Meinung

Nach Bekanntgabe von Joe Bidens Vize: Ist Kamala Harris mehr als das "Reserverad"?

Die Entscheidung ließ ungewöhnlich lange auf sich warten. Jetzt gab Joe Biden, designierter Bewerber der Demokraten für das Präsidentenamt in den USA, bekannt, wen er im Falle eines Wahlsieges zum Vizepräsidenten ernennen würde: Kamala Harris. Harris wäre die erste Frau in diesem Amt.
Nach Bekanntgabe von Joe Bidens Vize: Ist Kamala Harris mehr als das "Reserverad"?Quelle: Reuters © CARLOS BARRIA

von Falko Looff

Fast wäre es noch eine Auseinandersetzung allein unter "alten weißen Männern" geworden. Erstaunlich nur, wie wenig dieser Umstand aus den Reihen der einschlägig bekannten Tugendwächter in Politik und offiziellen Medien hüben wie drüben kommentiert wurde. Dies dürfte jedoch mit dem Umstand zusammenhängen, dass ein Angriff auf Trump in dieser Frage auch stets einen Angriff auf Biden bedeutet hätte – also ebenjenen "Hoffnungsträger", von dem sich einige so sehr wünschen, er möge den ungeliebten Trump nun endlich aus dem Weißen Haus vertreiben.

Seit der Benennung von Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidatin der Demokraten überschlagen sich nun aber die Lobpreisungen für den "gelungenen Coup". Harris sei dynamisch und eloquent, begeistere mit ihrem sympathischen Lächeln, aber könne auch Angriff, so der allgemeine Tenor.

Dabei hatten sich Biden und seine Demokraten ungewöhnlich lange Zeit mit der Bekanntgabe des "Running Mate" gelassen. Dass es eine Frau werden würde, hatte Biden bereits im März angekündigt. Manch einer hatte vielleicht auf Elizabeth Warren spekuliert. Warren gilt als – für amerikanische Verhältnisse – politisch links. Als einer der schärfsten Kritiker von Präsident Trump hat Warren auch über die Grenzen der USA hinaus eine gewisse Bekanntheit erreicht, war aber zuletzt mit ihrer eigenen Präsidentschaftskandidatur in den Vorwahlen gescheitert.

Jetzt erhielt Harris den Zuschlag. Als Tochter von Einwanderern aus Jamaika (der Vater) und Indien (die Mutter) gilt Harris als "nicht weiß", was für Bidens Kampagnenmanager angesichts der "Black Lives Matter"-Proteste eine Rolle gespielt haben dürfte.

Allerdings könnte genau dieser Umstand noch Anlass zu Auseinandersetzungen bieten. Nicht wegen "rassistisch geprägter Spekulationen", wie sie etwa der Spiegel dem US-Präsidenten indirekt unterstellt. Sondern deswegen, weil es in den USA geltende Rechtslage ist, dass ein Präsident im Land geboren sein muss. Eine später im Leben erlangte Staatsbürgerschaft genügt nicht. Ein Vizepräsident, der keinen Geburtsort in den USA vorweisen kann, könne dem Präsidenten somit also im Falle des Falles nicht ins Amt folgen. Auf einer Pressekonferenz darauf angesprochen, erwiderte Trump dem Spiegel zufolge, er habe

gehört, dass sie [Harris] nicht die Anforderungen erfüllt.

Er habe aber "keine Ahnung, ob das stimmt", und hätte erwartet, dass man das seitens der Demokraten vorab überprüft hätte. Nach Spiegel-Informationen sei dies jedoch erfolgt, und es sei unbestritten, dass Harris im Bundesstaat Kalifornien geboren wurde.

Jedenfalls ist sie dort aufgewachsen und hat dort auch ihren Karriereweg begonnen. Harris ist Juristin von Beruf, war Bezirksstaatsanwältin in San Francisco und später Justizministerin von Kalifornien. Seit 2017 vertritt sie den Bundesstaat im US-Senat. Auch Harris hatte zunächst eine eigene Präsidentschaftskandidatur angestrebt und war – wie Warren – in den Vorwahlen gescheitert.

Und wofür steht Kamala Harris? Diese Frage ist an sich eher von zweitrangiger Bedeutung, denn das Hauptaugenmerk richtet sich naturgemäß vor allem auf die Kandidaten für die Präsidentschaft selbst. Vizepräsidentschaftskandidaten sollen einfach eine gute Figur machen und noch ein paar Wählerstimmen dazugewinnen. Später regelt der Präsident dann schon alles. Das ist nicht immer eine dankbare Rolle für einen Vizepräsidenten. In gewisser Weise ist sie vergleichbar mit dem Reserverad im Kofferraum. Man geht nicht davon aus, dass man es braucht, ist im Notfall aber froh darüber, dass man eines hat.

