Meinung

Warum sich Profit auch auf COVID reimt

Der Linken-Politiker Diether Dehm gehört zu den Wenigen innerhalb der Partei, die der Corona-Politik der Bundesregierung kritisch gegenüberstehen. Zusammen mit dem Satiriker Dieter Hallervorden hat er einen "Corona-Song" geschrieben – doch das gefiel nicht jedem.
Warum sich Profit auch auf COVID reimt

Ein Gastbeitrag von Dr. Diether Dehm

Bevor ich mit Dieter Hallervorden den regierungskritischen "Corona-Song" geschrieben und mit Millionen Zugriffen veröffentlicht habe, war dessen Vorfassung von Jan Böhmermann, Kurt Krömer, Ruhrbarone-Bloggern, taz, Spiegel mit linksklingenden Worthülsen angeschossen worden, besonders grotesk: als "Querfront" und "Verschwörungstheorie", weil ich da "COVID auch auf Profit" gereimt hatte. Seit Joseph Fischer zur angeblichen "Verhinderung von Auschwitz II" Serbien bombardieren ließ, werden antifaschistische Begriffe antisozialistisch und politisch korrekt ausgehöhlt. Aber für den Markenkern der Rechten, für Feindschaft gegen die organisierte Arbeiterbewegung, für Antikommunismus, gibt's Beifall von Ruhrbaronen, Bild über Spiegel bis AfDP. Welche "Fragen eines lesenden Arbeiters" sind medial noch zulässig?

Erstens: Was eigentlich sind "Vorerkrankungen"? Nur Diabetes und Adipositas? Ist alltägliche Entfremdung im Betrieb kein Immunstörer? Dem Biorhythmus gegenwirkende Arbeits- und Zeitregime? Burn-outs? Schlaflosigkeit, Dauerstress? Ständige Erreichbar- und Verfügbarkeit per Handy und Dauerablenkung über Facebook und andere asoziale Medien? Also: Woher kommt bloß das große Verschweigen der Notwendigkeit einer gewerkschaftlichen Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich als Immunstabilisiererin?

Zweitens: In "Lockdown 2020" bewerten Hofbauer, Kraft, Hunko, Mattioli, Sönnichsen und andere die vielzitierten Zahlen aus Italien: "95 Prozent der Menschen [starben] im Alter von über 60 Jahren." Statt Ältere "zu ihrem Schutz" aus der Freizeit zu holen, warum nicht aus verengenden Arbeitsverhältnissen? Wäre es nicht jetzt und überhaupt generell das Gesündeste, das Eintrittsalter in eine armutsfeste Rente auf 60 zu senken?

Drittens: Der junge-Welt-Journalist Knut Mellenthin postete am 7. November: "In Israel fand vor vielleicht zwei Monaten eine US-amerikanische Untersuchung große Aufmerksamkeit, die einen Zusammenhang zwischen Demonstrationen und Masseninfektionen explizit verneinte. (...) Aber um Fakten geht es schließlich gar nicht. Sonst würde man beispielsweise keine Museen schließen." Welche Zahlenbasis gibt es für die Entscheidung, welche Orte vorübergehend geschlossen werden müssen, weil sie ein hohes Infektionsrisiko darstellen? Sind es Theater, Kabaretts, Songveranstaltungen und Ähnliches – trotz deren modernster Hygienetechnik und Hygienekonzepte? Das "Ersatzangebot" digitaler Performance-Plattformen (Zoom & Co.) klingt zwar verlockend. Aber Kabarettisten wissen: Beifall und Lachen für eine kritische Pointe überraschen nicht nur Bühne, sondern auch Publikum: "Hoppla, der Mensch neben mir klatscht ja auch riskant!" In digitaler Performance folgt darauf aber nur Grundrauschen. Es bedarf kollektiver Präsenz, um nicht passiver, weil atomisierter Medienspielball zu bleiben. Hegel notierte, "die Begeisterung am Wahren" schüfe erst "die wahre Begeisterung". Und Pierre Bourdieu nannte es "Gegenöffentlichkeit". Damit Demokratie nicht verwelkt, müssen Organisationen, die der Arbeiterklasse nahestehen, auf Präsenzversammlungen insistieren!

Zwar gestand Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Pressekonferenz, dass es keine bezifferbaren Infektionen in Theatern gebe. Aber die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei "der Gefahrenherd". Wann ist die Kanzlerin zuletzt per Bus ins Theater? Oder morgens Schulter an Schulter in der S-Bahn gefahren – wie Arbeiter in die Fabrik, Kinder zur Kita? Oder zum Mediamarkt, der ja geöffnet bleibt?

Um für Abstand und Klima zu investieren, warum wird der 15-Milliarden-Investitionsbedarf in Bahn und Taktzahl gerade so dröhnend verschwiegen?

Viertens: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Lehrerverbände in Bundesländern schlagen mobile virustötende Luftfilter für alle Schulen vor. Kosten: eine Milliarde. Zu teuer? Um vier Milliarden soll jetzt der deutsche Rüstungsetat steigen. Warum für Filteranlagen keine Zuschüsse? Oder zumindest erhöht steuerliche Absetzbarkeit für Gastronomie, Kulturveranstalter etc.? Viren mutieren. Statt sie dauerhaft von Lernorten fernzuhalten, muss Technik her, die die Infektionsgefahr mindert. Oder soll da künftig Kultur etc. lieber immer wieder in den Lockdown? Und wie lange die Friedensbewegung? Obwohl Rüstungsexporte, Lager, Flucht und Kriege keinen Lockdown kennen, aber Hotspots liefern?

