Meinung

Neue Seidenstraße: Zukunftsprojekt für Europa und Asien

Im Oktober 2008 erreichte ein besonderer Zug den Hamburger Hafen – den größten Hafen in der zweitgrößten Stadt Deutschlands. Er brachte 50 Container mit chinesischen IT-Produkten. In China begann er seine Reise über 10.000 km in 17 Tagen, um an sein Ziel zu gelangen.
Neue Seidenstraße: Zukunftsprojekt für Europa und AsienQuelle: www.globallookpress.com © Guopngjie/Keystone Press Agency

von Artur Leier

Auf dem Weg wurde das Schienennetz mehrerer Länder genutzt, darunter die Transsibirische Eisenbahn in den endlosen Weiten Russlands. 2011 erreichte ein weiterer Zug aus China in 16 Tagen die Stadt Duisburg – den größten Inlandshafen der Welt. 2013 wurde dann ein neuer Rekord aufgestellt: Ein Zug mit 51 Containern legte die Strecke von China nach Hamburg in 15 Tagen zurück. Zum Vergleich: Ein Containerschiff braucht dafür mehr als die doppelte Zeit.

Eurasische Brücke in die Zukunft

Die Betreibergesellschaft Trans-Eurasia Logistics war zunächst als China Railway Express eine Tochter von China Railway und wurde später als Joint Venture zwischen Deutschland und Russland unter dem Namen "Trans-Eurasia-Express" vermarktet. Im Jahr 2017 wurde das Projekt als Trans-Eurasia Logistics in die Deutsche Bahn AG eingegliedert und in DB Cargo Eurasia umbenannt. Dies zeigt, dass der Bedarf an solcher Infrastruktur wächst und das Zukunftspotenzial in Deutschland erkannt wurde.

Ein gut ausgebautes Schienennetz zwischen Asien und Europa bietet dem Güterverkehr eine Alternative, die schneller ist als der Transport per Schiff und erst recht günstiger als die Nutzung des Flugzeugs. Die Entwicklungsmöglichkeiten sind groß, und in Russland gibt es seit Jahren Ideen, neueste Technologie einzusetzen, um die Transportzeiten noch weiter zu verkürzen. Dazu gehören Überlegungen zu Vakuumröhren, in denen die Container bei enormen Geschwindigkeiten von um die 1.000 km/h auf die Reise geschickt werden. Dies könnte den Transport auf wenige Tage verkürzen, vielleicht sogar auf weniger als einen Tag. Kaum vorstellbar, aber Waren aus dem 10.000 Kilometer entfernten China wären dann schneller in Deutschland, als ein Briefversand innerhalb des Landes seinen Empfänger erreicht. Die Baukosten wären jedoch enorm, und ob die Technologie dafür heute bereit ist, scheint noch nicht sicher.

Sicher ist, dass schon 2016 die staatliche Russische Eisenbahn Gespräche mit dem privaten Unternehmen Hyperloop One in den USA führte. Eigene russische Entwicklungen oder weitere Kooperationen zwischen China, Russland und Deutschland sind auch im Bereich anderer neuer Transporttechnologien möglich. Solche teils existierenden, teils perspektivischen Großprojekte zur Infrastrukturentwicklung zwischen Europa und Asien – bisweilen zusammengefasst unter dem Begriff "Neue eurasische Kontinentalbrücke" – sind eng verbunden mit einem noch größeren Projekt: der Neuen Seidenstraße – international bekannt als "Belt and Road"-Initiative.

Acht Billionen für Eurasien und Afrika

Die Neue Seidenstraße ist das größte Infrastrukturprojekt der Geschichte. Sie verbindet die kontinentalen Transportwege Eurasiens mit maritimer Infrastruktur in Süd- und Südostasien, Afrika und darüber hinaus. Das Ziel sind Investitionen in Höhe von vier bis acht Billionen US-Dollar. Dabei legt die Neue Seidenstraße einen starken Fokus auf wenig entwickelte Volkswirtschaften und Regionen. Etwa die Hälfte der bisherigen Investitionen ging an Staaten, die von westlichen Ratingagenturen als wenig kreditwürdig eingestuft werden und keine Aussicht auf ernsthafte Investitionen aus der EU oder den USA haben. Und wenn sich der Westen dort betätigt, dann meist in Form neokolonialer Ausbeutung oder kurzfristiger Profite oder des Raubbaus. Da ist es verständlich, dass solche Länder an anderen Akteuren mit anderen Konzepten sehr interessiert sind, gerade in Regionen wie Ostafrika.

