Pflegebedürftigen. Denn schon heute setzen Heimbetreiber oftmals auf Verschleiß ihres Personals; wenige Pflegekräfte kommen auf viele Pflegebedürftige. Dem Bericht von Investigate Europe zufolge werden in gut geführten Heimen rund 70 Prozent der Einnahmen für das Personal ausgegeben. Dagegen würden marktführende Konzerne wie Orpea und Korian nur zwischen 50 bis 55 Prozent dafür veranschlagen. Das sei nur möglich, wenn nicht nach Tarif gezahlt werde und die Fachkraftquote auf dem untersten vorgeschriebenen Niveau gehalten werde. Überarbeitete Pflegekräfte und vernachlässigte Heimbewohner sind die Folge.

Immer wieder werden Fälle bekannt, dass Pflegebedürftige in ihren Betten gefesselt oder ohne Not mit Medikamenten ruhiggestellt werden. Es gibt Berichte, dass Heimbewohner stundenlang in ihren eigenen Fäkalien liegen müssen, weil nicht genügend Pflegepersonal im Haus ist. In Deutschland gibt es zwar eine gesetzlich vorgesehene Aufsicht, die solche Missstände verhindern soll. Doch auch hier fehlen oft die Ressourcen, um jede Pflegeeinrichtung gründlich zu inspizieren. Wie Investigate Europe feststellte, werden zwar Missstände entdeckt und es wird vorgeschrieben, diese abzustellen. Doch es wird längst nicht immer kontrolliert, ob dem auch folgegeleistet wurde.

Während Spahn sich und die noch amtierende Bundesregierung auf dem Deutschen Pflegetag lobte, sieht seine Bilanz doch in Wirklichkeit weniger gut aus. Dafür, dass Menschen und nicht Renditen in der Pflege im Vordergrund stehen, hat er nur wenig getan. Auch die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Heike Baehrens (SPD), redete sich damit heraus: Die Rendite zu begrenzen, lasse die Verfassung nicht zu, hätten ihr Juristen gesagt. Es bleibt also alles wie bisher.

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