von Kaspar Sachse
Am Montag war es wieder so weit. Na gut, es war schon Dienstagmorgen, das (an)gespannte Publikum zum Großteil bereits im Bett. Die Protagonisten einer sichtlich ermüdeten "Bund-Länder-Konferenz", dem Organ, das uns seit November auch mit dem Segen des Bundestages regiert, betreten die Bühne. Angeführt von einer Kanzlerin, deren dem Zeitgeist entsprechend grünes Kleid schwarz unterlegt ist. Und dann? Dann fallen die Masken, und als erster Satz kommt heraus:
"Ich habe eben schon über die größere Gefahr der Mutation gesprochen, und deshalb müssen wir mit unseren Beschlüssen heute sagen, weil wir wieder in einem exponentiellen Wachstum sind, und zwar sehr klar sichtbar, klarer, als das am 3. März abzusehen war, dass wir leider von der Notbremse Gebrauch machen müssen, dort, wo die Inzidenz oberhalb von hundert ist ..."
Ein Schachtelsatz, der es in sich hat: "Mutation"? "Exponentielles Wachstum"? "Notbremse"? Da war sie wieder – die unnachahmliche Fähigkeit der Bundeskanzlerin, einschneidende Dinge für die Bevölkerung mit einer absolut stoischen Miene zu verkünden.
Dabei sind die Virus-"Mutanten" bereits seit Jahresbeginn besonders aus Südafrika, Brasilien und vor allem Großbritannien unterwegs zu uns - nun sind sie also da? Vielfach liest man diesbezüglich von deutlich höheren Infektionszahlen, gar höheren Sterberaten für Jüngere und dem von Merkel verkündeten "exponentiellen Wachstum". Und wie sieht die Wirklichkeit aus?
Bereits im Februar sagte der Epidemiologe Klaus Stöhr im Gespräch mit ZDF-heute diesbezüglich:
"Die Szenarien mit exponentiell steigenden Infektionszahlen durch die Variante stimmen nicht mit der Realität der Bekämpfung überein."
Der Experte, der früher in leitender Position bei der Weltgesundheitsorganisation WHO gearbeitet hatte, verwies damals auf die Erfahrungen in anderen Ländern: In Irland, Großbritannien oder Dänemark gehen die Infektionszahlen beispielsweise deutlich zurück – während gleichzeitig der Anteil der Mutante an den Infektionen steigt. Abgesehen von einem kleinen Anstieg in Dänemark sollte Stöhr bislang recht behalten.
Doch wie sieht das Infektionsgeschehen in Deutschland derzeit konkret aus? Woher nimmt Merkel ihre Zahlen? Hierzu ein kurzer Blick auf die Angaben des RKI (über die der Internist Matthias Schrappe im ZDF freilich im November meinte, sie hätten "keine Basis" und seien "das Papier nicht wert", auf dem sie geschrieben seien):
Das meldete am Freitag, 19. März die Zahl von 17.482 positiv Getesteten und 226 Fälle von an oder mit COVID-19 Gestorbenen, eine Woche zuvor waren es mit 12.834 Fällen rund 4.600 Fälle weniger als vor einer Woche gewesen. Dennoch war am 12. März die Zahl der mutmaßlichen Todesfälle mit 252 um 26 höher als eine Woche später.
Da vielen Gesundheitsämtern auch während der Pandemie ihr Wochenende heilig ist, sollen noch die Zahlen von Montag und Dienstag mit der Vorwoche verglichen werden.
Am Montag, dem 22. März meldete das RKI 7.709 positiv auf COVID-19 Getestete und verzeichnete innerhalb von 24 Stunden 50 neue Todesfälle. Am Montag vor einer Woche hatte das RKI 6.604 nachweislich Infizierte und 47 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet.
