Waffen an die Ukraine! – Robert Habeck oder die Reinkarnation des John McCain
von Leo Ensel
Man kann ja gegen Angela Merkels Management des Ukraine-Konflikts eine Menge einwenden. In mindestens zwei Punkten allerdings blieb sie standhaft wie ein Fels in der Brandung: Was Nord Stream 2 angeht – das fängt selbst die Biden-Administration langsam an zu kapieren –, hat sie bislang jedem Druck aus den Vereinigten Staaten erfolgreich standgehalten. Und sie sprach sich, ebenfalls bis heute mit Erfolg, unmissverständlich gegen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine aus. (Dasselbe gilt für ihre konsequente Weigerung, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.)
Es blieb dem Führungsduo der ehemaligen Partei der Friedensbewegung vorbehalten, hier für Kurskorrekturen um 180 Grad zu plädieren. Kanzlerin-Kandidatin Baerbocks Wettern gegen Nord Stream 2 ist seit Jahren notorisch. Nun aber soll, geht es nach dem männlichen Parteivorsitzenden, ein weiteres Tabu fallen: Der Westen soll, so Robert Habecks Plädoyer am Dienstag- und Mittwochmorgen im Deutschlandfunk, endlich Waffen an die Ukraine liefern. Rein defensive – so viel Pazifismus muss (noch) sein –, versteht sich!
Auch wer bislang noch nicht zum Buddhismus oder Hinduismus konvertiert oder gar Agnostiker ist, kommt spätestens jetzt schwer ins Grübeln: Das ist doch der im August 2018 verschiedene stramme Republikaner John McCain – der auf jeder Münchner Sicherheitskonferenz genau das gefordert hatte –, wie er leibt und lebt! Sollte an der Reinkarnationslehre am Ende vielleicht doch etwas dran sein?
"Die Ukraine verteidigt auch die Sicherheit Europas!"
"Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, Defensivwaffen, kann man meiner Meinung nach der Ukraine schwer verwehren", sagte Habeck während eines Besuches in der Ukraine am 25. Mai dem Deutschlandfunk. Forderungen aus der Ukraine nach Waffenlieferungen seien berechtigt.
Habecks originelle Begründungen: Die Ukraine – die sich gerade, ohne Mitglied zu sein, am NATO-Manöver "Defender 2021" beteiligt und dem westlichen Militärbündnis großzügig gestattete, die Krim mit Militärflugzeugen zu überfliegen – fühle sich "sicherheitspolitisch alleingelassen. Und sie ist allein. Deutschland baut Nord Stream 2 zu Ende. SPD- und CDU-Ministerpräsidenten wollen die Sanktionen gegenüber Russland wegen der Ukraine aufheben. Es gibt den Truppenaufmarsch im Osten. Die Krim ist annektiert."
Das war aber noch nicht alles:
"Die Ukraine kämpft hier nicht nur für sich selbst, sondern die Ukraine verteidigt auch die Sicherheit Europas hier. Wenn das fällt und sie fühlen sich bedroht, dann ist das eine Einladung an Russland, andere Konflikte ebenfalls eskalieren zu lassen."
Eine Menge Holz, und wie immer in der offiziellen deutschen Erzählung glänzte auch Habecks Variation mit grandiosen Lücken und Verdrehungen. Dass selbst im Westen niemand ernsthaft in Zweifel zieht, dass die Krim-Bevölkerung in ihrer überwiegenden Mehrheit sich für die Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen hat, ist längst eine Binse. Beim "Truppenaufmarsch" lässt Habeck schlau in der Schwebe, welchen er eigentlich meint. Sollte er den der Kiewer Zentralgewalt an der Grenze zu den abtrünnigen Rebellenrepubliken im Donbass meinen, so hätte er sogar Recht! Der russische Truppenaufmarsch an der Westgrenze des eigenen Landes jedenfalls ist bereits seit vier Wochen beendet.
Am abenteuerlichsten ist allerdings die Behauptung, die Ukraine verteidige auch noch Europas Sicherheit. Impliziert sie doch erstens die unbewiesene Unterstellung, Russland würde ansonsten über Europa herfallen, und sie ignoriert zweitens, dass es Kiew war, das Mitte April 2014 unter dem Etikett "Anti-Terror-Operation" Truppen gegen die sogenannten "Volksrepubliken" in Donezk und Lugansk, sprich: gegen das eigene Volk, auffahren ließ! (Dass diese sich gar nicht abgespalten hätten, wäre es nicht am 22. Februar desselben Jahres zum verfassungsfeindlichen Umsturz infolge der vom Westen massiv unterstützten Maidan-Kämpfe gekommen, lässt Habeck wohlweislich ebenso außen vor wie die Tatsache, dass das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz eine, sachlich ohnehin schwer haltbare, Unterscheidung zwischen offensiven und defensiven Waffen gar nicht vornimmt.)
Der Regierungssprecher widerspricht
Mit seinem Vorschlag, weiteres Benzin ins Feuer zu gießen – immerhin würde die Realisierung eine direkte Konfrontation zwischen der Ukraine und Russland wahrscheinlicher machen, mit unabsehbaren Folgen auch für den Westen –, gelang Habeck das äußerst seltene Kunststück, Vertreter sämtlicher im Bundestag vertretenen Parteien zugleich, einschließlich der eigenen, gegen sich auf den Plan zu rufen.
