Meinung

"Wir können dankbar sein, dass Merkel da ist": Die mediale Kanzlerinnen-Apotheose

Die Zeiten sind hart, doch kein Grund zur Sorge – Deutschland wird ja von Angela Merkel geführt. Derartige Aussagen finden sich in jüngster Zeit in den "Qualitätsmedien". Mit dem, was die Kanzlerin tut und sagt, hat das nicht viel zu tun. Mit Journalismus auch nicht.
"Wir können dankbar sein, dass Merkel da ist": Die mediale Kanzlerinnen-ApotheoseQuelle: AFP © / Michael Kappeler

von Andreas Richter

Herrscher und andere wichtige Persönlichkeiten wurden in der Antike gern zu Gottheiten erklärt. Hintergrund dieser Apotheose genannten Vergöttlichung schon zu Lebzeiten war die Vorstellung, dass eine lebendige Gottheit besser für das Gemeinwesen sorgen könne als ein einfacher Mensch.

Etwas ganz ähnliches scheint nun Bundeskanzlerin Angela Merkel zu widerfahren, deren Verherrlichung durch die deutschen "Qualitätsmedien" immer absurdere Züge annimmt. Man ist es längst gewohnt, dass diese Medien überaus freundlich und ehrfürchtig mit Merkel umgehen.

Was die Kanzlerin sagt und tut, wird nur selten hinterfragt, ebenso wenig die Motive ihres Handelns. Grundsätzliche Kritik sucht man schon länger vergebens. Doch mit der Corona-Krise hat auch die mediale Verehrung eine neue Ebene erreicht – die der Apotheose.

Der Spiegel veröffentlichte am vergangenen Wochenende einen bizarren Beitrag mit dem Titel "Die Merkel-Matrix", dessen Kernthese lautete, dass die Kanzlerin in Krisen besonders stark sei. Der Autor machte vier Koordinaten aus, die das Handeln der Kanzlerin bestimmten: Wirtschaft, Freiheit, Humanität und Biedermeier. Und wie schon 2015 in der Flüchtlingskrise, werde ihr Handeln auch heute wieder von Humanität bestimmt:

In der Co­ro­na­kri­se setzt sich die Hu­ma­ni­tät vor die Wirtschaft und die Frei­heit. Mer­kel sag­te, man müs­se "den Ge­sund­heits­schutz vor­an­stel­len". Sie sprach von der "menschlichen Ge­sell­schaft", von "Für­sor­ge", von "den Schwa­chen" und er­wähnt Ar­ti­kel 1 des Grund­ge­set­zes, der die Wür­de des Men­schen für un­an­tast­bar er­klärt. Die Würde al­ler Men­schen. (…) In der Co­ro­na­kri­se spricht sie von Ge­mein­schaft, bis­lang ein eher ver­pön­ter Be­griff für Po­li­ti­ker von links bis zur Mit­te. Man spricht von Gesellschaft, weil das Viel­falt aus­drückt und Wi­der­sprü­che ein­schließt. Ge­mein­schaft be­tont die Ein­heit. Mer­kels Huma­ni­tät gilt al­len.

Die Menschenfreundin im Kanzleramt also. Natürlich könnte man fragen, wo sich Merkels Humanität in der Eurokrise, bei ihrer Sozialpolitik, bei den von ihr unterstützten Kriegen und Regimewechseln versteckte. Man könnte auch hinterfragen, ob Menschenfreundlichkeit wirklich das Hauptmotiv für das Agieren der Kanzlerin 2015 und heute war und ist oder man nicht doch vielleicht nur der Selbstdarstellung einer Politikerin auf den Leim geht. Könnte man, tut man aber offenbar als Journalist der "Qualitätsmedien" nicht.

Einen anderen Pfad der Merkel-Vergöttlichung geht das Springer-Blatt Die Welt. Dort hieß es am Mittwoch: "In der Corona-Krise herrscht in den USA plötzlich 'Merkelmania'". Der Beleg dafür: drei Beiträge in Trump-kritischen US-Medien, die die Deutsche als Gegenbild zum verhassten US-Präsidenten hochjubeln. Daraus wird dann "Merkelmania" in den USA.

Noch irrwitziger kommt ein Meinungsbeitrag im Sterndaher, der unter der Überschrift steht: "Warum jeder von uns heilfroh sein sollte, dass Angela Merkel noch Kanzlerin ist". Es sei den Beschränkungen und "unserem exzellenten Gesundheitssystem" zu verdanken, dass die Pandemie hierzulande nicht so gravierend verlaufe wie anderswo. Und wem noch?

Und nicht zuletzt Angela Merkel. Ihre Besonnenheit, analytische Kühle und ihr Weitblick sind genau das, was wir in einer solch beispiellosen Situation brauchen. Wie froh können wir sein, dass Merkel noch da ist. Dass sie es ist, die uns durch die Pandemie steuert.

Die Zwischenüberschriften "Sie findet die richtigen Worte und den richtigen Ton", "Merkel ist demütig und verlässlich", "Merkel ist Wissenschaftlerin", "Unsere Kanzlerin hat Weitblick und Augenmaß" verraten die Argumentation des Textes, der mit den Worten endet:

Wir können wirklich dankbar sein, dass Merkel immer noch da ist. Dass sie noch nicht amtsmüde ist. Denn auch wenn die Zeiten wahrlich sorgenvoll sind – zumindest darum müssen wir uns keine Sorgen machen. Bei Angela Merkel ist das Land in guten Händen.

Auch und gerade während Corona.

Man fragt sich beim Lesen solcher Machwerke: Glauben die Autoren, was sie da schreiben? Tickt so, wer das bundesdeutsche Bildungssystem von der Kita bis zur Journalistenschule durchlaufen hat? Oder erfüllen die nur ihren Auftrag?

Klar ist, dass sich die "Qualitätsmedien" immer weiter von der ihnen wenigstens in der Theorie zugeschriebenen Rolle einer "Vierten Gewalt" entfernen – die in Zeiten wie diesen besonders gebraucht wird – und lieber die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung erledigen. Die mediale Kanzlerinnen-Apotheose ist nur ein bizarrer, aber konsequenter Auswuchs dieser Entwicklung.

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