Meinung

Liebe in Zeiten von Corona: Der kubanische Weg als Beispiel internationaler Solidarität

Dr. Medardo Ernesto Gomez Centeno aus El Salvador, der in Kuba Medizin studiert hat und in Deutschland seine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin und Notfallmedizin gemacht hat, äußert sich im Interview zu den Gefahren der Corona-Pandemie und zum Weg Kubas.
Liebe in Zeiten von Corona: Der kubanische Weg als Beispiel internationaler Solidarität

Ist die Coronavirus-Pandemie eine Gefahr?

Das, was das SARS-CoV-2-Virus gefährlich macht, ist die Tatsache, dass auch Träger des Virus nicht unbedingt Symptome haben müssen, aber andere infizieren können. Darum hat sich die Krankheit – gerade, als es noch keine Hygiene-Maßnahmen gab – auch so schnell ausbreiten können.

Die Corona-Pandemie müssen wir daher – gerade mit Blick auf immungeschwächte und ältere Personen – sehr ernst nehmen. Aber natürlich gibt es auch andere, vielleicht gefährlichere Erkrankungen und wir reagieren auf diese nicht im selben Maß wie auf Corona, zum Beispiel Malaria. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert diese Krankheit ca. 500.000 Opfer jährlich. Die Reaktion darauf ist jedoch nicht so dramatisch, weil nur die ärmeren Länder betroffen sind und nicht die Industriestaaten. Eine weitere Besonderheit hier ist, dass besonders Kinder von Malaria betroffen sind.

Oder Suizidfälle: Etwa 800.000 Menschen werden jedes Jahr Opfer von Suizid. Diese Fälle werden wahrscheinlich im Jahr 2020 zunehmen, und wir reagieren nicht mit drastischen Schritten wie bei der Corona Pandemie.

Eine solidarische Gesellschaft jenseits einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung wäre ein Schlüssel zur Lösung solcher Problematiken.

Wieso hat Deutschland so wenige Tote und eine niedrige Sterblichkeitsrate?

Einerseits wurden die Maßnahmen hier von der Politik durchaus deutlich und klar kommuniziert, und die Menschen haben sich überwiegend daran gehalten. Ich glaube, entscheidend war, schnell die großen Veranstaltungen oder große Menschenansammlungen zu verhindern. Andererseits ist das Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch nicht übermäßig privatisiert bzw. kaputtgespart. Die relativ hohe Anzahl an Intensivbetten ist sicherlich ein wichtiger Faktor.

Die Gesundheitsämter leisten auch gute Arbeit und verfolgen die positiven COVID-Fälle und geben dementsprechend die Empfehlungen. Die Informationen, wie man sich verhalten soll, sind sehr konkret und stark verbreitet.

Ich kenne drei Gesundheitssysteme auf dieser Welt, die relativ gut sind: El Salvador, Kuba und Deutschland.

In Deutschland funktioniert – wie auch in Kuba – das Model des Hausarztes gut. Das ist die beste Voraussetzung, die Pandemie unter Kontrolle zu halten, da sich die Menschen mit Symptomen an eine Vertrauensperson, den Hausarzt wenden können. Dieser Effekt ist in Kuba noch ausgeprägter, da die Ärzte des Viertels "ihre" Familien kennen und proaktiv aufsuchen. Durch die Besuche des medizinischen Personals in regelmäßigen Abständen sind die Menschen medizinisch aufgeklärt, Probleme werden schnell entdeckt und können behandelt werden. In El Salvador sind leider viele Arztpraxen wegen der Pandemie geschlossen. Die Angst vor dem Virus grassiert dort auch unter den Ärzten, die eigentlich behandeln und aufklären sollten, sodass große Infektionsketten erst gar nicht entstehen können.

Wir sehen derzeit in Deutschland: Wir können das Virus bremsen und das ist gut so, aber müssen nun auch lernen mit dem Virus zu leben. Um die älteren Menschen und immunschwache Menschen zu schützen, ist ein solidarisches Miteinander dringend notwendig!

Auch hier ist Kuba Vorreiter: Bereits im Februar, also früher als andere Länder, hat die kubanische Regierung den Menschen auf der Insel empfohlen, im öffentlichen Raum einen selbstgemachten Mund-Nase-Schutz zu tragen. Dieser schützt das Gegenüber vor einer Infektion. Dies ist eine Geste der Solidarität.

Welche Aspekte sind bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 zu beachten?