Nichts demonstriert schlagender, auf welchen friedenspolitischen Hund die einstmals pazifistischen Grünen mittlerweile gekommen sind, als die Tatsache, dass ausgerechnet Regierungssprecher Steffen Seibert sich gezwungen sah, dem Vorsitzenden der Partei mit den gierigsten Regierungsaspirationen scharf zu widersprechen:
"Wir verfolgen eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik und erteilen im Hinblick auf die Ukraine keine Genehmigungen für Kriegswaffen."
Man beachte: Seibert sprach, völlig zutreffend, allgemein von "Kriegswaffen" und nicht etwa von "offensiven" oder "defensiven" Waffen! Der Konflikt in der Ukraine, so belehrte er den waffenaffinen Grünen, müsse aus Sicht der Regierung politisch gelöst werden. Ähnlich äußerte sich der Generalstabsoffizier und CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, dem man besondere Putin-Nähe ebenfalls kaum nachsagen kann.
Habecks Kollegin und Kanzlerin-Kandidatin Baerbock versuchte in der ARD bei Maischberger auf die Schnelle, die Wogen zu glätten – und machte damit alles nur noch schlimmer! Zuerst bestritt sie, dass Habeck überhaupt "Defensivwaffen" für die Ukraine gefordert habe, dann brachte sie flugs die OSZE ins Spiel und zauberte eine von ihrem Kollegen angeblich gemeinte "Munitionsräumung, die Bergung von verwundeten Personen, Zivilisten, mit gepanzerten Fahrzeugen und auch die Frage der Unterstützung der OSZE-Mission" aus dem Zylinder. Von der Habeck allerdings, wie auch die Tagesschau auf ihrer Webseite klar herausstellte, gar nicht gesprochen hatte!
Mit anderen Worten: Die Vorsitzenden der Grünen haben in unheilvoller Teamarbeit nicht nur die letzten friedenspolitischen Reste ihrer Partei verraten, sondern dies auch noch im Nachhinein schlampig zu kaschieren gesucht.
Kühemelken und Völkerrecht
Anyway, jenseits des Atlantiks wird sich niemand an solchen Lappalien stoßen! Dort, wie in nahezu allen deutschen Leitmedien, leckt man sich die Finger nach dem sympathischen grünen Führungsduo und dafür gibt es gute Gründe: Der postmodern bescheidene Mann plädiert, wie eine genderpolitisch geläuterte Reinkarnation John McCains, für die Bewaffnung der Ukraine; die "erfrischend andere" (Der Stern) junge Frau und Mutter in Lederjacke ("an anderen Tagen in Kleid und High Heels") dagegen fällt sogar noch hinter das NATO-Konzept "Sicherheit und Entspannung" vom Harmel-Bericht 1967 zurück! (Beides hatte es selbst unter Merkel nicht gegeben. Anders als diese flotten Lifestyle-Linken verhielt sich die – weder in Lederjacke noch in High Heels jemals gesichtete – spröde Pastorentochter aus der Uckermark gegenüber dem großen Bruder bisweilen fast störrisch bis bockig.)
Vielleicht war es daher im Sinne einer professionellen Selbstinszenierung durchaus passend, dass die grüne Kanzlerin-Kandidatin, deren Qualifikation von stark verunsicherten (oder missgünstigen) "Maskulinisten" in den letzten Wochen immer wieder bösartig infrage gestellt wurde, schon vor einem halben Jahr im NDR unter Beweis stellte, dass sie auch das Abkanzeln bereits formvollendet beherrscht: Dort sagte sie nämlich über ihren – ebenfalls anwesenden und etwas säuerlich-gequält aus der Wäsche dreinblickenden – männlichen Kompagnon:
"In manchen Dingen sind wir einfach sehr anders. Und dann gibt's natürlich Themen! Ja? Vom Hause her kommt er ... Hühner, Schweine – weiß nicht. Was haste? Kühe melken ... Ich komm eher aus'm VÖLKERRECHT, ja? ... Ich komme aus ganz anderen Welten im Zweifel!"
Chapeau, Frau Baerbock, das war zweifellos otherworldly! Sagte sie doch zwischen den Zeilen diskret: Hätte Habeck nicht jahrelang mit der Mistgabel hantiert, sondern ein paar Semester auf der London School of Economics and Political Science die Schulbank gedrückt, wäre ihm, so Baerbock messerscharf durch die Glaskugel in die Zukunft schauend, im Mai 2021 dieser peinliche Lapsus erst gar nicht passiert. So zeigt die erfolgreiche postmoderne Frau nicht nur den alten, sondern auch den etwas jüngeren weißen Männern kompetent, was eine Harke, pardon: ein Gesetzeskommentar ist!
Es dürfte also noch spannend werden im grünen Führungsduo wie in der gesamten Partei. Möglicherweise gibt es doch noch Hoffnung, die stirbt ja bekanntlich zuletzt, und die Grünen lernen noch rechtzeitig von der CDU – sprich: Sie zerlegen sich selbst! Eine ernsthafte Diskussion über den künftigen rüstungspolitischen Kurs der Ex-Partei der Friedensbewegung könnte jedenfalls ein vielversprechender Anfang sein.
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