Meinung

"Typische Zeichen einer Feindbildwahrnehmung" – Hannes Hofbauer zur Nawalny-Medienberichterstattung

Hannes Hofbauer, unter anderem Autor des Buches "Feindbild Russland", arbeitet seit 1988 zu Osteuropa und ist Leiter des Promedia Verlags in Wien. Bezug nehmend auf den Fall Nawalny äußerte er sich nun im Interview mit RT Deutsch zur Russlandberichterstattung deutscher Medien.
"Typische Zeichen einer Feindbildwahrnehmung" – Hannes Hofbauer zur Nawalny-MedienberichterstattungQuelle: www.globallookpress.com © Tina Kandelaki/Instagram.com

1. Wie bewerten Sie die Berichterstattung der deutschen Medien zum Fall Nawalny?

Den allermeisten Medienberichten über russische Themen ist gemeinsam, dass sie sich kaum voneinander unterscheiden. Allenfalls auf Kommentarebene finden sich vereinzelt Stimmen, die das seit Jahren üblich gewordene Russland-Bashing hinterfragen. Das ist beim sogenannten Fall Nawalny nicht anders.

Wenn man sich die Entwicklung der Berichterstattung zu Russland seit dem Ende der Sowjetunion ansieht, kann man feststellen, dass ausgerechnet jenes Jahrzehnt, das in Russland als "verlorenes" gilt, nämlich die 1990er-Jahre unter Boris Jelzin, in Deutschland eine gute Presse hatte. Mit der Machtübernahme von Wladimir Putin zum 1. Januar 2000 begann sich die (geo)politische Großwetterlage langsam zu ändern. Dem Kreml gelang innenpolitisch eine Konsolidierung der Föderation und nach außen ein selbstbewussteres Auftreten.

Das stieß im Westen auf Missfallen. Mit der Verhaftung von Michail Chodorkowski im Oktober 2003 und dem Eingreifen Russlands aufseiten der abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien im Sommer 2008 schalteten die führenden deutschen Medien auf Feindbildproduktion. Als Moskau dann im März 2014 auf den unter kräftiger Mithilfe des Westens herbeigeführten Regimewechsel in Kiew mit der Eingliederung der Krim in die Russländische Föderation reagierte, riefen die EU und USA einen Wirtschaftskrieg gegen Russland aus. Die Sanktionen werden seitdem halbjährlich verlängert.

Zurück zum Fall Nawalny. Jede seriöse Berichterstattung darüber müsste, bevor sie nach weiteren Sanktionen ruft, vor allem zwei Fragen stellen. Zum einen, wie es dazu kommen konnte, dass der im Kreml angeblich meistgehasste Regimekritiker zuerst vergiftet und dann in eine deutsche Spezialklinik ausgeflogen wurde. Was könnte der Kreml, so er hinter dem Attentat steckt, damit bezwecken, Nawalny nicht zu töten und ihn dann deutschen Ärzten zu übergeben?

Die zweite Frage, die in deutschen Medien allzu selten gestellt wird, ist die nach der Person des Alexei Nawalny. Warum gilt ausgerechnet er, der sich mit fremdenfeindlichen Äußerungen gegen Menschen aus dem Kaukasus nicht zurückhält, der ein russischer Nationalist ist, in Deutschland als Held? Und dann wäre da noch ganz allgemein eine fehlende Selbstkritik deutscher Medien einzufordern, wie es kürzlich Oskar Lafontaine getan hat. Wer US-Drohnenkriege in der halben Welt über Logistikzentren in Deutschland führen lässt, ohne dafür auch nur einmal den US-Botschafter einzubestellen, um dagegen zu protestieren, sollte beim Fall Nawalny nicht gleich die ganz große Sanktionskeule gegen Moskau auspacken.

2. Was halten Sie davon, dass in den Medien mit der Causa Nawalny verstärkt Begriffe wie das "russische Regime", das "Putin-Regime" oder auch das "Putin-System" gebraucht werden? Und nicht die "russische Regierung"?

Das sind typische Zeichen einer Feindbildwahrnehmung. "Regierung" ist ein neutraler Begriff, damit kann eine gute oder eine schlechte Regierung gemeint sein. Ein politisches "Regime" hingegen ist eindeutig negativ konnotiert. Wer eine solche Wortwahl wählt, will, dass sich die ZuseherInnen und LeserInnen über die Einschätzung der jeweiligen Regierung keine eigenen Gedanken mehr machen. Er hat das bereits für sie erledigt, soll heißen: Putin ist der Bösewicht, Schluss und basta. Die Zuordnung "Regime" soll eine eigenständige Einschätzung von vornherein verunmöglichen.

3. Für Journalisten gilt laut Pressekodex eine Unschuldsvermutung als Guideline für die Berichterstattung. Denken Sie, dass diese im Fall Nawalny ausreichend berücksichtigt wird?

Mit der Vergiftung von Nawalny – auch wenn eine solche von russischen Ärzten, die ihn behandelt haben, bestritten wird – wird von allen Seiten Politik gemacht. Sie wird in klassischer Weise instrumentalisiert. Das geht in die eine Richtung bis zur Äußerung des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der darin ein Komplott des Westens sieht, um Russland davon abzuhalten, ihm aus der Patsche zu helfen. Und die andere Seite lesen wir Tag für Tag im Spiegel, der Süddeutschen [Zeitung] und anderen meinungsbildenden Blättern, die unisono von einem – offensichtlich – missglückten Auftragsmord direkt aus dem Kreml ausgehen. Die deutschen JournalistInnen folgen in ihrer überwiegenden Mehrheit dieser westlichen Verschwörungstheorie. Von Ausgewogenheit ist nur in wenigen Medien etwas zu sehen.

4. Nicht nur Medien, auch Politiker betreiben den Aufbau eines Feindbildes Russland. Welche Konsequenzen kann dies für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen haben?

Die Lage ist brandgefährlich. Die USA drängen Deutschland bereits seit Monaten, das für Berlin und Moskau gleichermaßen wichtige Projekt Nordstream 2 im letzten Moment zu Fall zu bringen. Angela Merkel und wesentliche Teile der deutschen Industrie sträubten sich bisher dagegen. Wenn nun der Fall Nawalny dazu führen sollte, dass Merkel ihre Position ändert, wäre das ein Desaster für die deutsch-russischen Beziehungen, die ohnedies schon am Boden liegen. Gegen jede ökonomische und geopolitische Vernunft würde ein Schritt in Richtung deutsch-russischer Feindschaft gesetzt, der noch schwerer als die bisherigen Sanktionen rückgängig gemacht werden könnte.

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