Meinung

Regenbögen und Kniefälle: Um welche Menschenrechte geht es denn?

Bei der Fußball-Europameisterschaft wurde die Situation sexueller Minderheiten in Ungarn als so kritisch eingestuft, dass der Sport einen ganzen Spieltag in den Hintergrund trat. Statt ihre Mannschaften mit den Nationalflaggen zu unterstützen, sollten die Zuschauer in den Stadien Regenbogenfahnen wehen lassen. Aber ging es dabei wirklich nur um die Rechte der LGBT-Gemeinschaft?
Regenbögen und Kniefälle: Um welche Menschenrechte geht es denn?Quelle: Reuters © Kai Pfaffenbach

von Felicitas Rabe

Wie nie zuvor wird die aktuelle Fußball-Europameisterschaft politisch instrumentalisiert. Spiel für Spiel geht es weniger um schöne Tore und Ballstafetten, dafür mehr um die angebliche Verletzung der Menschenrechte von Minderheiten. Die Diskussion über die Regenbogen-Beleuchtung des Münchner Stadions beim Spiel Deutschland – Ungarn entfachte kurzzeitig sogar mehr mediale Aufmerksamkeit als die Gefährdung durch das grassierende Deltavirus in den Fußballstadien.

Doch sind Homo- und Transsexuelle in Ungarn tatsächlich akut durch die ungarische Regierung gefährdet? Oder wird die vermeintlich schreckliche Lage der sexuellen Minderheiten in Ungarn nur als Vorwand für eine ganz andere Agenda genutzt? Gibt es möglicherweise auch andere Gründe, warum der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ins mediale Kreuzfeuer geraten ist?

Und warum wird jetzt im Fußball der Versuch unternommen, die deutsche Nationalflagge durch die Regenbogenfahne zu ersetzen? Dies ist doch gerade für Fans aus Deutschland einige der wenigen Optionen, sich schuldfrei zur eigenen Identität zu bekennen und sich mit ihrem Land und seiner Kultur zu identifizieren. Muss diese Möglichkeit zugunsten mutmaßlicher Unterdrückung bestimmter Minderheiten in anderen Ländern aufgegeben werden? Ist das Pochen auf die Rechte von sexuellen und ethnischen Minderheiten in anderen Ländern wichtiger als das Bekennen zur eigenen Nation?

Wie widersprüchlich ist es, dass man mit Regenbogenfahnen angeblich auch Respekt und Toleranz gegenüber anderen Kulturen vermitteln sowie antirassistische Gesinnung zum Ausdruck bringen will, aber gleichzeitig werden Einstellungen und Werte von anderen Kulturen, sofern es gerade politisch opportun ist, an den Pranger gestellt? Hier entsteht auch der Eindruck, dass nationale Kulturen und Identitäten in dem Wertekanon der Regenbogenmoralisten als nationalistisch und überholt angesehen werden. Als wäre man schon ein Nazi, wenn man sich mit der eigenen Kultur identifiziert, oder aus verschiedensten Gründen für den Erhalt der europäischen Nationalstaaten, ihrer Kultur, ihrer Verfassungen und ihrer unterschiedlichen Rechtssysteme plädiert.

In Deutschland weht die Regenbogenfahne mittlerweile auf immer mehr öffentlichen Plätzen, vor christlichen Kirchen und jetzt sogar bei Fußball-Länderspielen. Zwar wird sie offiziell für die Rechte der LGBT-Menschen gehisst – also nicht um die Nationalflagge zu ersetzen. Dennoch entsteht eine nebulöse Verwirrung über das Motiv.

Denn tatsächlich gibt es insbesondere seitens der internationalen Finanzelite und ihrer supranationalen Agenda, vor allem in Europa, ein großes Interesse, die Nationalstaaten aufzulösen. So veröffentlichte der European Round Table of Industrialists letzten Sommer inmitten der Pandemie ein neues Strategiepapier: "European Industrial Leaders Support the Next Generation EU Recovery Plan" (Europäische Wirtschaftsführer  unterstützen den  EU-Rettungsplan der nächsten Generation). Unter den sechs Schlüsselelementen wird darin ausdrücklich der Punkt: "Avoiding Protectionism & Economic Nationalism" (Protektionismus und wirtschaftlichen Nationalismus verhindern) aufgeführt.

Offensichtlich stören das übriggebliebene Volkseigentum und die nationalen Arbeitsrechte oder diesbezügliche soziale Menschenrechte der einzelnen EU-Staaten weiterhin die Profitinteressen internationaler Aktionäre von BlackRock & Co. Noch haben viele EU-Länder Gesetzgebungen, die der maximalen Ausbeutung der Menschen und Ressourcen in Europa durch die internationalen Heuschrecken Grenzen setzen könnten. So ist die in Deutschland gesetzlich festgelegte Qualität des Trinkwassers den internationalen Wasserkonzernen schon lange ein Dorn im Auge. Für sie lohnt es sich nicht, in etwas zu investieren, wenn die fehlende Qualität eingeklagt werden kann.

