Meinung

Harte Linie gegen Moskau nach Hackerangriff? – Warum Biden sich an Putin die Zähne ausbeißen könnte

Nach einem Russland angelasteten Hackerangriff auf SolarWinds wurden Stimmen laut, der designierte US-Präsident Biden müsse auf das mit einer "kriegerischen Handlung" verglichene Ereignis reagieren. Vorsicht ist hier geboten, damit diese Rhetorik nicht zur Realität wird.
Harte Linie gegen Moskau nach Hackerangriff? – Warum Biden sich an Putin die Zähne ausbeißen könnteQuelle: Reuters © Alexsey Druginyn/RIA Novosti/Pool

von Scott Ritter

Nach den Enthüllungen über den atemberaubenden Cyberangriff auf das Netzwerkmanagement-Unternehmen SolarWinds, der die Computernetzwerke mehrerer US-Ministerien, Regierungsinstitutionen und Behörden sowie die von mehr als 17.000 zivilen Firmenkunden in den USA schutzlos zurückließ, hat die antirussische Rhetorik in Washington, D.C. neue Höchstmarken erklommen.

Obwohl offiziell noch kein Verantwortlicher für den Hackerangriff benannt wurde, schob die National Security Agency die Schuld vorsorglich schon einmal in Richtung Russland: Von angeblich "vom russischen Staat geförderten böswilligen Cyber-Akteuren" ist die Rede; Senator Richard Blumenthal twitterte nach einer geheimen Unterweisung zu dieser Angelegenheit, bei der Unterweisung sei "Russlands Cyberangriff" behandelt worden.

Auch weitere Senatoren feuerten die Rhetorik mit noch ganz anderer Hitzigkeit an. "Dieser [SolarWinds-Hack] ist praktisch eine Kriegserklärung Russlands an die Vereinigten Staaten", fauchte zum Beispiel Dick Durbin, "und wir sollten das ernst nehmen." Ein weiterer Senator, Chris Coons, merkte an: "Es ziemlich schwer, dies von einem Akt der Aggression zu unterscheiden[…], der als Krieg gilt." Marco Rubio ließ verlautbaren: "Amerika muss Vergeltung üben – und zwar nicht nur mit Sanktionen."

Mit genährt von den Emotionen dieser Senatoren aus den beiden großen US-Parteien wurde also das Narrativ einer drohenden Konfrontation zwischen dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden, der am 20. Januar in sein Amt eingeführt werden soll, und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

"Ich habe Putin die Stirn geboten", gab Biden bei der ersten Debatte mit Donald Trump im September 2020 von sich, "und habe ihm klar gemacht – wir lassen uns von ihm nichts bieten." Anschließend nannte Biden noch Trump "Putins Schoßhündchen" – ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass sich der Amtsinhaber gegenüber Russland ein wenig zu weich verhalte. Bei NBC News getraute man sich sogar in einem Artikel vorauszusagen, dass Biden Moskau "an eine kürzere Leine" nehmen werde.

In seinen ersten Kommentaren nach den Enthüllungen des Hackerangriffs auf SolarWinds stellte Biden zunächst noch fest: "Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Sache unter Kontrolle ist"; auch "die Frage nach dem angerichteten Schaden ist noch zu klären." Biden kündigte an, dass die Cybersicherheit "für meine Regierung ein beherrschendes Thema" sein werde und dass die Hacker "sicher sein können, dass wir darauf reagieren werden – und zwar wahrscheinlich in der gleichen Art und Weise."

Obwohl beim Offenlegen von Details über dessen Pläne für die Vergeltung eher zurückhaltend, werden Biden nahestehende Quellen mit Aussagen zitiert, gemäß denen der gewählte Präsident neue Sanktionen gegen Russland im Finanzsektor sowie verdeckte Cyber-Angriffe auf russische Infrastruktur erwäge. Dies stünde im Einklang mit Bidens kommendem "Werkzeugkasten der Vergeltung", speziell gegen Russland: Erstmals wurden Details darüber im Juli 2020 bekannt, als Biden den russischen Präsidenten Putin bezüglich jeglicher Art von Wahleinmischung "in Kenntnis" setzte –  und zwar mit einem Hinweis darauf, er würde in Zukunft als Präsident aus den Optionen Verhängung von Sanktionen, Einfrieren von Vermögenswerten, und Einsatz von Cyberwaffen wählen können, sollte eine solche Aktivität aufgedeckt werden.

Die Realität ist indes deutlich komplizierter. "Russland ist heute viel mächtiger als vor 20 Jahren – und viel mächtiger als noch vor vier Jahren", zitiert NBC News eine Bemerkung von Michael McFaul, des ehemaligen US-Botschafters in Russland unter der Obama-Regierung.

Die bisher sowohl von der Europäischen Union als auch von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen haben Russlands Politik gegenüber der Ukraine und der Krim nicht ändern können.

Darüber hinaus stoßen die Sanktionen im Allgemeinen an die Grenzen ihrer Wirksamkeit – solange sie nicht auf den für Russland kritischen Energiesektor abzielen. Und angesichts der wichtigen Rolle Russlands für die globale Energiesicherheit würden sich Sanktionen, die auf die russische Öl- und Gasproduktion und -exporte abzielen, auch auf die ganze Weltwirtschaft nachteilig auswirken; zudem könnten sie einen russischen Vergeltungsschlag auslösen, der seinerseits eine militärische Konfrontation sehr wahrscheinlich machen würde.

Biden sollte auch bedenken, dass nichts davon jenseits der Außenwelt im luftleeren Raum geschieht. Noch im Juni 2019 berichtete die New York Times, dass die USA einen beispiellosen Cyberangriff auf das russische Stromnetz gestartet und heimlich Schadsoftware eingeschleust hätten, die es den USA ermöglichen soll, in Russland in Krisenzeiten den Strom nach Belieben abzuschalten. Diese Ankündigung eines möglichen Angriffs sollte eine Warnung an Präsident Putin sein – und so gesehen könnte man behaupten, dass der Russland angelastete Hackerangriff auf SolarWinds nun Putins Antwort sei, als ein klares Signal, dass Russland ebenfalls nach Belieben die US-Cyberabwehr knacken kann.

Damit könnte Russland seinerseits die Biden-Regierung darauf aufmerksam gemacht haben, dass jede Fortsetzung von Cyberangriffen der USA gegen Russland mit gleicher Härte beantwortet werde. Unabhängig davon, ob diese Behauptungen wahr sind oder nicht, ist eines klar: Von jedem Versuch, Moskau "an die Leine zu legen", werden die Hände in Washington sehr wahrscheinlich nur eines davontragen – nämlich üble Bissblessuren.

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Übersetzt aus dem EnglischenScott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Auf Twitter findet man ihn unter @RealScottRitter

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