Pflichttests in Schulen: Politischer Druck auf Schüler, Eltern und Gerichte

Die Pflichttests in Schulen bringen Eltern, Kinder und Jugendliche, die das nicht wollen, in die Bredouille. Auch rechtlich sind sie fragwürdig. Doch gegen das Verordnungschaos vorzugehen, ist nicht so einfach. Und der politische Druck selbst auf Richter ist enorm.
Pflichttests in Schulen: Politischer Druck auf Schüler, Eltern und GerichteQuelle: www.globallookpress.com © Joerg Niebergall/Eibner-Pressefo

von Susan Bonath

Deutsche Schulen sind zu Laien-Testlabors geworden. Unter den Augen der Mitschüler und unter Anleitung von Lehrern sollen sich Kinder und Jugendliche mehrmals in der Woche selbst auf das Coronavirus testen. In vielen Bundesländern wird ein sogenannter "Selbsttest" nun zur Pflicht erhoben. Nur ein negatives Ergebnis berechtigt zur weiteren Teilnahme am gesetzlichen Schulunterricht. Bezogen auf Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und die fehlende medizinische Ausbildung von Lehrern, aber auch auf den Bildungsauftrag des Staats ist eine solche Order ebenso fragwürdig wie auch die dahinter stehende Verordnungspraxis der Bundesländer. Doch gegen letztere juristisch vorzugehen, ist nicht so einfach, wie ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 13. April zeigt. 

Nicht testwillig? Dann sollen Eltern Fachlehrer ersetzen

Die Magdeburger Verwaltungsrichter hatten am Dienstag die erst seit einem Tag geltende Testpflicht an Schulen in Sachsen-Anhalt ausgesetzt – allerdings nur vorübergehend bis zum Ende dieser Woche. Das Gericht argumentierte, eine solche Pflicht sei nicht in der geltenden Verordnung festgeschrieben. Denn um sie durchzusetzen, hatte das Land einen gesonderten Erlass verabschiedet. Doch eine Verordnung, so der Vorsitzende Richter, dürfe nicht beliebig mit nachträglichen Erlassen erweitert werden.

Das Problem: Bereits am 19. April tritt in Sachsen-Anhalt eine neue Verordnung in Kraft – inklusive der Pflicht für Schüler, Schnelltests an sich selbst durchzuführen, um im Klassenverband lernen zu dürfen. Betroffene Schüler und Eltern müssten nun gegen das neue Papier erneut klagen. Und das dürfte schon im Mai wiederum ersetzt werden, und dann vermutlich durch eine bundesweite Vorgabe.

Zwar wurde die Anwesenheitspflicht in der Bildungseinrichtung für Schüler, die sich nicht andauernd testen wollen, aufgehoben. Onlineunterricht gibt es für sie aber dann doch nicht. Ihnen sollen die Lehrer lediglich die Aufgaben zum Unterrichtsstoff schicken, die sie – alleine oder mit ihren Eltern – erarbeiten sollen. Mütter und Väter müssten also alle Lehrer für jedes Fach ersetzen – unbezahlt und trotz Berufstätigkeit. Wer das nicht leisten kann, aber dieses Prozedere seinem Kind trotzdem ersparen will, steckt in der Klemme. Nach einem erfüllten Bildungsauftrag des Staats sieht dies auch nicht aus.

 

Tausende Kinder bereits in Quarantäne

Von "frei-testen" kann allerdings keine Rede sein. Sobald ein positiver Fall auftritt, droht der gesamten Klasse oder gar dem gesamten Jahrgang einer Schule die Quarantäne. Der Autorin sind schon jetzt Kinder und Jugendliche bekannt, die bis zu vier Mal in Quarantäne saßen. Das heißt, sie waren insgesamt acht Wochen lang eingesperrt in ihren eigenen vier Wänden, oft ohne frische Luft, ohne Kontakt zu Freunden – und dies meistens lediglich als ansonsten klinisch gesunde Kontaktpersonen. Mit zweimal wöchentlich fälligen Pflichttests könnte das immer wieder und vermutlich noch zahlreicher passieren.

