Meinung

Schlecht beraten: Thinktank der Bundesregierung rät zu Waffenlieferungen an die Ukraine

In einem Beitrag der SWP wird der Bundesregierung geraten, der Ukraine Waffen zu liefern. Der mit Steuern finanzierte Thinktank rät zudem zur Konfrontation mit Russland. Die Argumentation ist haarsträubend und wurzelt in unbewiesenen Behauptungen.
Schlecht beraten: Thinktank der Bundesregierung rät zu Waffenlieferungen an die UkraineQuelle: Sputnik © sputnikimages.com/Stringer

von Gert Ewen Ungar

Anfang Juli veröffentlichte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) einen Beitrag von Dumitru Minzarari und Susan Stewart. Die Autoren sprechen sich für Waffenlieferungen der Bundesrepublik an die Ukraine aus. Wichtig ist dabei der Erscheinungsort sowie die Argumentation.

Die SWP ist ein bereits in den 1960er-Jahren gegründeter Thinktank, der zu politischen Themen arbeitet. Die zentrale Aufgabe ist die Beratung der Bundesregierung und des Bundestages. Finanziert wird die SWP aus Steuermitteln und zusätzlich aus der Einwerbung von Drittmitteln für einzelne Forschungsprojekte. Die Stiftung beschreibt sich selbst als Ort des Austausches von Wissenschaft und Politik. "Ein Ort, an dem politische Entscheiderinnen und -entscheider [Fehler im Original] mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SWP im vertraulichen Rahmen Fragen diskutieren und Ideen durchspielen können", ist auf der Webseite zu lesen.

Darüber hinaus beschreibt sich die SWP als unabhängig. Die Biografien der Referenten zeugen allerdings von einer tiefen Einbettung in westliche, transatlantische Organisationen und Strukturen. So mag sich die SWP für unabhängig halten, einseitig ist sie allemal.

Minzarari, einer der Autoren eines aktuellen Beitrags, der mit "The Logic of Defence Assistance to Ukraine A Strategic Assessment" (Die Logik der defensiven Unterstützung der Ukraine. Eine strategische Bewertung) überschrieben ist, hat in den USA internationale Beziehungen studiert. Für die OSZE hat er im Rahmen von Beobachtermissionen in der Ukraine und Kirgisistan gearbeitet und hatte zuletzt ein Forschungssemester am NATO Defense College in Rom absolviert.

Seine Co-Autorin Stewart spricht sich in ihren Beiträgen für die SWP immer wieder für eine "robustere Russlandpolitik" aus. Damit steht sie bei der SWP nicht allein, denn die Stiftung bleibt beim Thema Russland in der Rhetorik der Konfrontation stecken und verkürzt bei komplexen Themen, die eigentlich umfassende Analysen und eine feine Differenzierung benötigen, die Argumentation auf einseitige Schuldzuweisungen an Russland. Es ist offenkundig der Geist des neuen Kalten Krieges, der auf den Fluren der SWP weht und sich in den Beiträgen niederschlägt. Eine tatsächliche wissenschaftliche Ausgewogenheit sucht man vielfach vergebens.

Im aktuellen Beitrag zur Ukraine sprechen sich die beiden Autoren für die Lieferung sogenannter defensiver Waffen an das Land aus. Über die Problematik des Begriffs "defensive Waffe" soll es hier nicht gehen. Aber natürlich ist es so, dass eine Vielzahl der Waffen, die als defensiv gewertet werden, auch offensiv eingesetzt werden können. Der Begriff ist daher irreführend. Es geht einfach um Waffenlieferungen.

Im Beitrag wird die These vertreten, dass Waffenlieferungen der Deeskalierung eines Konfliktes dienen können. Konkret beziehen sich die Autoren dabei auf eine Analyse der RAND Corporation, eines Thinktanks, der die US-Armee berät. Dieser will einen Zusammenhang zwischen Waffenlieferungen in Krisengebiete und der Befriedung von Konflikten festgestellt haben. Dabei ist dieser Zusammenhang wenig evident. Beispiele, die zeigen, dass die Lieferung von Waffen in eine Krisenregion zu einem dauerhaften und stabilen Frieden geführt hat, wollen spontan auch nicht einfallen.

Was der Beitrag verschweigt, ist, dass selbst die russlandfreundlicher Umtriebe völlig unverdächtige RAND Corporation zu der Erkenntnis kam, dass Russland nicht den Konflikt mit NATO-Ländern sucht. Nun mag man einwenden, die Ukraine sei gar nicht in der NATO. Allerdings strebt die Ukraine die Aufnahme in das transatlantische Bündnis an, hat dieses Ziel sogar in die Verfassung aufgenommen. Zudem ist offenkundig, dass die NATO in der Ukraine massiv ihre Interessen verfolgt und das Land zu ihrem Einflussgebiet zählt. Einen direkten militärischen Überfall der Ukraine durch Russland würde die NATO zweifellos entsprechend beantworten.

