Meinung

Trotz Corona-Maßnahmen: US-Amerikaner sind vor Massenmord durch Schusswaffen nicht sicher

Eine Auswirkung von COVID-19 in den USA scheint ein starker Rückgang der Kriminalität zu sein. Allerdings nicht bei den schlimmsten Verbrechen. Etwa doppelt so viele Menschen sind in diesem März bei Massenerschießungen ums Leben gekommen wie zur gleichen Zeit der Vorjahre.
Trotz Corona-Maßnahmen: US-Amerikaner sind vor Massenmord durch Schusswaffen nicht sicherQuelle: www.globallookpress.com © Dominik Bindl

von Nicholas Sheppard

Im März 2018 gab es in den Vereinigten Staaten zehn Todesfälle durch Massenerschießungen. Im März 2019 waren es zwölf Tote. Im März dieses Jahres gab es unter den Quarantänebedingungen der Corona-Krise 26 Todesopfer durch Massenerschießungen. Auch die Zahl der Verwundeten ist in diesem März im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres gestiegen.

Die Vereinigten Staaten hatten weltweit die meisten Massenerschießungen, und selbst mitten in einer Pandemie-Ausnahmesituation ist die Rate nicht rückläufig.

Mit dem Einfluss der Corona-Krise auf das Sozialverhalten sind viele Formen der Kriminalität zumindest vorerst zurückgegangen. In New York City, dem von der Krise am stärksten betroffenen Gebiet, sank die Zahl der schweren Straftaten zwischen dem 16. und 22. März um 16,6 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2019, berichtet das Wall Street Journal. Einbrüche und Überfälle gingen im Vergleich zur Vorwoche um jeweils 18 Prozent zurück.

Gegen diesen Trend offenbart die Tatsache, dass die Statistik der Massenerschießungen tatsächlich noch etwas schlechter ist als im gleichen Zeitraum der Vorjahre, wie hartnäckig die Kultur der Schusswaffengewalt mit Massenmorden in den USA ist. Die Gewaltbereitschaft und die Häufigkeit der Vorfälle ist derart hoch, dass die Zahlen selbst von noch nie dagewesenen Umständen, bei denen fast niemand auf den Straßen unterwegs ist, unberührt bleiben.

Was hält diese massenhaft auftretenden Zahlen stabil, selbst inmitten einer drastischen sozialen Notlage wie durch die Corona-Krise? Der Anteil der Bandengewalt in problematischen Stadtvierteln, die sich über Quarantäneauflagen hinwegsetzen, bleibt im Wesentlichen gleich. Das Argument der Konservativen, dass es die innerstädtischen Banden sind, die die Zahl der Schießereien antreiben, erscheint damit glaubwürdig und bestärkt deren Auffassung, dass Schusswaffenvorschriften eine unnötige Verletzung ihrer als verantwortungsbewusste Waffenbesitzer darstellen.

Es gab mehrere Ereignisse in den von Gangs beherrschten Bezirken in Maryland, Detroit und Atlanta. Ein bewaffneter Mann in Tulare, Kalifornien, eröffnete das Feuer auf eine Gruppe von mehr als 50 Personen, die sich nach der Beerdigung eines Mannes versammelt hatten, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Ein Mann wurde dabei getötet und fünf weitere Personen, darunter ein kleines Mädchen, wurden verletzt. Ein weiterer Vorfall ereignete sich auf einem Einkaufsplatz in Maryland, vor einer Veranstaltung in einem Tanzstudio. In einem anderen Viertel schoss ein Massenschütze in eine Menge, die sich zu einer Geburtstagsfeier für einen Mann versammelt hatte, der einige Tage zuvor gestorben war. Ein Mann wurde getötet und 17 weitere Menschen wurden verwundet, nachdem auf einer Party, an der mehrere Motorradclubs in Ohio teilnahmen, Schüsse abgegeben worden waren. In all diesen Fällen sagten die Ermittler, dass sich die Gruppen aufgrund der während der Corona-Krise herrschenden Ausgangsverbote nicht hätten versammeln dürfen.

