China: Washingtons strategisches Spiel mit dem Feuer
von Rainer Rupp
Während des dreitägigen G7-Außenministertreffens Anfang Mai in London überbrachte der US-Außenminister Antony Blinken seinen Verbündeten eine Botschaft: Es sei nicht die Absicht der USA, China einzudämmen oder China aufzuhalten, sondern "die internationale regelbasierte Ordnung" zu verteidigen. Zugleich betonte er, dass Fragen über die Autonome Region Xinjiang [Anm.: in der Uiguren knapp die Hälfte der Bevölkerung stellen], die Sonderverwaltungszone Hongkong und die Insel Taiwan damit zusammenhingen, ob China sich an die "internationale, regelbasierte Ordnung" halte.
Aber selbst westliche Medien machten kein Geheimnis daraus, dass das Hauptanliegen dieses G7-Außenministertreffens Washingtons Bestreben war, eine neue Front gegen China aufzubauen. Wenn also Blinken öffentlich jegliche Behauptung eines neuen "Kalten Krieges" zwischen den USA und China zurückwiesen hat, so hat er das aus taktischen Gründen getan, um die Geschäftswelt und die Bevölkerung in den NATO-Mitgliedsländern nicht unnötig zu alarmieren. Denn in dieser Frage muss Washington vorsichtig agieren.
Die US-Kriegstreiber sind sich nämlich bewusst, dass sie Europa und Japan nicht allzu sehr dazu drängen können, sich wirklich von China zu entkoppeln. Denn diese Länder wollen und müssen – obwohl sie auch ihre Differenzen mit China haben – in bestimmten Fragen mit der Volksrepublik China zusammenarbeiten.
Chinas Anziehungskraft für den Rest der Welt liegt nämlich nicht nur in seiner immensen Rolle als führender Importeur von Maschinen, Rohstoffen, Lebensmitteln bis hin zu Modeartikeln, sondern China ist auch als Exporteur zu einem einzigartig wichtigen Glied in der weltweiten Lieferkette geworden, egal ob es sich um Fertigprodukte oder Schlüsselkomponenten für die industrielle Produktion handelt, um Seltene Erden, um lebenswichtige Vorprodukte für die Pharma-Industrie oder um High-Tech-Systeme zum Beispiel für die Telekommunikation und Künstliche Intelligenz.
Aus diesen Gründen ist der neue Kalte Krieg der US-Amerikaner gegen China bei den Verbündeten der USA sowohl in Europa als auch in Asien nicht gerade beliebt, auch wenn sich die Eliten dieser Länder bemühen, nach außen so zu tun, als wären sie bereits auf US-Kurs.
Zugleich gibt es Anzeichen, dass die politischen Eliten innerhalb der USA die dahinsiechende Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen und generell der westlichen Wirtschaft sowie die nicht mehr aufzuhaltende gesellschaftliche Desintegration im Westen erkannt haben. Sie scheinen sich dessen bewusst zu sein, dass die westlichen Regierungssysteme nicht mehr in der Lage sind, substanzielle Reformen einzuleiten und dann auch durchzuziehen. Um angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik Chinas und ihrer globalen Ausstrahlung weiterhin an der Macht zu bleiben, bleibt den US-Eliten und ihrer westlichen Gefolgschaft nur die Hoffnung, eine fundamentale, militärisch basierte Opposition gegen China und auch Russland sowie auch gegen deren wachsende Einflusszonen zu schaffen. Mit anderen Worten, wenn die westlichen Eliten mit ihrem neoliberalen, kriminellen System der "regelbasierten internationalen Ordnung" nicht schon bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landen wollen, müssen sie jetzt – notfalls mit Gewalt – ein neues internationales System schaffen, vom dem China und Russland ausgegrenzt sind. Nur so können die westlichen Eliten in dem ihnen verbleibenden Rest der Welt weiterhin dominieren.
Deshalb müssen China und Russland möglichst eng eingepfercht und mit einem "Cordon Sanitaire", einem Schutzgürtel umgeben werden, der sie von den vom Westen weiterhin dominierten Regionen abschottet. Nur so können die USA unter den bestehenden wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Entwicklungen und Bedingungen weltweit ihre Hegemonie wenigstens in einem Teil der Welt aufrechterhalten. Das sind in etwa die Vorstellungen ihrer neuen Weltordnung, die den Herren in Washington vorschweben. Dabei gehen sie davon aus, dass sie ihre Verbündeten weiterhin bei der Stange halten und kontrollieren können, wenn sie schwelende Konflikte mit China und Russland ständig auf kleiner Flamme schüren, diese aber zugleich unterhalb der Schwelle zu einem heißen Krieg beherrschen können.