Die dem Beitrag zugrunde liegende Annahme der Autoren ist dennoch, dass Russland militärisch aktiv in den Konflikt im Donbass involviert ist. Dort stünden russische Soldaten, entsandt und finanziert von Moskau, die aus dem Donbass heraus Krieg gegen die Ukraine führten und die "Separatisten" der Donezker und Lugansker Republiken militärisch unterstützten. Das ist allerdings falsch. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einer Meldung zum Sachstand vom Dezember 2019 zu dem Ergebnis, dass es keine ausreichenden Belge für eine aktive militärische Beteiligung Russlands gebe. Wörtlich heißt es da:

"Die Frage, ob pro-russische Separatisten in der Donbass-Region derzeit von Moskau aus kontrolliert und gesteuert werden, oder ob sich noch reguläre russische Truppen auf ukrainischem Territorium aufhalten, lässt sich ohne belastbares Faktenmaterial – insbesondere ohne entsprechende Geheimdienstinformationen – nicht zuverlässig beantworten."

Es handelt sich um einen Bürgerkrieg, nicht um einen internationalen militärischen Konflikt. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Krieg Russlands gegen die Ukraine.

Trotz dieser Tatsache spricht der Beitrag der beiden Autoren von "Russian attacks", russischen Angriffen, sowie von "war between Russia (…) and Ukraine", Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Genau für diese zugrunde liegende Behauptung gibt es keinerlei Beweise. Auf ihr aber baut die Argumentation des Beitrags auf. Er wirkt damit genauso verlogen wie Beiträge des deutschen Mainstreams, die die militärische Präsenz russischer Truppen im Donbass ebenfalls faktenfrei behaupten. Der deutsche Mainstream täuscht dabei seine Leser, die SWP mit ihrer dezidierten Beratungsfunktion täuscht politische Entscheider.

Aber noch an anderen Stellen ist die Argumentation nicht schlüssig. Der Beitrag drängt darauf, dass Deutschland aktiv Waffen an die Ukraine liefert, stellt aber gleichzeitig fest, dass andere Länder dies bereits seit geraumer Zeit tun, neben den USA, Großbritannien und Kanada auch Litauen. Die Frage, warum nun auch Deutschland mit Waffenlieferungen beginnen sollte, stellt sich hier unmittelbar. Die Ukraine wird umfassend mit Waffen versorgt. Der Machtwechsel in Washington zu Beginn des Jahres brachte für den Donbass zudem zwar eine Eskalation des Konflikts, aber keine Entscheidung. Mit dem Machtwechsel in Washington nahmen die Gefechte zu. Die aggressiven Handlungen der Ukraine waren offenbar mit der Biden-Administration abgestimmt. An der Situation insgesamt hat sich jedoch nichts geändert. Der Bürgerkrieg schwelt.

So bleibt letztlich noch das Argument, die Kosten für Russland in die Höhe zu treiben. Mit einer militärisch stärkeren Ukraine hätte Deutschland mehr Verhandlungsmacht und wäre in einer besseren Position, um Russland zu Kompromissen zu zwingen, argumentieren Stewart und Minzarari. Auch das wirkt vor dem Hintergrund naiv, dass Russland gar keine Konfliktpartei ist. Folgt man der Logik des Beitrags, ist es zudem wahrscheinlicher, dass eine Eskalationsspirale droht. 

Was der Beitrag, der sich komplett der Kriegslogik verschrieben hat, in diesem Zusammenhang völlig außer Acht lässt, sind wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen. Die Ukraine ist inzwischen das ärmste Land Europas. Es hängt völlig am Tropf westlicher Institutionen wie dem IWF, ist abhängig von Krediten und Zuwendungen westlicher Geldgeber. Junge Menschen verlassen das Land in Scharen als Arbeitsmigranten in Richtung Polen einerseits, in Richtung Russland andererseits. Der Niedriglohnsektor im wirtschaftlich prosperierenden Polen steht Arbeitsmigranten aus der Ukraine offen. Die Ukraine blutet ökonomisch aus. Eine wirtschaftlich souveräne Ukraine wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Die Ukraine ist ein Proxy, ein Stellvertreter westlicher Staaten ohne eigene Autonomie in zentralen Fragen, denn die Ukraine sitzt in der Schuldenfalle. Zusätzliche Kredite für Waffen würden diese Abhängigkeit noch weiter vertiefen.

Als vollständig abhängiger Proxy dient die Ukraine der Eskalation des Verhältnisses westlicher Staaten zu Russland. Implizit macht genau dies der Beitrag des SWP deutlich, denn seine Vorschläge zielen nicht auf eine Befriedung des Konflikts, sondern auf eine Zementierung einer neuen Ost-West-Konfrontation. Die Ukraine wird machtpolitisch auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung instrumentalisiert.

Dabei liegt es nicht im Interesse Europas, Konflikte einzufrieren und neue Konfrontationslinien quer durch den europäischen Kontinent zu ziehen. Die beiden Autoren der SWP raten allerdings genau dazu.

So ist vor allem eines festzuhalten: Die Bundesregierung wird schlecht beraten. Die Vorschläge der SWP sind nicht geeignet, den Konflikt in der Ukraine zu befrieden und Europa zu einem Kontinent des Friedens zu machen. Die zugrunde liegenden Annahmen sind falsch. Die Argumentation folgt der Logik der Konfrontation und des Kalten Krieges. Ihr zu folgen brächte erhebliche Nachteile für die Ukraine, für Deutschland, die EU und Europa als Ganzes. Die Bundesregierung wäre daher gut beraten, sich neue Berater zu suchen.

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