Die Gewalt der Banden ist jedoch nicht für alle Massenschießereien im März verantwortlich. Ein Mann tötete sechs Familienmitglieder, bevor er am Sonntagabend in der ländlichen Gegend von Moncure in North Carolina die Waffe gegen sich selbst richtete.

Die vom National Gang Center, der für die Katalogisierung von Bandengewalt zuständigen Regierungsbehörde, gesammelten Daten können helfen festzustellen, ob die USA ein Bandenproblem oder ein Waffenproblem haben. Während die Zahl der Banden und Bandenmitglieder seit mehreren Jahrzehnten zunimmt, ist die Zahl der bandenbezogenen Morde zurückgegangen. Wenn sich die Zahl der Bandenmitglieder und der Waffenmorde in entgegengesetzte Richtungen bewegt, spricht das immer weniger für das Argument, dass die Gewalt der Banden die Mordrate bestimmt.

Die kulturelle Kluft in den USA verhindert, dass etwas Sinnvolles getan wird, um das Ausmaß solch schrecklicher Ereignisse zu verringern. Die Zahl der Massenerschießungen hat sich nicht verringert, auch wenn das Land hinter verschlossenen Türen verharrt. Die hartnäckige Rate solcher Vorfälle inmitten einer Pandemie-Krise offenbart zahlreiche gesellschaftliche Problemfelder in den USA: die politischen und kulturellen Spaltungen, den Kreislauf der Gewalt und die harten sozioökonomischen Bedingungen vieler Innenstädte sowie eine latente Präsenz der Rassenfrage. Bandengewalt bedeutet für viele typischerweise afroamerikanische Bandengewalt. Als traurige Konsequenz kann nicht einmal eine Notsituation wie in dieser Corona-Krise verhindern, dass die Menschen in den USA bei Massenschießereien getötet werden.

Im März stürmten die Menschen in Rekordzahl in die Waffenläden, um sich inmitten der Angst durch die Corona-Krise Selbstverteidigungswaffen zuzulegen. Deren Verkauf stieg um etwa 83 Prozent. Die Verkäufe von Handfeuerwaffen nahmen im Vergleich zum März 2019 um 91 Prozent zu. Gewehrverkäufe verzeichneten einen Anstieg von 73 Prozent. Die Vereinigten Staaten sind bereits mit großem Abstand das Land mit den weltweit meisten Waffen pro Kopf der Bevölkerung. So besitzen 42 Prozent der US-Haushalte eine oder mehrere Waffen. Massenerschießungen in Schulen, Nachtclubs, bei Konzerten, in Kirchen und auf der Straße sind mittlerweile an der Tagesordnung. Viele Grundschulen praktizieren "Aktiv-Schützen"-Szenarien, und die Architektur neuer Schulen wird so gestaltet, dass die Form der Gänge die Zielumgebung für die Schützen reduziert. Die Rate der Morde durch Schusswaffengebrauch ist in den USA 25 Mal höher als in anderen Ländern mit ähnlichem wirtschaftlichen Niveau. Mehr als die Hälfte der erwachsenen US-Amerikaner oder jemand, der ihnen nahe steht, hat in seinem Leben Schusswaffengewalt erlebt.

Den Banden mögen Viren und öffentliche Einschränkungen gleichgültig sein. Doch die Vorfälle ereignen sich im ganzen Land. Und dabei geht es um die schlimmsten Vorfälle: In Orten wie Orlando, El Paso und Las Vegas waren einsame "Wolfsschützen" unterwegs, die mit dem bewaffnet waren, was verschiedene US-Gesetze als Angriffswaffen definieren. Nicht einmal eine Notsituation wie die Corona-Krise kann ein chronisches Problem im Herzen der US-amerikanischen Gesellschaft lindern.

Nicholas Sheppard ist Journalist und Meinungsredakteur, der für Politico, The Federalist, The Daily Beast, Huffington Post geschrieben hat. Er ist Autor des Romans Broken Play.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum ThemaHispanische Bevölkerung von El Paso bewaffnet sich nach Massaker

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.