"Reporter ohne Grenzen" – eingebettete NGO mit Agenda
von Gert Ewen Ungar
Die NGO "Reporter ohne Grenzen" veröffentlicht einmal im Jahr ein medial weit beachtetes Ranking, in dem die Länder dieser Welt nach dem Stand ihrer Pressefreiheit gelistet werden. Die Kriterien seien objektiv und transparent. So lasse sich für politisch Interessierte ganz einfach ablesen, wie es um den Journalismus in den jeweiligen Ländern bestellt ist. Darüber hinaus entsteht als positiver Nebeneffekt ein Wettbewerb um einen besseren Platz.
Das Ranking gilt daher als Maßstab und wird auch vielfach zitiert, in Diskussionen herangezogen, und es gilt als fundierter Beleg in der Argumentation, wenn es um die Situation hinsichtlich der Grundrechte in einzelnen Ländern geht.
In diesem Jahr hat sich Deutschland um zwei Plätze verschlechtert und landet auf dem 13. Platz. In Irland ist die Presse etwas freier, in Kanada ist sie etwas unfreier. Sie belegen den Platz vor und den Platz hinter Deutschland. So einfach ist das, zumindest erscheint es so.
Denn so simpel und griffig das alles auf den ersten Blick wirkt, so problematisch ist es auf den zweiten. Dieser zweite Blick ist aber notwendig, denn dann lässt sich aus dem Ranking etwas über den Zustand des Westens, insbesondere über den Zustand vermeintlich unabhängiger NGOs ablesen, zu denen auch "Reporter ohne Grenzen" zählt. Über den tatsächlichen Stand der Pressefreiheit sagt der Index jedoch leider nichts.
Um zu dieser Einsicht zu kommen, muss man die Liste etwas genauer in Augenschein nehmen. Zunächst soll es dabei um die baltischen Länder gehen: Lettland, Estland und Litauen werden relativ weit vorn, im ersten Drittel des Rankings eingestuft. Die Länderportraits auf der Seite von "Reporter ohne Grenzen" sind überwiegend positiv, es gibt lediglich ein paar leichte Schatten. "Die Medienlandschaft in Estland ist vielfältig und bildet ein breites Meinungsspektrum ab", heißt es da. Entsprechend findet sich Estland relativ weit vorne auf Platz 15 – von den insgesamt 180 Plätzen. Über Lettland, das auf Platz 22 gesetzt ist, erfährt der Leser, dass dort die Presse- und Meinungsfreiheit garantiert sind und die Medien ein breites Themenspektrum abbilden. Auf Platz 28 findet sich schließlich Litauen. Über dieses Land heißt es: "Außer dem staatlichen Rundfunk existieren in Litauen mehrere private Radio- und Fernsehsender sowie rund 300 Zeitungen. Sie geben ein breites Meinungsspektrum wieder und können auch die Regierung kritisieren." Lediglich die unklaren Besitzverhältnisse trüben das Bild.
Insgesamt aber ist das Baltikum unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit laut Ranking von "Reporter ohne Grenzen" im weltweiten Vergleich in einem recht guten Zustand.
Dieses insgesamt positive Bild ist einigermaßen erstaunlich, denn es gibt massive Einschränkungen der Pressefreiheit in den baltischen Staaten. Russische Sender wurden abgeschaltet und deren Internetkanäle blockiert, russische Journalisten wurden verhaftet, es gibt im Baltikum eine regelrechte Hexenjagd auf russische Medien. Es ist erstaunlich, aber das schlägt sich im Index in keiner Weise nieder. Dabei sind die Vorgänge dort den Reportern ohne Grenzen bekannt. Die Organisation hat sich zur Sperre von russischen Sendern in Litauen und Lettland kritisch geäußert. Auch mahnt das russische Außenministerium die bedenkliche Situation in den baltischen Staaten immer wieder an, zuletzt hier, als der russische Journalist Wladimir Solowjow in Lettland zur Persona non grata erklärt wurde.
Einen Schlüssel zu der verzerrten Bewertung der baltischen Länder liefert das Länderportrait der Ukraine. Das Land hat sich im Vergleich zum Vorjahr um einen Platz verschlechtert und landete auf Platz 97. Das ist bei insgesamt 180 bewerteten Ländern im Mittelfeld. Die Ukraine verfügt über eine vielfältige Medienlandschaft, teilt das Länderportrait mit. Es gibt aber Korruption und Medien sind oft im Besitz von Oligarchen, die sich ihrer Medienmacht politisch bedienen. Und dann stehen da noch zwei weitere Sätze: "Wegen des Krieges mit Russland sind zahlreiche russische Medien und Internetseiten in der Ukraine verboten, etlichen ausländischen Korrespondent*innen wird die Einreise verwehrt. Zur Krim und den von den Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine haben unabhängige Journalist*innen kaum noch Zugang."