Aktuell werden besonders die Chancen zum Ersetzen nationaler Gesundheitssysteme genutzt. Laut der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC benötigt man die genetischen Fingerabdrücke aller Bürger – für die sogenannte neue Präzisionsmedizin. Mittels dieser Präzisionsmedizin sollen angeblich genetisch feststellbare Gesundheitsrisiken die individuell passende Behandlung mittels digitaler Beratung erfahren.

Das gen-ethische Netzwerk veröffentlichte dazu bereits 2018 den Beitrag des britischen Medizinprofessors David Taylor-Robinson. Er bezweifelt, ob die genetischen Datenbanken und die diesbezüglichen Forschungen allen Menschen zugute kommen werden. Oder ob die genetischen Daten letztendlich nur für die Entwicklung teurer Behandlungsmethoden für Reiche genutzt werden, während die vorhandenen allgemeinen Gesundheitssysteme ausgehöhlt werden.

Auch demokratisch verbriefte Grundrechte in den jeweiligen nationalen Verfassungen, wie zum Beispiel das Versammlungsrecht und das Recht auf freie Meinung stehen den Mediensprachrohren der internationalen Finanzelite immer mehr im Weg. Denn wahrscheinlich sind die Gefahren, die durch Protest und Widerstand der Bevölkerung in den einzelnen Ländern für die Finanzelite entstehen, aufgrund der Verbundenheit der Menschen in den einzelnen Staaten ungleich größer als die Gefahren durch den Widerstand einer identitätslosen Masse, die bei Auflösung dieser Strukturen und Identifikationen entstehen könnte. Wird also mit bunten Menschenrechtsfahnen eigentlich in den Krieg gegen die sozialen Menschenrechte gezogen?

Spätestens seit dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999 wurde das Menschenrechtsmotiv für handfeste kriegerische Zwecke und die Auflösung von Nationalstaaten missbraucht, wie Jean Brickmont in seinem Buch "Humanitarian Imperialism: Using Human Rights to Sell War" (Humanitärer Imperialismus: Mit Menschenrechten werden Kriege verkauft) nachweist. Auch die US-amerikanische Autorin Diana Johnstone stellt diese Art des Menschenrechtsmissbrauchs in ihrem Buch "Narrenkreuzzug: Jugoslawien, NATO und westliche Wahnvorstellungen" detailliert im Hinblick auf die Zerstörung Jugoslawiens dar.

Um insbesondere die kriegskritische Bevölkerung in Deutschland davon zu überzeugen, dass sich die Bundeswehr am Krieg gegen Jugoslawien beteiligen "muss", wurde der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milošević monatelang in der deutschen Presse als Schlächter von ethnischen und religiösen Minderheiten dämonisiert. Zur angeblichen Verteidigung der Menschenrechte von ethnischen und religiösen Minderheiten müsse die NATO eingreifen und so durfte sich die Bundeswehr erstmalig nach 1945 am Bombardement beteiligen.

Der Appell an die Moral der Deutschen hat vor allem deshalb funktioniert, weil sie nicht wieder dafür verantwortlich gemacht werden wollten, dass aufgrund ihres "tatenlosen Zuschauens" angeblich eine ethnisch religiöse Minderheit – in dem Fall die der muslimischen Kosovaren – diskriminiert, wenn nicht gar vernichtet würde.

Um solche interventionistischen "Menschenrechtskriege" zu rechtfertigen – denn schließlich hatte Jugoslawien ja nicht durch Angriffe auf andere Länder einen NATO-Verteidigungsfall ausgelöst –, wurde dann auch noch zusätzlich die R2P-Doktrin geschaffen (Responsibility to Protect). Diese Doktrin besagt, dass ein ausländisches Militär zum Schutz der Menschenrechte von Minderheiten Bomben auf ein friedliches Land werfen darf. Dabei wird nicht gefragt, ob sich zum Beispiel die betroffenen Frauen, Männer und Kinder in Bengasi in Libyen tatsächlich wünschten, dass angeblich zu ihrem Schutz ihr Land bebombt wurde.

Ob in Wirklichkeit äußere Profitinteressen darüber entscheiden, wann welches Land angeblich die Menschenrechtsvorstellungen der internationalen Finanzelite verletzt, fragt niemand. In jedem Fall scheint die "Fit-For-All-Menschenrechtsmoral" gerade deshalb zur Rechtfertigung von Kriegen, Zerstörung von Staaten und Gesellschaften so geeignet zu sein, weil sie auf dermaßen verwirrende Weise an das Moralgefühl der Menschen appelliert, dass die tatsächlichen Geschehnisse und Motive und das klare Denken ausgeblendet werden.

