Nach Diffamierungskampagne keine Eishockey-WM in Weißrussland
von Bernd Murawski
Der internationale Eishockeyverband IIHF hat auf seiner letzten Sitzung Minsk von der Gastgeberschaft der Weltmeisterschaft ausgeschlossen. In der Begründung heißt es, die Entscheidung sei aufgrund von Sicherheitsbedenken getroffen worden. Dagegen benennen westliche Medien als zentrales Motiv die Rückzugsdrohungen der Hauptsponsoren. Gebärt sich hier die Privatwirtschaft - nach der Sperrung von Donald Trumps Accounts auf Twitter, Facebook und Youtube - ein weiteres Mal als Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten?
Kaum handeln die Vorstände von Skoda, Beiersdorf und anderen Sponsoren aus hehren Motiven. Vielmehr sehen sie sich durch die von Medien und Politikern betriebene Diffamierungskampagne gegen die weißrussische Regierung unter Druck gesetzt. Sie befinden sich in einer vergleichbaren Lage wie die Partner der Nordstream II AG, deren Geschäftstätigkeit bei einer Fortsetzung der Kooperation mit dem Gasrohrverleger stark geschädigt würde.
Der kürzliche Versuch des IIHF-Präsidenten René Fasel, den Austragungsort Minsk für die Eishockey-Weltmeisterschaft zu retten, war nicht mit Erfolg gekrönt. Es gelang ihm zwar, dem weißrussischen Präsidenten die Zusage zu „einem offenen und konstruktiven Dialog mit der Opposition“ abzuringen. Anstatt aber dieses Resultat zu würdigen, monierten westliche Medien seine Umarmung mit Alexander Lukaschenko. Fasel sah sich daraufhin veranlasst, den „falschen Eindruck zu bedauern".
Die tatsächlichen Gründe für die Absage
Bereits in Reaktion auf die Protestdemonstrationen in Minsk nach der Präsidentschaftswahl am 9. August letzten Jahres hat sich Lukaschenko zum Dialog mit seinen politischen Kontrahenten bereit erklärt. Er kündigte die Ausarbeitung einer neuen Verfassung an, nach deren Annahme durch die Bevölkerung er das Präsidentenamt aufgeben würde. In diesem Kontext besuchte er im Oktober mehrere Oppositionelle im KGB-Untersuchungsgefängnis, wo er mit ihnen viereinhalb Stunden konferierte. Die Fasel gegenüber abgegebene Erklärung beinhaltete somit nichts Neues.
Es wäre zu hinterfragen, inwieweit das IIHF-Präsidium überhaupt zu einer Einforderung politischer Zusagen berechtigt ist, handelt es sich bei den Weltmeisterschaften doch um ein rein sportliches Ereignis. Es sah sich offenbar durch die vorausgegangene Medienkampagne und die Stellungnahmen führender westlicher Politiker genötigt, Druck auf die weißrussischen Veranstalter auszuüben, um ein politisches Entgegenkommen zu erwirken.
Den wahren Hintergrund für die IIHF-Entscheidung bilden augenscheinlich weder Sicherheitsbedenken noch mangelnde politische Zugeständnisse. Sie beruhen vielmehr auf der Nichtanerkennung der Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahlen durch den Westen sowie Vorwürfe der Verletzung von Menschenrechten und demokratischen Prinzipien. Letzteres traf allerdings schon auf eine Zeit zu, als der Beschluss über den Austragungsort der Eishockey-Weltmeisterschaft gefasst wurde.
Die verschärfte westliche Tonart gegen die Minsker Führung während der letzten Monate lässt sich als Unterstützung für die weißrussische Opposition interpretieren. Trotz fehlender organisatorischer Strukturen gelang es ihr, nach den Wahlen mehr als 100.000 Bürger auf die Straße zu bringen, deren Zahl mittlerweile auf einige Tausend geschrumpft ist. Lautstark wurde in westlichen Medien über Repressalien der Polizei lamentiert. Diese waren zu erwarten, wenn sie auch meist einsetzen, nachdem die - genehmigten und überwiegend friedlich verlaufenden - Demonstrationen beendet waren und einige Teilnehmer am Ort ihre Proteste fortsetzten.
Ähnliche Szenen bei Aktionen der Gelbwesten in Frankreich haben in der westlichen Berichterstattung keine vergleichbaren Sympathien für die Demonstranten ausgelöst. Im Gegenteil wurden dort Aktivisten als Randalierer tituliert, es wurde von Ausschreitungen und brennenden Autos berichtet und der Bewegung rassistische und homophobe Auffassungen unterstellt.
Geplänkel um das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen
Anders als in Russland und in der Ukraine gelang es Lukaschenko, Privatisierungen und in deren Zuge das Entstehen einer Oligarchenklasse zu verhindern. Dies bescherte ihm Zuspruch durch die Bürger des Landes, deren Lebensniveau dank gezielter Modernisierungen und durch vorteilhafte Kooperation mit Russland keinen vergleichbaren Einbruch erlitt wie in den Nachbarstaaten. Dennoch wünscht sich ein wachsender Bevölkerungsteil einen Personenwechsel an der politischen Spitze, was mit der Erwartung von mehr Freiheiten und Rechten einhergeht.