Ebenfalls verständlich ist, dass Politiker und Massenmedien aus den imperialistischen Zentren sehr besorgt sind über diese neue Alternative und den damit möglichen Ausweg aus der neokolonialen Abhängigkeit. Die Menschen in Afrika haben dann eine Alternative zu den leeren Versprechungen und zum Milchpulver aus der EU, das die lokalen Milchbauern ruiniert und Wirtschaftsflüchtlinge nach Europa treibt – faktisch ein Entvölkerungsprogramm, dem dann auch Ärzte und Fachleute folgen, die ohnehin schon knapp sind. Oder sie haben reale, langfristige Investitionen Chinas zur Schaffung von Infrastruktur, ganz ohne Kulturimperialismus und Einmischung in die gesellschaftliche und politische Entwicklung des Staates, die ja sonst oft eine stille Bedingung für westliche Kredite sind. Dann sind diese Länder gut darin beraten, sich lieber der Neuen Seidenstraße anzuschließen.

China macht das nicht aus Wohltätigkeit. Langfristige  Infrastrukturprojekte dieser Art sind zwar riskant, aber dieses Risiko zahlt sich, bei Erfolg, umso stärker aus. Die Empfängerländer haben allerdings bei chinesischen Investitionen kaum etwas zu verlieren. Es handelt sich weder um Abhängigkeit von einer weiteren Wohltätigkeitsindustrie noch um Kredite des IWF zur Vergrößerung der Armut. Die Neue Seidenstraße hinterlässt auf ihrem Weg neue Straßen, Schienennetze, Hafen und Kraftwerke.

Historische Möglichkeit für Deutschland und Europa

Doch nicht nur Entwicklungsländer profitieren von diesen Investitionen. Für viele Staaten in Europa und besonders für Deutschland eröffnet sich damit die Möglichkeit, von der einseitigen Westbindung wegzukommen und sich zumindest ein zweites Standbein im Fernen Ostens zu schaffen.

Gerade Deutschland hat die Chance, mit Russland seine angeschlagene Energieversorgung zu sichern und über stärkere wirtschaftliche Kooperation mit China und Russland Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen. Vor allem wäre damit eine Perspektive geschaffen, langfristig gemeinsam mit den aufstrebenden Ökonomien des Ostens zu wachsen. Ganz ohne aufgezwungene neoliberale "Werte", ohne Verpflichtungen zum Sozialabbau und zur Beteiligung an imperialistischen Kriegen.

Es gibt bereits erfolgreiche Beispiele in Europa, eines davon in Deutschland ist Duisburg. Nach dem Zusammenbruch der Kohle- und Stahlindustrie kämpfte Duisburg – wie viele andere Städte in der Region – mit hoher Arbeitslosigkeit. Jetzt ist der Duisport der Duisburger Hafen AG westlichster Knotenpunkt der Neuen Seidenstraße und empfängt wöchentlich bis zu 40 Güterzüge aus China. 80 Prozent der Züge von China nach Europa haben Duisburg als Ziel und machen die Stadt damit zu einem wichtigen Verteilerzentrum für ganz Europa. Für die Menschen dort bedeutete dies bislang 7.000 neue Arbeitsplätze und eine sichere Zukunftsperspektive. Nach Schätzungen der Deutschen Bahn sollte im Jahr 2020 die Zahl von 100.000 Containern erreicht werden. Tatsächlich wurden schon 2017 etwa 100.000 Container über das gesamte eurasische Schienennetz transportiert, mit zunehmendem Wachstum.

Das Potenzial der Neuen Seidenstraße ist in Europa noch lange nicht ausgeschöpft, und die Entwicklung bleibt positiv: 2019 erreichten die Zugverbindungen bereits 50 Städte in 15 Ländern, darunter London und Spanien. Mittlerweile brauchen einige Züge nur noch zwölf Tage bis nach Duisburg.

Für Deutschland, Russland und China bietet sich hier eine historische Möglichkeit zur gemeinsamen Schaffung eines eurasischen Wirtschaftsraumes mit riesigem Wachstums- und Zukunftspotenzial. Das ist etwas, wovon alle Staaten von Europa bis Asien nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch profitieren würden. Die Neue Seidenstraße ist mehr als ein Wirtschaftsprojekt: Sie führt zu einer multipolaren Welt auf Basis von Frieden, Souveränität und Wohlstand.

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Die englische Übersetzung des Artikels erscheint auf der chinesischen Plattform China Focus.

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