Ein Platzen der US-Schuldenblase wird die Welt böse treffen – Russland jedoch nicht
Ein Kommentar von Glenn Diesen
Die lang erwartete US-amerikanische Finanzkrise scheint auf dem Weg zu sein. Die Inflation steigt, die Energiepreise steigen jenseits jeder Kontrolle und bereits jetzt ist das Niveau der privaten und öffentlichen Verschuldung untragbar hoch. Washington stehen nur noch wenige Werkzeuge zum Abwenden oder Mildern der Krise zur Verfügung – und dabei hat es eine Menge zu verlieren.
Es scheint sich eine erneute US-amerikanische Finanz- und Währungskrise anzubahnen, die die ganze Welt zu erfassen und weltweit zu dramatischen Verschiebungen in der internationalen Machtverteilung zu führen droht. Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Realpolitikern geleitetes Russland zeigt sich auf die kommenden Turbulenzen vorbereitet. Deren Strategie lautet: Den Spritzumkreis einer bald platzenden Blase einfach frühzeitig verlassen. Neben der Sicherstellung strenger Budgetdisziplin ist dabei die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China als einer der Schwerpunkte hervorzuheben, die mit einer Abkopplung vom internationalen Finanzsystem unter Führung der USA einhergeht.
Die Tugend der Vereinigten Staaten: Probleme würdevoll vor sich herschieben
Der Segen, die Weltreservewährung drucken zu können, ist gleichzeitig auch ein Fluch. Die USA waren über Jahre hinweg in der Lage, massive Defizite einzufahren und damit einen Lebensstandard und ein Imperium weit über ihre Verhältnisse aufrechtzuerhalten, während Politiker behaupten konnten, die Ungleichgewichte seien ein Zeichen für eine gesunde Wirtschaft und als Beweis hierfür gelte die Bereitschaft der ganzen Welt, den USA so große Geldmengen zu leihen. Der Fluch, den die Lizenz zum Drucken der weltweiten Handels- und Reservewährung birgt, besteht im Verwässern der Notwendigkeit, eine Budgetdisziplin aufrechtzuerhalten, da sämtliche Probleme einfach in die Zukunft verschoben werden können.
Bereits als die Technologieblase der 1990er-Jahre platzte, hätten die USA die Notwendigkeit schmerzhafter wirtschaftlicher Korrekturen akzeptieren müssen, in deren Rahmen sie sich von einer Wirtschaft der Börsenblasen auf eine Realwirtschaft hätten umstellen sollen. Doch stattdessen wurden die Zinssätze gesenkt, um die Vermögensblasen weiter aufzublähen. So konnte man von einer Technologieblase zu einer Immobilienblase umsatteln, die einen konsumgetriebenen Aufschwung kurzzeitig finanzieren konnte.
Als auch diese Blase im Jahr 2008 platzte, wurden die Zinssätze deutlich stärker auf nahezu null gesenkt. Heute, 13 Jahre später, befinden sie sich noch immer auf diesem Niveau. Seitdem stecken die USA in einer Zwickmühle. Einerseits führen die niedrigen Zinsen zu Fehlinvestitionen und verstärken die wirtschaftliche Ungleichheit, da Reiche für billiges Geld Realvermögen an sich reißen können. Andererseits würden eine Erhöhung der Zinssätze und die Wiederherstellung der Budgetdisziplin die gesamte Blasenwirtschaft der USA gleich komplett zum Platzen bringen und die Rolle des Landes international schwächen. Und so bestand auch diesmal der Ausweg aus der durch übermäßige Kreditaufnahme und Ausgaben verursachten Krise darin, noch mehr Kredite aufzunehmen und dieses Geld auszugeben, um die Blasenwirtschaft weiter aufzublähen. Die globale Finanzkrise wurde nicht gelöst, sondern durch ein solches Hinauszögern der Abrechnung nur noch verschlimmert.
Die Pandemie bringt die Blase zum Platzen
In der Regel ist schwierig abzuschätzen, was eine Blase zum Platzen bringt, da auch etwas vergleichsweise Geringfügiges (wie das Scheitern von Subprime-Hypotheken) das große Kartenhaus mit dessen immer maroder werdenden Fundament zum Einsturz bringen kann. Dieses Mal jedoch ging es um nichts Geringeres als eine globale Pandemie, die zu einem Einpuppen der Weltwirtschaft und darüber hinaus zu einem Wirtschaftskrieg gegen China führte.
Die USA haben sich nun nicht nur von der Pandemie zu erholen, sondern auch vom Kollaps einer Blasenwirtschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter erodierte. Die Staatsverschuldung der USA hat sich von 5 Billionen US-Dollar im Jahr 2001 auf 10 Billionen US-Dollar im Jahr 2008 aufgebläht und wird nun, 13 Jahre später, die Marke von 29 Billionen US-Dollar überschreiten.
Bei Zinssätzen, die nicht mehr gesenkt werden können, weil sie bereits nahe null stehen und ohne weitere Instrumente im Werkzeugkasten wird die nächste Finanzkrise vorhersehbar auch eine Krise des US-Dollars sein. Washingtons Antwort auf die globale Finanzkrise im Jahr 2008 waren Rettungspakete in Höhe von einigen Hundert Milliarden US-Dollar, die die US-Mittelschicht in den Ruin trieben und sowohl linken als auch rechten populistischen Bewegungen Auftrieb verschafften.