Auffällig ist, dass gerade kleinere Firmen die Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 vorantreiben. Große Pharmafirmen sind hier grundsätzlich weniger aktiv. Das ist kein neues Phänomen. Was z.B. Malaria anbelangt, gibt es keine nennenswerten Aktivitäten der Pharmariesen, in die Entwicklung eines Impfstoffes gegen diese Krankheit zu investieren. Die großen Firmen investieren deutlich mehr in die Erforschung von Medikamenten gegen Krebs und Immunschwächekrankheiten oder kardiovaskuläre und metabolische Krankheiten, da dort deutlich mehr Gewinne erzielt werden können.

Was Medikamente gegen COVID-19 anbelangt, ist es so, dass mehrere Alternativen aktuell geprüft werden. Initiativen, wie die des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump und auch des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele, nämlich massenhaft Hydroxychloroquin zu kaufen, kann man als Akt der Korruption bezeichnen, da der Kauf höchstwahrscheinlich den "Amigos" der Präsidenten zugutekam, die das Medikament verkauften. Für die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin gibt es nicht einen Funken Evidenz. Typischerweise werden solche Medikamente, wenn sie dann abgelaufen sind, auf den afrikanischen Kontinent verschifft, um sie gegen Malaria einzusetzen. In El Salvador hatte ich bei humanitären Einsätzen diese Erfahrung mit anderen gespendeten Medikamenten schon öfter gemacht. Eine Weitergabe an meine Patienten kann ich als Arzt nicht verantworten. Diese "Spenden" helfen höchstens dem Spender, aufgrund ihrer steuerlichen Absetzbarkeit, Steuern zu sparen.

Aber zurück zu den Medikamenten gegen COVID-19: Das auch in Kuba produzierte Interferon alpha 2b, das auch in China zum Einsatz kam, macht Hoffnung. Auch ein Interferon alpha 2a wurde hier bei uns empfohlen. Begleitet durch Aufklärung konnten wir dieses Medikament bei einigen Patienten anwenden und konnten eine Verbesserung der Lungensymptomatik beobachten, wobei aufgrund der wenigen Fälle erst eine Zusammenschau mit den europäischen Vergleichsstudien ein evidenzbasiertes Bild liefern wird.

Wie sehen Sie den weiteren Verlauf der Pandemie?

Wir lernen in allen Ländern gleichzeitig mit dem Verlauf der Pandemie.

Wenn man auf die Länder in Zentralamerika schaut, sieht man, dass es die Lebensbedingungen den Menschen dort fast unmöglich machen, Abstand zu halten. Wenn es dort eine Ausgangsperre gibt, sind die Folgen noch dramatischer als die Folgen einer reinen Pandemie selbst. In El Salvador ist beispielsweise zu beobachten, dass die Ärmsten, die ihrer Erwerbstätigkeit nun nicht mehr nachgehen dürfen, bereits keine Lebensmittel mehr zur Verfügung haben und unter Hunger leiden. Das ist fatal, zumal die Fallzahlen vergleichsweise sehr gering sind. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Virus in seiner Verbreitung durch die warmen, tropischen Bedingungen gehindert wird. Anstelle der Kredite durch den IWF, die das Land auf unabsehbare Zeit in eine noch drastischere Verschuldung stürzen, wäre hier ein solidarisches Miteinander auf internationaler Ebene erforderlich. Zumal die Kredite, die gewährt wurden, bisher nicht der armen Bevölkerung zugutekamen.

In Kuba gibt es einen sehr systematischen Umgang mit Corona. Einerseits hält man Abstand und trägt Schutzmasken, andererseits wurden die Arbeitstätigkeiten und der Transport zunächst nicht gestoppt. Trotz der zusätzlichen Schwierigkeiten durch die US-amerikanische Blockade und den pandemiebedingten Wegfall des Tourismus hält Kuba das Virus in Schach.

Welche Bedeutung hat das kubanische Gesundheitssystem, insbesondere für den Kampf gegen Corona?

Kuba hat gezeigt, wie wichtig es ist, Ärzte auszubilden, insbesondere die Ärzte, die bei den kubanischen Hilfsmissionen weltweit eingesetzt werden. Kuba hat die Ärzte, aber es fehlen dort oft die technologischen Ressourcen oder medizinischen Mittel, zum Beispiel Labor-Reagenzien und Corona-Testsätze, die die Kubaner wegen der Blockade nicht frei kaufen können. Sie können sie ausschließlich gegen Bezahlung bei der WHO beziehen. Dennoch ist das dortige Gesundheitssystem aufgrund der proaktiven Versorgung der Bevölkerung stabil.

Wieso investieren die Industrieländer enorme Summen in Waffen und nicht in die Ausbildung von medizinischem Personal? Man kann es so sagen: Wir werden diesen Krieg nicht mit Waffen gewinnen.

