Etwas Unterwerfung muss drin sein – Tafel-Ausgabe nur noch für Geimpfte, Genesene, Getestete

Die Marburger Tafel will ab 16. August, also ehe bundesweit die Regeln wieder verschärft werden, nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete bedienen. Der Bundesverband der Tafeln stellt sich dahinter. So funktioniert der Impfzwang für Arme.
Etwas Unterwerfung muss drin sein – Tafel-Ausgabe nur noch für Geimpfte, Genesene, GetesteteQuelle: www.globallookpress.com © Robert B. Fishman via www.imago-

von Dagmar Henn

Die Tafeln sind kein gänzlich unschuldiges Projekt. Die vielen Vereine, die nach dem Konzept bundesweit Ausgabestellen für Lebensmittel und mancherorts auch für Kleidung betreiben, sind im Gefolge der Hartz-Gesetze groß geworden und versorgen mittlerweile 1,6 Millionen Menschen in Deutschland. Sie erhalten zum großen Teil abgelaufene Lebensmittel von Supermarktketten, die diese dann nicht mehr entsorgen müssen und für die sie zudem eine Spendenbescheinigung erhalten.

Dazu kommt, dass sie nicht einfach mal zugänglich sind, wenn jemand dringend Lebensmittel braucht. Im Gegenteil, es gibt längst Orte, in denen Wartelisten für die Tafeln bestehen und die Kundschaft ausgewählt wird. Man muss seine Bedürftigkeit erst ordentlich bürokratisch nachweisen.

Es gibt eine festgelegte Ausgabezeit, und wer mehrere Male fehlt, verliert seinen Anspruch. Im Falle der Marburger Tafel darf man zwei Jahre lang alle vierzehn Tage kommen und muss dann ein Jahr pausieren. Nur regelkonforme Arme werden bedient. So, wie die Fuggerei von den Bewohnern die tägliche Verrichtung von Gebeten für den Stifter verlangte und damit vorführte, wie nach dem Begriff der damaligen Zeit ein ordentlicher Armer sich zu verhalten hatte.

Die Sprache der Tafeln erinnert an die Jobcenter, die ihre Opfer ebenfalls "Kunden" nennen, obwohl sie keines der Rechte besitzen, die ein Kunde üblicherweise hat. Die Kunden der Tafeln dürfen für die Lebensmittel, die sie erhalten, zahlen. Einen kleinen Betrag nur, und die Begründung ist, dann müssten sie sich nicht als Empfänger von Almosen empfinden; aber die Entrichtung eines Preises verschafft ihnen üblicherweise nicht das Recht, die Ware auszuwählen.

Die Tafeln gibt es in Deutschland seit 1993, aber es war die gezielte Verarmung durch Hartz IV, die sie enorm auf bundesweit 965 Ausgabestellen anwachsen ließ; und auch die Lockdowns haben die Zahl der Abnehmer weiter erhöht, obwohl im ersten Lockdown die Hälfte der Tafeln nicht geöffnet war. Gäbe es Sozialleistungen, die tatsächlich den Bedarf decken (der Paritätische berechnete dafür 2020 einen Betrag von 644 Euro), dann gäbe es nicht so viele Tafeln; und andersherum – dass es sie gibt, verringert deutlich den Druck, bedarfsdeckende Leistungen einzuführen.

Diese Hintergründe muss man kennen, um zu verstehen, was die Marburger Tafeln reitet, wenn sie verkünden, in ihren Ausgabestellen gälten ab dem 16. August die 3-G-Regeln. Das bedeutet, wer nicht genesen oder geimpft ist, muss einen tagesaktuellen Test vorweisen. Diese Regeln gelten augenblicklich selbst für Einkaufszentren und Geschäfte außerhalb des täglichen Bedarfs nicht mehr. Geschäfte, die den lebensnotwendigen Bedarf decken, fielen allerdings bisher nicht unter die 3-G-Regel.

Die Reaktionen auf diese Ankündigung waren entsprechend begeistert. Auf der Facebook-Seite des Marburger Tafel e.V. reichen sie von "Schämt Euch in Grund und Boden!" über "Ausgabe nur noch an regimetreue Arme?" bis hin zu Ankündigungen, Spenden einzustellen.

Der Bundesverband Tafel Deutschland e.V. hat auf Twitter auf die wütenden Reaktionen reagiert, allerdings das Problem nicht gänzlich erfasst:

Ja, die Ehrenamtlichen, auf die sich die Tafeln vor allem stützen, sind mehrheitlich über 60. Aber in den Ausgabestellen wird weder gegessen noch Sport getrieben, mit Sicherheit auch selten gesungen, und körpernahe Dienstleistungen sehen auch anders aus. Wenn man sie schützen will, sollte eine normale Maske genügen.

Schließlich versorgen die Tafeln nicht mit Luxusgütern oder elektronischem Spielzeug, sondern mit Lebensmitteln, für deren Erwerb andernorts eine Maske genügt. Gleichzeitig scheint weder beim Bundesverband Tafel Deutschland e.V. noch bei der Marburger Tafel die Tatsache angekommen zu sein, deren sich die erbosten Kommentatoren sehr bewusst sind: dass politisch gerade diskutiert wird, die Tests für Ungeimpfte ab Oktober kostenpflichtig zu machen. Dann würde die Marburger Regelung nämlich tatsächlich zu einer Verweigerung der Versorgung für Arme beziehungsweise zu einer privat diktierten Impfpflicht.

Vielleicht sollte jemand der Marburger Tafel einmal verraten, dass Schritte in Richtung Impfpflicht einen Pferdefuß haben. Sollten nämlich jene, die ihre Leistungen benötigen, in Folge einer dadurch erzwungenen Impfung erkranken, wäre womöglich die Marburger Tafel schadensersatzpflichtig.

Die Aussage des Bundesverbands allerdings lässt aufhorchen, weil sie nahelegt, dass der Beschluss der Marburger Tafel nur eine Art Testballon ist, dem andere Vereine folgen werden. Und das wiederum könnte Befürchtungen verstärken, dass für den Herbst tatsächlich geplant wird, Menschen ohne Impfung vom ungetesteten Zugang zur Grundversorgung auszuschließen. Diese Idee kursiert zwar bisher nur als Schlagzeile des Focus ohne weitere Belege, doch ist der Focus kein sonderlich oppositionelles Blatt, hätte also wenig Grund, die Maßnahmen schärfer darzustellen, als sie geplant sind.

Sollte dem so sein, unter allen Vorbehalten, dann würden die Tafeln zum naheliegenden Anlaufpunkt. Die Marburger Regel könnte andeuten, dass es dieses Schlupfloch nicht geben wird.

Was sie aber auf jeden Fall zeigt, ist, wie bedenkenlos in einer sich sozial dünkenden Szenerie ohne jede Grundlage über grundlegende Bedürfnisse hinweggegangen wird. Es ist gerade der privatrechtliche Charakter dieser Notversorgung, der es ermöglicht, noch weit über die ohnehin rigiden staatlichen Vorgaben hinauszugehen. Eine öffentliche Einrichtung könnte das nicht. Kirchliche Suppenküchen wissen, dass sie ihren Zweck verfehlen, wenn sie solche Regeln aufstellen.

Der Bundesverband Tafel Deutschland e.V. hingegen, in dessen Kuratorium Daimler, Rewe, Metro und Lidl vertreten sind, testet in seinem Marburger Ableger, wie weit man das Modell Fuggerei heute treiben kann. Klar, Gebete sind nicht mehr so gefragt. Aber etwas Unterwerfung muss für einen ordentlichen Armen schon drin sein.

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