Dieses Ziel darf natürlich gegenüber der westlichen Öffentlichkeit nicht deutlich ausgesprochen werden. Um Zeit zu gewinnen, lehnt die neue Biden-Regierung in der Öffentlichkeit einen Kalten Krieg gegen China ab, um aber zugleich in der realen Politik genau das Gegenteil zu tun. Dazu gehört auch, dass man in Washington, D.C. keine Mühen scheut, um in der US-amerikanischen und allen westlichen Gesellschaften Feindseligkeit gegenüber China zu schüren. Dabei geht die Biden-Regierung, wenn es um Fragen zu Xinjiang, Hongkong oder Taiwan geht, noch weitaus aggressiver vor als zuvor die Trump-Regierung. Darüber hinaus versucht die Biden-Regierung, die Welt systematisch zu spalten und strategische Konfrontationen aufzubauen, anstatt die Grundlagen für gegenseitig vorteilhafte Entwicklungen zu schaffen, nämlich durch Win-Win-Konstellationen, wie das China und Russland anstreben.
Vor diesem Hintergrund hat die Global Times, die internationale Tageszeitung der KP Chinas, am 5. Mai dieses Jahres in einem bemerkenswerten Grundsatzartikel westliche Länder gewarnt, sich nicht auf Druck der USA von China abzukoppeln, denn dann würden sie "auf eine Verlustreise gehen". Tatsächlich bestünde die weitaus bessere Option für das US-Gefolge in Europa darin, – so die Zeitung weiter – "im größtmöglichen Umfang ein Gleichgewicht zwischen China und den USA zu finden". Das heißt, "sich einer offenen Konfrontation mit Washington in der China-Frage zu entziehen und zugleich eine Auseinandersetzung mit China zu vermeiden". Zugleich sei es auch im Interesse der westlichen Länder, "die Konfrontation gegenüber Russland abzuschwächen, anstatt sie zu intensivieren", so die Global Times.
Weiter führt die KP-Zeitung aus:
"Je mehr die westlichen Länder ihr antagonistisches Bündnis gegen China und Russland stärken, desto mehr werden die beiden Länder zusammenrücken." Das sei "eine Grundregel der Politik". Mit seiner strategischen Konfrontationspolitik gegen China und Russland spiele Washington "mit dem Feuer", so die Global Times, um dann den Westen daran zu erinnern, dass heute "die kombinierte Macht Chinas und Russlands weitaus größer ist als die der ehemaligen Sowjetunion und der übrigen Staaten des Warschauer Vertrages zusammengenommen. Die wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische Stärke Chinas und Russlands ist nicht nur enorm, sondern hat auch weitreichendere Auswirkungen auf die ganze Welt. Sollte jemand versucht sein, diese Tatsache mit Füßen zu treten und China und Russland dazu drängen, sich in einem verzweifelten Kampf zusammenzuschließen, dann wird das sein Albtraum sein", warnt die Zeitung.
An die Adresse individueller Staaten in der Region gerichtet, auf die Washington Druck ausübt, erging die Warnung, sich nicht von den USA und dem Westen gegen China oder Russland instrumentalisieren zu lassen, sonst würden sie "eine Katastrophe erleben". Zweifellos sei die "strategische Einheit zwischen China und Russland zuerst gegen die Hegemonie der USA gerichtet", aber andere Länder sollten sich "nicht dazu hinreißen lassen und glauben, dass die USA ihnen den Rücken freihalten". Sie sollten besser "nicht proaktiv einen Streit anzetteln, sondern vermeiden, eine Zielscheibe von China und Russland zu werden".
Der Kommentar der chinesischen KP-Zeitung schließ mit einer versöhnlichen Note und betont:
"Sowohl China als auch Russland sind strategisch zurückhaltend. Sowohl China als auch Russland erkennen öffentlich an, dass sie sehr spezifische Probleme mit einigen ihrer Nachbarn haben, die aus der Geschichte übriggeblieben sind. Aber beide Länder üben Zurückhaltung. Beide setzen sich für die Aufrechterhaltung des internationalen Systems mit der Charta der Vereinten Nationen und der völkerrechtlichen Ordnung im Mittelpunkt ein. China und Russland arbeiten geduldig daran, jedes auftauchende Problem zu lösen, und zwar im Geist der Zusammenarbeit und zum gegenseitigen Nutzen."
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