In meinem Fall und in vielen Fällen von Kollegen der ELAM (Lateinamerikanische Schule für Medizin in Kuba), die in Europa arbeiten und hier gelandet sind, auf der Suche nach einem sicheren Leben, das in ihren Heimatländern so nicht möglich ist, kann man sagen: Auch wir tragen die kubanische Solidarität und Philosophie nach Europa.

In meinem Fall war es eigentlich immer mein Wunsch, mich in den ärmeren Ländern im ärztlichen Dienst einzusetzen. Aber so, wie die aktuelle Lage jetzt aussieht, ist die Solidarität in den europäischen Ländern auch erforderlich. Als Arzt verspürt man derzeit sogar den Wunsch, sich auch in den USA einzusetzen, wo besonders die vulnerablen Bevölkerungsgruppen dramatisch betroffen sind.

Die Pandemie führt uns deutlich vor Augen, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung kein zukunftsfähiges Modell ist. Das, was Kuba und viele linksaktive Menschen bereits seit Jahren wissen, wird nun auch anderswo offensichtlich: Denn in Ländern, die eigentlich als wohlhabend angesehen werden, brechen die Gesundheitssysteme zusammen und können ihre Aufgaben nicht mehr bewältigen. Nur dort, wo es noch halbwegs tragfähige Solidarsysteme gibt, ist auch die Bekämpfung des Virus aus eigener Kraft möglich. Doch nicht nur die Gesundheitssysteme sind ein Spiegel der ungerechten Wirtschaftsordnung: Auch die Tatsache, dass diejenigen, die die kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaften und die Versorgung trotz der Pandemie am Laufen halten, in den meisten Ländern schlecht bezahlt werden, zeigt doch, dass die Prioritäten weltweit nicht unbedingt zum Wohle der Gesamtgesellschaft ausgerichtet sind. Kuba ist auch hier ein Beispiel, das zeigt, dass es sowohl innerhalb der eigenen Grenzen als auch auf internationaler Ebene anders sein kann und ein grundsätzlicher Weg der Solidarität möglich ist.

Was halten Sie vom Einsatz der kubanischen Ärztebrigade "Henry Reeve", unter anderem in Italien?

Genau hier zeigt sich, dass die Solidarität für Kuba eben nicht an der eigenen Grenze aufhört, sondern denjenigen zugutekommt, die sie benötigen – und das weltweit! Die Brigade hat weltweit den Blick auf Kuba gelenkt und ich hoffe sehr, dass dieses Beispiel der internationalen Solidarität viele Nachahmer findet und zum Nachdenken anregt – hinsichtlich der Vorteile einer solidarischen Gesellschaft und einer Weltgemeinschaft, deren Werte nicht von einem kapitalistischen "höher, schneller, weiter" geprägt werden, sondern von einem solidarischen Miteinander, das ein gutes Leben für alle Menschen weltweit zum Ziel hat und die dafür notwendigen Maßnahmen ergreift.

Was motiviert Sie, sich ausgerechnet für Kuba einzusetzen?

Ich bin Mitglied von Cuba Sí, da ich dem kubanischen Volk in großer Dankbarkeit verbunden bin. Ich wurde dort als Arzt ausgebildet und musste keine Gegenleistung dafür erbringen. Ich bin auch dankbar als gebürtiger Salvadorianer: Wenn mein Heimatland von Pandemien oder von anderen Problemen – wie z.B. der Tatsache, dass es dort keine augenärztliche Behandlung für arme Menschen gab – betroffen war, war keiner daran interessiert – außer Kuba. Diese Solidarität, auch jetzt mit Italien, beeindruckte mich schon immer!

Die kubanische Gesellschaft und das Gesundheitssystem haben für mich eine große Vorbildfunktion: Trotz des hohen Alters der Bevölkerung haben sie auch in Zeiten der Pandemie eine der niedrigsten globalen Mortalitätsraten. Und trotz der enormen Schäden durch die Blockade in Milliardenhöhe haben die Kubaner immer noch eine der längsten Lebenserwartungen in Lateinamerika, die besten Schulen, die beste Vorsorgemedizin, die besten Krankenhäuser. Und all diese Errungenschaften sind für alle zugänglich. Und dann kommt noch hinzu, dass trotz der Blockade und der Widrigkeiten solche Solidarität von Kuba ausgeht, durch seine Ärztebrigaden, die in die ganze Welt entsandt werden.

Wenn die Welt sich diese Solidarität zum Beispiel nimmt, sind wir auf einem guten Weg!

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