Getestet wird in Sachsen-Anhalts Schulen seit Ostern. Das hat bereits Folgen: Rund neun Prozent der 670 Schulen in diesem Bundesland, konkret 59 an der Zahl, waren bereits eine Woche danach ganz oder teilweise geschlossen, weil beim Testen zuvor positive Fälle aufgetaucht waren. Das teilte Josefine Hannig, Sprecherin des Landesbildungsministeriums, auf Anfrage der Autorin mit. Am 8. April befanden sich rund 2.700 Schüler im Land in Quarantäne, darunter 364 positiv Getestete. Auch 430 Lehrkräfte hatten die Gesundheitsämter "häuslich abgesondert", 63 von ihnen hatten einen positiven Test.

 

Test sei "kein invasiver Eingriff"

Für einen invasiven medizinischen Eingriff hält das Ministerium die Prozedur vor Unterrichtsbeginn nicht. Denn es handele sich um "einfach anwendbare Laien-Selbsttests", begründete Hannig die Einschätzung. Der Abstrich werde aus dem vorderen Bereich der Nase und nicht – wie etwa beim PCR-Test – aus dem hinteren Nasen-Rachen-Raum entnommen. Medizinisches Fachpersonal sei dafür gar nicht nötig. Wer sich dabei in der Schule verletzt, so die Sprecherin weiter, sei dort gesetzlich unfallversichert. Optional könnten Eltern die Tests zu einer bestimmten Zeit in der Schule abholen und mit ihrem Nachwuchs zu Hause durchführen.

Kinder, die das alles nicht wollen, "erhalten Aufgaben zur Bearbeitung im häuslichen Umfeld", erläuterte Hannig weiter. Doch der Hausunterricht führt nicht nur dazu, dass Eltern die Fachlehrer ersetzen müssten. Auch die Abitur- und andere Abschlussprüfungen beginnen demnächst. Sind Jugendliche, die den Test verweigern, vom Abitur oder anderen Abschlüssen also ausgeschlossen? Wie damit umgegangen werden soll, "das wird noch diskutiert", sagte Hannig daraufhin. Mehrere Abiturienten berichteten hingegen der Autorin, ihr Gymnasium habe ihnen bereits mitgeteilt: Ohne Test keine Prüfungen.

 

Ministerium: Positives Testergebnis nicht gleich Infektion

In Bezug auf den Datenschutz sieht die Sprecherin des sachsen-anhaltischen Bildungsministeriums kein Problem. Denn der Test werde "in der Regel in vertrauter Umgebung durchgeführt". Zur "vertrauten Umgebung" zählt Hannig "Mitschülerinnen und Mitschüler und Lehrkräfte der Klasse" hinzu. Sie sagte: "Der Umgang mit den Ergebnissen erfordert daher einen sensiblen Umgang, ähnlich wie beim Umgang mit den Noten." Dass Mitschüler und Lehrer allerdings die ermittelten Gesundheitsdaten aller Getesteten erfahren, steht außer Zweifel. Denn während negativ getestete Schüler zum Unterricht dürfen, müssen Positive umgehend "abgesondert" und nach Hause geschickt werden.

Noch interessanter ist es, wie das Ministerium die Schnelltests selbst bewertet. Hannig führte aus:

"Ein positives Testergebnis lässt zudem keinen zwingenden Rückschluss auf eine tatsächliche Coronavirus-Infektion zu. Vor diesem Hintergrund muss mit den Schülerinnen und Schülern bereits vor der Durchführung der Selbsttests besprochen werden, dass es auch zu fehlerhaften Testergebnissen kommen kann und daher mit den Ergebnissen besonders sensibel umzugehen ist."

 

Virusübertragung durch klinisch Gesunde?

Die Massentests an Schulen gründen auf der Theorie, wonach das Coronavirus auch von klinisch gesunden Menschen, sogenannten Asymptomatischen, übertragen werden könne. Das Ministerium hat dazu sogar wissenschaftliche Expertise zu bieten. Hannig führte drei Studien an, welche die Theorie belegen sollen.