Doch genau das könnte dieses Mal anders sein, denn Spekulationen um den Gesundheitszustand von Joe Biden machen die Runde. Von zahlreichen "Aussetzern" bei öffentlichen Auftritten ist die Rede – auch wenn es um eher einfache Antworten geht – und hinter vorgehaltener Hand wird über eine beginnende Demenzkrankheit diskutiert. Die seltenen öffentlichen Auftritte Bidens und sein nahezu ausschließliches Kommunizieren mit potenziellen Wählern über ein Studio im Keller seines Hauses dürften nicht zuletzt auch damit zusammenhängen. Es bleibt abzuwarten, wie die Demokraten ihren Nominierungsparteitag gestalten werden. Oder wie man die drei "Rededuelle" zwischen Präsident und Herausforderer über die Bühne bringen wird.

Sollten derlei Mutmaßungen zutreffen, dürfte wohl kaum mit einer offiziellen Verlautbarung vor der Wahl zu rechnen sein. Vor allem träte nach Amtsantritt – und zwar vermutlich binnen Jahresfrist – jedoch ein, woran heute offiziell niemand denkt: nämlich ein Rücktritt des Präsidenten und die Vereidigung seines Vizes. So gesehen müsste man das Gespann Biden/Harris also eher als eine Präsidentschaftskandidatur im Doppelpack begreifen.

Harris bedient Reizthemen

Also wofür steht Kamala Harris? Das Trump-Lager bezeichnet sie als "radikale Linke" und als "verlogen". Solche Begriffe sollen natürlich stets Emotionen wecken und vor allem die eigenen Anhänger mobilisieren. Jedoch vertritt Harris definitiv Inhalte, die beim US-amerikanischen Wahlvolk das Potenzial zu echten Reizthemen haben.

So will sie den Gesundheitssektor reformieren, Militärausgaben senken oder die Erdgasförderung per Fracking verbieten. Sie möchte illegale Grenzübertritte von Flüchtlingen entkriminalisieren, inhaftierten Straftätern das Wahlrecht zubilligen, befürwortet Abtreibung auch über die zwanzigste Schwangerschaftswoche hinaus und will Steuern für Wohlhabende anheben.

Vor allem aber hat sie durchblicken lassen, dass sie das im zweiten Verfassungszusatz verankerte Recht zum Tragen einer Waffe einschränken möchte. Dies ist für etliche Amerikaner – auch Demokraten – ein immens wichtiges Thema. Harris möchte in diesem Zusammenhang nämlich nicht nur den privaten Erwerb von schweren Waffen verbieten – was durchaus noch Befürwortung bei vielen Wählern findet –, sondern sei darüber hinaus sogar bereit, Waffen von Bürgern konfiszieren zu lassen.

All dies dürfte nicht nur viele konservative Wähler stark verschrecken, sondern insbesondere auch jenen Anhängern der Demokraten schwer im Magen liegen, die sich eher der bürgerlichen Mitte zurechnen lassen. Dass Trump die Kandidatin Harris als "Traumgegnerin" bezeichnet, ist daher nur folgerichtig. Auch sei Harris eine "schwache" Kandidatin, denn sie habe bereits im Vorwahlkampf gezeigt, dass sie nicht mobilisieren könne. Sie habe zudem ihren jetzigen Partner Biden sehr böswillig angegangen und zum Schluss "fast null Unterstützung" gehabt, so Trump.

Allerdings gilt Harris auch als wendige Politikerin. So hatte sie beispielsweise in ihrer Zeit als kalifornische Justizministerin eher den Ruf der "harten Hand" in Sachen Recht und Gesetz. Noch vor der Wahl in dieses Amt schrieb sie 2009 in ihrem Buch "Smart on Crime":

Wenn es darum geht, die Hände zu heben für mehr Polizei auf den Straßen, wäre meine mit dabei.

Daraus wurde dann angesichts der "Black Lives Matter"-Proteste in diesem Juni:

Es ist Status quo zu glauben, dass mehr Polizei auf den Straßen auch mehr Sicherheit schafft. Das ist falsch.

Das Trump-Lager argumentiert jetzt so: Biden sei "nicht so schlau" und bereit, die "Zügel an Harris zu übergeben", während beide gemeinsam die "radikale Linke umarmen". Der aktuelle Wahlspruch: "Slow Joe and phony Kamala. Perfect together. Wrong for America". (Der langsame Joe und die verlogene Kamala. Passen perfekt zusammen. Aber nicht zu Amerika.)

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