Fünftens: Die Influenza-B-Epidemie hatte im Winter 2017/18 eine vom Robert Koch-Institut (RKI) geschätzte Übersterblichkeit von 25.100 Toten in Deutschland zur Folge. Eine Rückkehr des Virus war denkbar. Trotzdem – und auch trotz "Hongkong-Grippe" und Ebola – machten Jens Spahn und seine rosa-grün-gelb-schwarzen Vorgänger aus neoliberalem Kostenfanatismus mit Privatisierung und Verknappung von Schutzkleidung, Intensivpersonal, Gesundheitsämtern, Hygiene und Pflege weiter. Immer weiter: Trotz der 20.000 bis 30.000 Menschen, die in Deutschland jährlich an multiresistenten Keimen sterben. Trotz der Pandemie-Studie des RKI von 2012 "zum mutierten Sars-Virus", trotz des Szenariums 1970 im DDR-Institut Berlin-Schöneweide.

Am 22. April lobte sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer im Bundestag: "Heute rollt der erste Zug mit Schutzartikeln von China nach Deutschland." Zuvor – als die Masken noch nicht da waren – hieß es offiziell, Masken taugen nichts. Epidemiebekämpfung andernorts wurde ausgeblendet. Stattdessen wurden Lufthansa, TUI, Rheinmetall, BMW & Co. gepampert, hingegen Arbeitsplätze und Soloselbständige plattgemacht. Noch im Februar hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Pandemie "eine besonders milde Form der Grippe" genannt. Der Bayerische Rundfunk beschimpfte zuerst alle als "Verschwörungstheoretiker", die das Virus dramatisierten. Wenige Wochen später nahm er die Denunziation aus der Mediathek, entschuldigte sich und bezichtigte fortan "Verharmloser" der Verschwörungstheorie. War Deutschland aufgeklärt oder im Verhältnis zu seinem Reichtum gut oder miserabel auf eine Pandemie vorbereitet? Wurde der Sommer für Prävention und Erkenntnisgewinn genutzt?

Sechstens: Der Freitag interviewte den antikapitalistischen Biologen Rob Wallace zu dessen Buch "Was COVID-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat". Dort verweist Wallace auf die Lebenskürze von Tieren in Massenschlachtanlagen, wodurch keine Immunbarriere entsteht. Und auf andere Pandemien wie Ebola: "Das Virus selbst war unverändert. Aber wie brachte es das Virus, das sonst ein, zwei Dörfer außer Gefecht setzt – was schlimm genug ist – dazu, 35.000 Menschen zu infizieren und 11.000 zu töten. Guinea, Liberia und Sierra Leone, wo Ebola wütete, gehören zu den Ländern, die Strukturanpassungsprogrammen unterworfen" und gezwungen waren, die "Ausgaben für das Gesundheitssystem zu senken und Ökosysteme für Konzerne zu öffnen. Komplexe Wälder, in denen gefährliche Pathogene eingeschlossen waren, wurden für Monokulturen plattgemacht, etwa Palmöl".

Ist Wallace jetzt ein Verschwörer? Weil er jene Profiteure aufzählt, die bereits Arbeitslosigkeit, Finanzkrise, Hunger, Flucht und Klimawandel mitverursacht hatten: "Nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 diversifizierten Investmentfirmen ihre Bestände. Goldman Sachs entdeckte den Agrarsektor und übernahm 60 Prozent der Anteile an Shuanghui-Development, einem chinesischen Agrar-Unternehmen. Das hatte Smithfield Foods gekauft, den weltgrößten Schweinefleischproduzenten aus den USA. Umgekehrt kaufte Goldman Sachs Geflügel- und Schweinefarmen in den Nachbarprovinzen von Wuhan. Dort werden Wildtiere, die für die Stadt gefangen werden, gegen Fledermäuse gedrängt, die SARS-Stämme beherbergen. (...) Die globalen Kapitalzyklen spielten eine grundlegende Rolle. (...)"

Sollten wir Linken jetzt nur Sonderabgaben von Krisengewinnlern wie Amazon, Lieferando, Zoom und anderen einfordern? Oder auch radikale, nachhaltigere, antimonopolistische Alternativen, wie die Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen? Sollen Gewerkschaften zur Pleitewelle der Kleinunternehmen weiter schweigen? Und umgekehrt: Was sind die Folgen der staatsmonopolistischen "Marktbereinigung" per Lockdown? Außer noch mehr Investitionsmacht für transnational agierende Konzerne? Zum Beispiel zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnstandorte? Und wie wenige Tarifvereinbarungen überleben das hierzulande?

Neue antiimperialistische Solidarität ist notwendig – hierzulande und transnational. Laut dem Handelsblatt vom 17. September sterben in der "Dritten" Welt mehr Menschen an lockdownbedingtem Hunger und Krankheiten als an COVID-19 in der "Ersten" Welt.

So, wie jeder Krieg mit einer Lüge beginnt, beginnt der "Shutdown" des Sozialstaats mit einem "Shut up!" gegen Meinungsfreiheit. Wer für Demokratie kämpft, tut dies also auch für Gesundheit und Menschenleben.

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