Trotz unbestreitbarer Verdienste Lukaschenkos, mit denen sich hohe Stimmenanteile erklären lassen, vermehrten sich von Wahl zu Wahl Zweifel an der Korrektheit der Zahlen. Jedoch hagelte es früher keine direkten Betrugsvorwürfe. Noch im Jahr 2010 hieß es bei der Zeit:
"Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa lobte unmittelbar nach der Wahl am Sonntag erste Fortschritte Weißrusslands. Der Urnengang sei direkt nicht zu beanstanden, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und OSZE-Wahlbeobachter Georg Schirmbeck. ‚Die Vorwürfe der Opposition, Lukaschenko habe Wahlbetrug begangen, kann ich - so leid es mir tut - so nicht bestätigen‘. Dennoch könne von freien und fairen Wahlen keine Rede sein, sagte Schirmbeck weiter: Lukaschenko habe seine Wiederwahl durch seine ‚autoritäre Kontrolle der Massenmedien abgesichert, die der Opposition während des Wahlkampfs kaum eine Plattform bieten durften.‘ "
Bei der letztjährigen Präsidentschaftswahl hat die OSZE keine Wahlbeobachter entsandt, was mit zu später Antragstellung begründet wurde. Die Einladung erfolgte tatsächlich erst drei Wochen vor Durchführung der Wahlen, jedoch ist in den Bestimmungen der OSZE kein Zeitlimit festgelegt. Bei Abwesenheit westlicher Wahlbeobachter fiel es den Gegnern Lukaschenkos im In- und Ausland später leicht, den zehn Jahre zuvor von Schirmbeck implizit bekundeten Wunsch umzusetzen: Der Wahlsieg des Langzeitpräsidenten mit einem offiziellen Ergebnis von 80 Prozent wurde nicht anerkannt. Stattdessen wird seitdem die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja als Repräsentantin Weißrusslands betrachtet.
Von manchen westlichen Medien wurden sogar die Angaben der Opposition übernommen, die der prowestlichen Gegenkandidatin 80 Prozent statt der offiziellen 10 Prozent der Stimmen gaben. Weniger günstige Zahlen wurden dagegen verschwiegen. So gelang es westlich orientierten NGO’s, in 1310 von 5767 Wahllokalen Auszählungsprotokolle zu fotografieren. Danach stimmten 61,7 Prozent für Lukaschenko und 25,4 Prozent für Tichanowskaja. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Aktivitäten der NGO’s weitgehend auf Minsk und andere größere Städte beschränken, wo das Protestpotential über dem Landesdurchschnitt liegen dürfte.
Doppelte Standards
Als zentraler Vorwurf an die weißrussische Führung verbleiben Demokratie- und Menschenrechtsdefizite. Trotz in vielen Punkten berechtigter Kritik sollte konstatiert werden, dass im Zuge der Massenproteste in Minsk einiges in Bewegung geraten ist. Statt auf den bestehenden restriktiven Strukturen herumzuhacken wäre es zielführender, die Bemühungen um eine Liberalisierung im Kontext mit der beabsichtigten Verfassungsnovelle kritisch zu begleiten. Wesentlich wohlwollender wurde etwa vor einigen Jahren über Saudi-Arabien anlässlich der Aufhebung des Frauenfahrverbots berichtet.
Gleichwohl ist der Mitveranstalter der Eishockey-Weltmeisterschaft Lettland nicht ohne Makel. Nach der Unabhängigkeit als Ergebnis der Wende im Jahr 1990 wurde der russischsprachigen Minderheit von etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung die Staatsbürgerschaft vorenthalten. Die betroffenen Bürger können keine für die Staatssicherheit relevanten Berufe ausüben, nicht Staatsbeamte werden und weder für politische Ämter kandidieren noch das Wahlrecht in Anspruch nehmen. Nach Jahrzehnten massiven Assimilierungsdrucks sank der Anteil der Staatenlosen, er umfasst gegenwärtig mit 10 Prozent der Bevölkerung immer noch rund 200.000 Personen.
Obwohl 38 Prozent der Bürger als Muttersprache Russisch angeben, gilt Lettisch als einzige nationale Sprache. In der zweitgrößten Stadt Lettlands Daugavpils sind 80 Prozent der Einwohner nichtlettischer Nationalität, die allgemein Russisch sprechen. Dennoch sind alle öffentliche Beschilderungen, u.a. Straßen- und Warnschilder, nur auf Lettisch beschriftet.
Die Diskriminierung russischsprachiger Bürger ist nicht nur ein Affront gegen elementare Menschenrechte, die der Westen für sich beansprucht, sondern sie verhindert auch eine Teilnahme an demokratischen Entscheidungsprozessen. Die mehrfachen „Ermahnungen“ durch die EU-Zentrale stießen bei der politischen Führung Lettlands auf taube Ohren. Sie wusste, dass keine Konsequenzen zu befürchten sind.
Bei der Behandlung der beiden ursprünglich vorgesehenen WM-Austragungsländer handelt sich unübersehbar um einen eklatanten Fall doppelter Standards. Offenbar geht es bei westlichen Betrachtungen weniger um Menschenrechte oder demokratische Grundprinzipien. Das maßgebliche Kriterium scheint vielmehr die Bereitschaft der Staaten zu politischer und wirtschaftlicher Unterwerfung zu sein. Darüber können auch zeitweise Annäherungsversuche nicht hinwegtäuschen. Nach Muammar Gaddafi und Basar al-Assad muss nun Lukaschenko erfahren, dass ein Flirten mit dem Westen sich nicht auszahlt. Wurde er noch hofiert, als er sich aus der einseitigen Abhängigkeit von Russland lösen wollte, hat der Westen ihn mittlerweile fallengelassen, weil sich bessere Perspektiven für einen Regime-Change eröffnet haben.
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