Diese Sätze sind ganz eindeutig nicht neutral, sondern einer ausschließlich westlichen Sicht verpflichtet. Sie versuchen noch nicht einmal, auch nur den Anschein eines Bemühens um journalistische Objektivität vorzutäuschen. Damit zeigt "Reporter ohne Grenzen" deutlich, dass es sich eben nicht um eine unabhängige Organisation handelt, denn sie übernimmt hier ohne Not gleich mehrere, ausschließlich westliche Narrative und verleiht ihnen den Anschein des Faktischen. Dabei sind das Lügen.
Die erste ist, dass sich die Ukraine im Krieg mit Russland befindet. Das ist schlicht nicht wahr. Es entspricht nicht den Fakten. "Reporter ohne Grenzen" verbreitet hier nachweislich eine Falschinformation. In der Ukraine tobt ein Bürgerkrieg. Man mag sagen, dass auch Russland – ebenso wie die Länder der EU und die USA – dort Interessen verfolgt. Aber Russland ist keine Kriegspartei. Sich diese Sicht dennoch zu eigen zu machen und zu verbreiten, bedeutet, seine Unabhängigkeit aufgegeben zu haben, sich auf eine Seite zu schlagen, ein einseitiges Narrativ zu bedienen. "Reporter ohne Grenzen" verletzt die Prinzipien des unabhängigen Journalismus in seinen Länderportraits. Die Organisation ist damit zumindest ideologisch keineswegs unabhängig, sondern ganz offensichtlich eingebettet in die westliche Propaganda-Maschinerie.
Das zeigt sich auch an der Aussage, dass unabhängige Journalisten kaum noch Zugang zur Krim hätten. Diese Aussage ist ebenfalls falsch. Man kann völlig problemlos auf die Krim reisen, man muss es nur über Russland tun. Die Krim ist in der Landkarte im Länderportrait der Ukraine zugeordnet. Auch das ist merkwürdig. Man muss sich der Sicht, die Krim sei Russisch nicht anschließen, aber man muss anerkennen, dass Russland dort die administrative Hoheit besitzt. Russland regelt auf der Krim alles, die Ukraine nichts. Ist man um echte Unabhängigkeit bemüht, müsste sich diese Tatsache in der graphischen Darstellung niederschlagen. Das wird nicht geleistet.
Die Einseitigkeit und das mangelnde Bemühen um Objektivität kulminieren schließlich in der Platzierung Russlands weit im hinteren Drittel des Rankings – auf Platz 150. Dabei ist die Presselandschaft in Russland deutlich freier als beispielsweise im Baltikum oder in der Ukraine. In Russland arbeiten alle Auslandssender der westlichen Hemisphäre. Sie tun das ebenso "regierungskritisch" wie zugleich ungestört. Und das, obwohl sie – wie der US-amerikanische Staatssender Radio Swoboda und der deutsche Staatssender Deutsche Welle – ganz offenkundig Teil einer Regime-Change-Strategie sind, die sich direkt gegen die russische Regierung richtet. Als Kritikpunkt könnte indessen angeführt werden, dass die absolute Mehrheit der frei empfänglichen TV-Sender in Russland Regierungsfreundlich senden.
Zudem müsste nach Jahren des Dauergejammers über angebliche Verschärfungen und Bedrohungen der Pressefreiheit in Russland aufgefallen sein, dass dort all die Medien, gegen die sich diese Verschärfungen angeblich gerichtet haben, noch immer aktiv sind. Radio Doschd, Nowaja Gaseta, Mediasona, Meduza und all die anderen Medien, die der Opposition zugeordnet werden und gegen die sich Gesetzgebung angeblich gerichtet hat, erfreuen sich bester Gesundheit und berichten – vielfach vom Ausland unterstützt und finanziert – regierungskritisch weiter. Als Beobachter wünscht man sich, so viel regierungskritischen Journalismus würde es auch in Deutschland geben. Wir tun uns mit Regierungskritik inzwischen allerdings sehr schwer, wie die Diskussion um #allesdichtmachen ganz deutlich zeigt. Mit regelrechten Attacken auf das Regierungshandeln, wie sie in Russland üblich sind, wären deutsche Medienkonsumenten völlig überfordert. Es würde ihnen wie Majestätsbeleidigung erscheinen. In Russland reicht diese Freiheit aber lediglich für Platz 150 von 180 zu vergebenen Plätzen.
Apropos: Deutschland stellt "Reporter ohne Grenzen" übrigens ein ganz gutes Zeugnis aus. Die Position hat sich zwar gegenüber dem Vorjahr um zwei Positionen verschlechtert, aber Deutschland ist mit Platz 13 von 180 im Hinblick auf die Pressefreiheit ganz vorne mit dabei. Was zur Herabstufung beigetragen hat, war die Bedrohung von Journalisten bei den Corona-Demos. Auch das lässt aufhorchen, denn auch an dieser Stelle offenbart sich die ganze Verlogenheit des Rankings. Die Angriffe auf Journalisten bei Demonstrationen erklären sich nämlich aus der mangelnden Distanz des deutschen Mainstreams gegenüber der deutschen Regierung, der von ihr ergriffenen Maßnahmen und einer absolut diskriminierenden Berichterstattung über eben diese Demonstrationen und Demonstranten. Das hätte ein autoritärer Staat nicht besser hinbekommen. Tatsächlich regierungskritischer Journalismus fällt in Deutschland nämlich schlicht aus.