Die erste Studie, die sie anführt, wurde von einer chinesischen Forscherin im April 2020 veröffentlicht. Darin vermuten die Wissenschaftler allerdings lediglich, dass Menschen vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen eine wesentliche Rolle bei der Übertragung spielen könnten. "Unsere Studie weist mehrere Einschränkungen auf", bekunden sie. So hätten sie etwa nur Fälle untersucht, in denen die Probanden später mit schweren Symptomen in einer Klinik behandelt werden mussten, was bei Kindern höchst selten der Fall ist. Es könne auch sein, so die Autoren, dass man unter anderem deshalb die Inkubationszeit überschätze, wodurch "der Anteil an präsymptomatischer Übertragung künstlich aufgeblasen" würde.

Auch bei der zweiten vorgebrachten Analyse handelt es sich um Beobachtungen und Schätzungen, denen Datensätze aus Singapur und China vom Januar und Februar 2020 zugrundeliegen. Hierin geht es ebenfalls lediglich um eine mögliche Übertragung durch wenig später symptomatisch Erkrankte, nicht durch Menschen, die gar nicht krank wurden.

 

Keine Daten zu Kindern

Und schließlich führte die Sprecherin eine weitere Analyse vom September 2020 an, in der Forscher mehrere Studien aus sieben Ländern untersuchten, in denen insgesamt 663 positiv getestete Probanden, darunter 111 ohne Symptome, nachverfolgt worden waren

Darin heißt es: "Unsere Schätzungen zur Prävalenz asymptomatischer COVID-19-Fälle und zu asymptomatischen Übertragungsraten sind niedriger als in vielen öffentlich bekannt gewordenen Studien, aber immerhin noch ausreichend, um die Aufmerksamkeit der Politik zu rechtfertigen." Nötig seien aber weitere belastbare Beweise. So liefere das vorhandene Material etwa keine belastbaren Daten zur Rolle von Kindern. Doch gerade um diese geht es schließlich bei den Pflichttests in Schulen.

Und letztlich gibt es auch gegenteilige Analysen, die zumindest nahelegen, dass Menschen, die keinerlei Krankheitsanzeichen verspüren, kaum Auswirkungen auf die Verbreitung des Virus haben dürften. Dazu gehört die Massenstudie im chinesischen Wuhan an fast zehn Millionen Einwohnern, die im November 2020 veröffentlicht wurde. Ansteckungen durch gesunde, aber positiv getestete Personen habe man nicht feststellen können, heißt es darin. Auch habe man aus Proben dieser Menschen keine Viruskulturen anzüchten können.

 

Politischer Druck auf die Justiz

Die Grundannahme der nennenswerten Virusverbreitung durch klinisch gesunde Kinder steht also auf wackeligen Füßen. Doch gerade auf dieser basieren die verordneten Pflichttests in Schulen. Ob sich eine nennenswerte Anzahl von Gerichten damit eingehend auseinandersetzen wird, bleibt fraglich. Ein Amtsrichter in Weimar, der in einem Kindeswohlverfahren einstweilig angeordnet hatte, den Zwang zu Schutzmasken, Mindestabständen und Corona-Tests in Schulen zu unterlassen, wird derzeit scharf angegangen.

So hat das Land Thüringen nicht nur Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und angekündigt, dass das Urteil keine Auswirkungen auf die Praxis im Freistaat habe. Gegen den Richter gingen vielmehr sogar mehrere Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Erfurt wegen des "Verdachts der Rechtsbeugung" ein, wie unter anderem der MDR berichtete. So hält der Juristenverband Neue Richtervereinigung (NRV)  demnach mit der Weimarer Anordnung gar "das Maß des Hinnehmbaren" für "überschritten". Die Entscheidung sei, so hieß es von dort, juristisch unhaltbar, weil sie grundsätzliche rechtliche Vorschriften verkenne und auch noch wesentliche Erkenntnisse der Wissenschaft leugne. Welche das seien, erläuterte die NRV allerdings nicht.

Dies könnte den aufkeimenden Mut von Gerichten, politisch unerwünschte Urteile zu fällen, merklich ausbremsen. Welcher Richter will schon deshalb am öffentlichen Pranger und vielleicht selbst vor dem Kadi landen? Man könnte dies auch als politische Beeinflussung bezeichnen.

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