Derzeit bewegen sich die USA auf die sogenannte Reconciliation Bill zu, ein Gesetz über einen Haushaltausgleich im Wert von 3,5 Billionen Dollar. Die Regierung unter US-Präsident Joe Biden geht sogar so weit, die politische Legitimität Washingtons zu verpfänden: Man will dem Volk der USA versichern, dass sich das geplante Gesetz "von selbst bezahlt machen wird".
Auf dem Weg zur Hyperinflation?
Eine Hyperinflation folgt in der Regel auf große Kriege, wenn Produktionskapazitäten zerstört wurden und Geld gedruckt wird, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Wenn Produktivität und Wertschöpfung abnehmen, während die Geldmenge steigt, ist das vorhersehbare Ergebnis, dass die Inflation in einem Ausmaß außer Kontrolle gerät, das eine Währung zerstören kann. Die Pandemie hat eine ähnliche Dynamik wie der Krieg: Produktionskraft wird reduziert und die Wirtschaft muss mit fiskalischen Anreizen wieder angekurbelt werden.
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Die US-Konjunkturmaßnahmen sind aber nicht nur übertrieben und unnötig. Das Zwangsbeatmen der Konsumwirtschaft mit reichlich frischgedrucktem Geld soll diese zwar beleben, führt jedoch auch zu einer Steigerung der Produktion – und zwar in China. Der Verkehr von Frachtschiffen von China in die USA hat um ein Vielfaches zugenommen. Die US-Häfen an der Westküste kommen mit dem Entladen der großen Menge an Fracht kaum hinterher. Für die US-amerikanische Öffentlichkeit führt diese Politik zu einer verheerenden Inflation. Doch wenn Kreditaufnahme und Ausgaben zu steigenden BIP-Zahlen führen, kann eine Zerstörung von Wohlstand sogar als … Schaffung von Wohlstand dargestellt werden.
Somit wird die kommende Krise wahrscheinlich eine Krise des US-Dollars sein. Irgendwann werden die USA gezwungen sein, die vor langer Zeit verlorene Budgetdisziplin wiederherzustellen, die Produktion steigern und die Ausgaben senken zu müssen. Das genaue Gegenteil der derzeitigen Politik.
Diese schmerzhafte Neuanpassung wird den Lebensstandard der US-Amerikaner senken und die Rolle der USA im System der internationalen Beziehungen schmälern. Es hat den Anschein, dass die Chance der USA, die nötigen Anpassungen freiwillig und einigermaßen geordnet vorzunehmen, bereits vertan ist und nun die Marktkräfte die USA zu ungeordneten Korrekturen zwingen werden.
Russlands Vorbereitungen auf die US-Finanzkrise
Russland und China begannen ihre Vorbereitungen zu treffen, als in den Jahren 2008 und 2009 deutlich wurde, dass die USA den Bach runtergehen würden, anstatt zur Budgetdisziplin zurückzukehren. Putin prangerte die USA als einen "Schmarotzer" im internationalen Finanzsystem an. China begann, eine post-westliche Welt zu fordern und koppelte sich schrittweise vom US-geführten Finanzsystem ab.
Die oft sehr unangenehmen antirussischen Wirtschaftssanktionen hatten auch einen positiven Aspekt inne, der mehr als nur tröstlich war: Sie zwangen Russland zu schmerzhaften Anpassungen. In den vergangenen Jahren konnte Russland seine Schulden zurückzahlen und übte strengste Budgetdisziplin. Die russisch-chinesische Initiative zur Entdollarisierung führte dazu, dass die beiden Länder zu den größten Goldproduzenten geworden sind, die ihre Transaktionen zunehmend in Ortswährungen nominieren und den Anteil des Dollars an ihren Währungsreserven weiter verringern. Darüber hinaus haben die beiden Länder Finanzinstrumente entwickelt, die von neuen Investmentbanken über regionale Alternativen zum SWIFT-Transaktionssystem bis hin zu lokalen Kreditratingsystemen und Kreditkartenvereinbarungen reichen.
Zu den Vorbereitungen auf die Finanzkrise gehört auch eine Vorbereitung auf die politischen Folgen. Da Finanzkrisen die sozioökonomische und vor allem politische Stabilität untergraben, wird die US-Regierung die Öffentlichkeit wahrscheinlich auf externe Akteure verweisen, um in der Bevölkerung die Solidarität und Loyalität gegenüber den Behörden wiederherzustellen. Einfach ausgedrückt: Washington wird wahrscheinlich Russland und China als Schuldige an der Finanz- und Wirtschaftskrise anprangern.
Dies kann unvorhersehbare Folgen haben. Unter den Bürgern der USA herrscht bereits weitgehend ein "gesunder Nationalismus" – zumindest im Sinne der Überzeugung, dass die besten Zeiten noch vor ihnen liegen. Im Gegensatz dazu blickt Nationalismus der gefährlicheren Art wehmütig auf vergangene glorreiche Zeiten zurück, derer man sich beraubt wähnt – und zwar beraubt durch ausländische Mächte. Donald Trump war wahrscheinlich der erste US-Präsident, der behauptete, die Größe der USA sei von China gestohlen worden, während Russland erwartungsgemäß für die steigenden Energiekosten verantwortlich gemacht werden wird.
Kurzum, russische Politiker werden guten Grund zur Hoffnung haben, dass ihr Land den Sturm überstehen wird, indem sie einfach die Verbindung zum sinkenden Schiff kappen.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Glenn Diesen, Professor an der Universität Südost-Norwegen und Herausgeber der Zeitschrift Russia in Global Affairs. Folgen Sie ihm auf Twitter @glenndiesen
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