Im Gegensatz zu den beobachteten Bedrohungen sind diejenigen Journalisten, die kritischen Journalismus betreiben, in Deutschland in einer Weise bedroht, wie man es nur in einem autoritären System erwarten würde. Diese Journalisten werden aber nicht von den Demonstranten der Corona-Demos bedroht, sondern von ihren Journalisten-Kollegen, von den etablierten Medien, den öffentlich-rechtlichen Formaten, vom Journalisten-Verband DJV, sie werden am Zugang zu Youtube und anderen Kanälen der Verbreitung gehindert und es wird versucht, sie finanziell auszutrocknen. Über all das findet sich im Ranking und dem Länderportrait zu Deutschland von "Reporter ohne Grenzen" kein einziges Wort. So etwas fließt offenkundig überhaupt nicht ein, ganz im Gegenteil: Das Portal KenFM wird in einer Meldung vom Mai 2020 zu den Akteuren gezählt, von denen angeblich eine Gefahr für die Pressefreiheit ausgehe, und wird mit dem Attribut "verschwörungstheoretisch" versehen. "Reporter ohne Grenzen" als Organisation richtet sich also gegen Journalisten, die nicht die Meinung des Mainstreams vertreten und distanzlos das westliche Narrativ verbreiten.
Und spätestens an dieser Stelle ist es notwendig auf die Methodik und die Zusammensetzung des deutschen Kuratoriums zu sprechen zu kommen. Das ist in keiner Weise breit besetzt. Hier sind neben Repräsentanten der öffentlich-rechtlichen Medien lediglich die großen Blätter vertreten: Die Zeit, Funke Mediengruppe, Tagesspiegel und andere. Man kann sich vorstellen: Wären da auch Vertreter anderer Medien platziert, wäre das beratende Kuratorium breiter besetzt, die Platzierung Deutschlands sähe ganz anders aus.
So aber ist zu vermuten, dass ausschließlich im Umfeld des Kuratoriums die Fragebögen verteilt wurden, aus denen sich das Ranking ergibt. Umgekehrt gilt, dass die Fragebögen in Russland vermutlich ausschließlich in den Kreisen der "Oppositionsmedien" und der westlichen Auslandssender gestreut wurden. Hätte man sie bei RT, Perwy Kanal und Rossija Odin, verteilt, wäre Russland mit Sicherheit nicht weit hinten im Ranking gelandet.
Denn natürlich ist auch in Deutschland die Pressefreiheit massiv bedroht, vermutlich sogar deutlich stärker als in Russland. In Deutschland wird eine breite und vielfältige Berichterstattung aktiv verhindert – und zwar von den gut etablierten Medien selbst. Es sind gerade die öffentlich-rechtlichen Medien – die großen Publikationen wie Die Zeit, der Tagesspiegel und andere große Blätter –, die neue Marktteilnehmer aktiv verunglimpfen und diskriminieren mit dem Ziel, selbst auch weiterhin das Narrativ – so falsch und verlogen es auch sein mag – bestimmen zu können. "Reporter ohne Grenzen" ist dafür leider das beste Beispiel. Die Organisation, die sich vermeintlich für die Pressefreiheit einsetzt, versteht offenkundig unter dieser Freiheit, nur eine bestimmte Sicht auf die Dinge zuzulassen und alle anderen auszugrenzen. Am genannten Beispiel Ukraine wird dies besonders deutlich. Das ist beschämend und verachtenswert.
Das Ranking sagt daher wenig über die Pressefreiheit in der Welt, aber ganz viel über "Reporter ohne Grenzen" als Organisation aus.
Es fehlt ihr an Distanz zum Gegenstand. Das Ranking ist unbrauchbar. "Reporter ohne Grenzen" ist eine Institution im Vorfeld westlicher Geopolitik, die der Verbreitung und Untermauerung des westlichen Narrativs dient. Ein Instrument der Propaganda.
Und das Ranking von "Reporter ohne Grenzen" deutet auf ein noch umfassenderes Problem: Das, was wir als "unabhängige NGOs" begreifen, auf deren Neutralität und Ausgewogenheit wir uns verlassen können, das ist nicht unabhängig. Westliche NGOs sind "eingebettet" in den westlichen politisch-militärisch-medialen Komplex und erfüllen dort ihre Funktion der Manipulation. Wer nach verlässlicher Information sucht, ist daher bei westlichen NGOs wie "Human Rights Watch", "Amnesty International" oder eben auch "Reporter ohne Grenzen" in aller Regel an der falschen Adresse. Es ist notwendig, nach anderen, besseren Quellen zu suchen.
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