Am Dienstag gab es 7.485 positiv auf COVID-19 Getestete und innerhalb von 24 Stunden 250 neue Todesfälle, eine Woche zuvor hatte das Institut binnen eines Tages auf 5.480 positiv COVID-19 Getestete und 238 neue Todesfälle verzeichnet. Es zeigt sich also: Die Zahlen der positiv Getesteten steigen moderat, wobei freilich auch klar ist, dass durch die massive Ausweitung der Schnelltests seit Anfang März mehr Menschen positive Ergebnisse erhalten, die sonst vielleicht keinen Test gemacht hätten, da sie keine Symptome verspüren. Die Zahl der mit oder an Corona Gestorbenen blieb in etwa gleich. Zum Vergleich: Am 8. Januar wurden 1.188 neue Todesfälle und 31.849 positive Geteste gemeldet. Der Anteil der PCR-Tests mit positiven Ergebnis hat sich seit Mitte Februar zwischen sechs und sieben Prozent eingependelt. Dazu kommt: Die Gruppe der über 80-Jährigen gilt als durchgeimpft, der renommierte Statistiker John Ioannidis schätzt die Zahl der insgesamt Infizierten in Deutschland auf zwölf bis 36 Prozent, und der Frühling steht vor der Tür. Ein exponentielles Wachstum ist einfach nicht auszumachen, Präventionsparadox hin, Sieben-Tage-Inzidenz her.
Damit stellt sich also die Frage, wie die Bundeskanzlerin zu folgender Aussage kommt, die dann auch (mal wieder) die Verlängerung des Lockdowns, also die berühmt-berüchtigte "Notbremse" bis zum St. Nimmerleinstag, pardon, Mitte April, (mit)begründen soll:
"Wir haben jetzt im Grunde eine neue Pandemie. [...] Im Wesentlichen haben wir ein neues Virus. Natürlich von derselben Art aber mit ganz anderen Eigenschaften. Deutlich tödlicher. Deutlich infektiöser. Länger infektiöser."
Ist COVID-19 damit "durch", und wir fangen ab sofort bei null an zu zählen mit per teils fragwürdigen Tests nachgewiesenen COVID-20- oder COVID-21-Infizierten? Offensichtlich passiert das nicht. Vielleicht lässt sich das Problem der steigenden "Kennzahlen" aber auch ganz anders lösen. Dazu hatte Gesundheitsminister Jens Spahn bereits am 14. Juni 2020 scharf analysiert:
"Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir nicht nachher durch zu umfangreiches Testen – klingt jetzt total … da muss man erst mal um zwei Ecken denken – durch zu umfangreiches Testen zu viele falsch Positive haben. Weil die Tests ja nicht 100 Prozent genau sind, sondern auch eine kleine, aber eben auch eine Fehlerquote haben. Und wenn sozusagen insgesamt das Infektionsgeschehen immer weiter runtergeht und Sie gleichzeitig das Testen auf Millionen ausweiten, dann haben Sie auf einmal viel mehr falsch Positive. [...] Und deswegen macht es schon auch noch Sinn: Wir machen das Angebot, mehr zu testen, das geht jetzt auch. Aber nicht einfach nur wild jeden Tag zu testen, sondern wenn, dann schon auch mit einem gewissen Ziel."
Für Merkel dagegen ist eindeutig klar, wann die Pandemie ihr Ende finden wird. So verkündete sie auf der Münchner "Sicherheitskonferenz" am 19. Februar recht unbeachtet von den deutschen Qualitätsmedien:
"Die Pandemie ist erst besiegt, wenn alle Menschen auf der Welt geimpft sind."
Dem aufmerksamen Beobachter ist dabei vielleicht die sicher nur zufällige Ähnlichkeit mit der Aussage von Bill Gates am Ostersonntag im letzten Jahr in einem neunminütigen Interview in der Tagesschau aufgefallen. Dort konnte der Microsoft-Gründer und Impf-Fan Gates einem völlig unkritischen Moderator Ingo Zamperoni verkünden, dass "wir den zu entwickelnden Impfstoff letztendlich sieben Milliarden Menschen verabreichen werden".
Ob die angedachte Durchimpfung der Bevölkerung so eine gute Idee ist, bezweifeln freilich einige Experten. Und der Lockdown ist offenbar auch kein Allheilmittel.
Schaute man sich dazu am Dienstag die müden und fahlen Gesichter der Mitglieder der Bund-Länder-Konferenz an, möchte man ihnen dagegen sagen:
Geht mal wieder an die frische Luft und vor allem in die Sonne! Joggen im Wald macht den Kopf frei! Dazu: weniger Duplo und Kuchen und mehr Vitamine. So kann man sein Immunsystem auf ganz natürliche Weise stärken. Eigentlich eine Binsenweisheit, aber offenbar eine in Zeiten der Corona-Krise und der vermeintlich "absoluten Wahrheiten" vergessene.
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