So wird auch aktuell nicht hinterfragt, ob mit der über allem stehenden Forderung nach mehr Rechten für sexuelle Minderheiten und deren LGBT-"Kultur" in Wirklichkeit von den Forderern im Hintergrund nicht auch eine Abschaffung der vielfältigen religiösen und regionalen Kulturen beabsichtigt sein könnte. Unterschiedliche religiöse und nationale Kulturen haben unterschiedliche Gebräuche, Rechtssysteme und Errungenschaften hervorgebracht, mit denen sich Menschen identifizieren und die gemeinschaftsstiftend sind. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass kulturell bedingte Identitäten und nationale Verbundenheitsgefühle trotz der scheinbaren Verteidigung der Rechte von ethnischen Minderheiten zugunsten einer supranationalen LGBT-Doktrin abgeschafft werden sollten.

Werden sexuelle und ethnische Minderheiten womöglich von den herrschenden Kreisen zur Etablierung einer geschichtslosen Einheitskultur missbraucht, weil sie sich zur Stiftung von Verwirrung und aufoktroyierten Schuldgefühlen so gut eignen?

Völlig ausgeblendet wird zynischerweise, dass die weltweite Umverteilung aller gemeinschaftlichen Reichtümer in die privaten Schatullen zur weltweiten Vermehrung von Hunger und Elend führen und zur Verletzung der Menschenrechte der armen Bevölkerung in einem himmelschreienden Ausmaß. Dies geschieht vor allem auch durch die immer größere Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung zum Wohle der superreichen Aktionäre. Arbeitsrechte werden von den scheinheiligen Menschenrechtsphilanthropen nicht thematisiert.

Außen vor gelassen wird ebenso, dass die Menschenrechte auf Gesundheit und gesunde Nahrungsmittel durch die Vergiftung der Böden und des Wassers von eben diesen moralisierenden Superreichen und deren Chemiekonzernen hintergangen werden. Obwohl die Reichtumskonzentration und Vergiftung der landwirtschaftlichen Flächen schon jetzt an vielen Orten der Welt für das Sterben tausender Menschen verantwortlich sind.

In Deutschland beantragten im Frühjahr 2019 bei der gesetzlichen Einführung der Geschlechtsoption "divers" gerade mal 20 Personen den Diverseintrag im  Personalausweis. Auch wenn nicht alle sich als divers identifizierenden Personen diesen Eintrag beantragten, handelt es sich doch um eine verhältnismäßig kleine Anzahl benachteiligter Mitmenschen, für die hier ein Riesenzinnober veranstaltet wird.

Vor allem aber werden tatsächliche geschlechtsspezifische und rassistisch motivierte Ungerechtigkeiten überhaupt nicht ernsthaft angegangen. Vom Mannschaftskapitän Manuel Neuer mit der Regenbogenbinde am Arm wurde z. B. nicht gefordert, dass deutsche Fußballnationalspielerinnen den gleichen Verdienst erhalten sollten wie ihre männlichen Kollegen.

Es gibt von den LGBT-Aktivisten keine konkrete Forderung, dass im deutschen Sexualkundeunterricht neben den heterosexuellen auch die sexuellen Praktiken von Schwulen und Lesben erklärt werden sollten. Denn trotz aller Klagen über die angeblich mangelnde Akzeptanz von Schwulen und Lesben in Ungarn, ist doch den Regenbogenfahnen schwingenden Menschen klar, dass dies von der Mehrheit der Eltern auch hierzulande abgelehnt würde.

Die Kniefälle zur Erinnerung an den getöteten Afroamerikaner George Floyd in den Fußballstadien waren dementsprechend ein zahnloses Ritual. Sie waren nicht mit der Forderung nach mehr Steuergeldern für Schulen, Lehrer und qualifiziertere Bildung von Afroamerikanern in benachteiligten Stadtteilen verbunden. Zur Erinnerung an Rosa Parks, die erste schwarze Frau, die sich weigerte, im Bus hinten zu sitzen, und damit zur Erinnerung an den permanenten Kampf der Schwarzen für gleiche Rechte, hätte man z. B. fordern können, dass dunkelhäutige Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel für einen Monat umsonst benutzen dürfen.

Aber solche konkreten Forderungen sind offensichtlich gar nicht beabsichtigt. Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation stellte fest, dass Bitten immer konkret sein müssen. Damit der andere weiß, was er tun sollte. Dagegen bleiben Regenbogen-Menschenrechtseiferer mit ihrem ganzen Spektakel, ihren Regenbogenfahnen und ihren Kniefällen so unkonkret, dass soziale und ökonomische geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten dadurch in der Realität überhaupt nicht tangiert werden.

Worum geht es also wirklich?

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