Pompeos Reisen: Können die USA Russland und China aus dem postsowjetischen Raum verdrängen?
von Wladislaw Sankin
Ende Januar geriet Mike Pompeo in den Fokus eines weiteren Ukraine-Skandals. Beim Interview mit dem größten Radiosender des Landes National Public Radio befragte ihn die Moderatorin zu seiner Position zur designierten US-Botschafterin in der Ukraine, Marie Jowanowitsch. Seine Antworten waren unklar und ausweichend. Nach dem Gespräch ging der US-Außenminister mit der Journalistin Mary Louise Kelly in den Empfangsraum und begann, sie mit F-Ausdrücken anzuschreien.
Glauben Sie, die Amerikaner interessieren sich für die Ukraine?", soll er nach Angaben der Journalistin gesagt haben.
"Er fragte mich auch, ob ich die Ukraine auf der Karte finden würde. Ich bejahte, und er rief nach Helfern, die uns eine Weltkarte ohne Beschriftung bringen sollten. Ich habe auf die Ukraine gezeigt." In der Version des Gesprächs, die Pompeo verbreitete, konnte Kelly die Ukraine jedoch nicht finden.
Die Repräsentanten der Trump-Administration wollen aus innenpolitischen Erwägungen den Eindruck vermitteln, den USA sei die Ukraine unwichtig. Nach außen können sie so etwas nicht behaupten. Aber das stimmt auch nicht: Die Ukraine bleibt nach wie vor ein Feld, wo verschiedene Akteure der US-Politik, von NGOs bis Waffen-Lobbyisten und Finanzinvestoren, ihren unmittelbaren Einfluss ausüben. Ein Besuch in Kiew Ende letzter Woche sollte das US-Interesse an diesem Land weiter signalisieren.
Doch bei der Reise ging es nicht nur um die Ukraine. Mike Pompeo bereiste mehrere Staaten der ehemaligen Sowjetunion: die Ukraine, Weißrussland, Kasachstan und Usbekistan. Neben Russland waren diese Staaten die größten und bevölkerungsreichsten in der Sowjetunion.
Pompeo traf sich dort mit den Außenministern und Staatschefs. Trotz der immer ähnlich klingenden Rhetorik des US-Außenministers, bei der die Prosperität und Demokratie in diesen Ländern nur durch US-Unterstützung aufblühen und die Staatssouveränität garantiert werden könnten, zeigten diese Treffen aber auch, dass es Unterschiede gibt.
Die Ukraine, und das hat der zweitägige Besuch Pompeos in Kiew bestätigt, ist endgültig zu einem Vasallenstaat der USA degradiert (dazu s.unten im Artikel) – und das vor allem in seiner eigenen Wahrnehmung. Weißrussland ist Teil des sehr begrenzt funktionierenden, aber immerhin seit 1996 existierenden Staatenbundes Russisch-Weißrussische Union. Kasachstan ist, wie Weißrussland, Mitglied in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Usbekistan ist zwar kein Mitglied der EAWU und der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) wie Weißrussland und Kasachstan, hält aber freundschaftliche Beziehungen zu Russland, wo Millionen Usbeken bereits seit Jahrzehnten arbeiten. Eines haben diese Staaten, einschließlich der Ukraine, gemeinsam – der wachsende chinesische Einfluss, wo die Chinesen entweder Beteiligungen an den Werken aufkaufen oder selbst bauen und investieren. War das etwa der eigentliche Grund der langen Reise?
Ukraine: USA sind unser "Schlüsselpartner"
In Kiew hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij den USA noch einmal angeboten, sich an der friedlichen Regulierung im bewaffneten Konflikt im Südosten des Landes zu beteiligen. Andernfalls sei seiner Meinung nach die "Deokkupation" der Krim und des Donbass nicht möglich. Pompeo versicherte Selenskij, dass die Amerikaner die Gespräche über den Donbass aufmerksam verfolgen und nicht beabsichtigen, die antirussischen Sanktionen aufzugeben.
Die USA werden die Krim niemals als russisches Territorium anerkennen", sagte Pompeo.
Selenskij sagte direkt, dass die USA ein Schlüsselpartner bei der Verteidigung der Landessouveränität seien und bat Pompeo, endlich einen Sonderbeauftragten des US-Außenministeriums in die Ukraine zu schicken. Seit dem Ausscheiden des letzten Kurators der Ukraine, Kurt Volker, im September 2019 ist diese Stelle derzeit nicht besetzt, und es gibt aktuell auch keinen US-Botschafter in Kiew. Viele Beobachter deuten dies als Zeichen für ein sinkendes Interesse der USA an der Ukraine.
Der ukrainische Präsident war jedenfalls sichtlich darum bemüht, dieses Interesse zu wecken und bat dem großen US-Business sich am Bau der ukrainischen Brücken, Straßen und anderer Infrastrukturobjekte sowie der Erschließung der Gas- und Ölvorkommen zu beteiligen:
Wir erwarten, dass amerikanische Unternehmen sich an den Ausschreibungen für die Erschließung von Gebieten des Schwarzmeer-Schelfs beteiligen werden.
Pompeo versprach seinerzeit die Belebung der US-ukrainischen Wirtschaftsbeziehungen und Investitionen. Er warnte auch vor China. "Die Herausforderung durch China bleibt nach wie vor. (Die Chinesen) machen Dinge, die dem ukrainischen Volk nicht von Nutzen sind", sagte er in Kiew.
Neben dem Präsidenten traf sich der Ex-CIA-Chef Pompeo mit dem ukrainischen Außen- und Verteidigungsminister, mit Krim-Aktivisten sowie Epiphanius, dem Metropoliten der durch Poroschenko gegründeten Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Dieses Treffen signalisierte deutlich, dass die OKU ein US-Projekt ist, das darauf zielt, den Einfluss der weltweit größten orthodoxen Konzession, der Russischen Orthodoxen Kirche, zu schmälern.
In den letzten Monaten haben bereits zwei Vorsteher der insgesamt 14 orthodoxen Kirchen – das Erzbistum von Griechenland und das Patriarchat von Alexandrien – die OKU anerkannt. Beide Kirchen sind vom Patriarchat von Konstantinopel, das auch der OKU die "Unabhängigkeit" per Kirchenerlass (Thomos) schenkte, abhängig. Diesen Anerkennungsaktionen gingen außerordentliche Aktivitäten der US-Diplomaten voraus.
Pompeo versprach Selenskij einen offiziellen Empfang im Weißen Haus, rückte diesen jedoch in eine unbestimmte Zukunft. Der Pompeo-Besuch brachte keine Überraschung: Die Ukraine bleibt für die USA zwar strategisch ein wichtiges Territorium im geopolitischen Spiel gegen Russland, gehört aber nicht wirklich zu den obersten Prioritäten der aktuellen US-amerikanischen Außenpolitik.
Weißrussland: Wir sind souverän und unabhängig
Der Besuch des US-Außenministers in Minsk wurde in Russland mit großer Nervosität verfolgt. Viele Experten sahen darin ein Zeichen für das endgültige Scheitern des Union-Staates, dessen Bestimmungen bislang nur zu zehn Prozent umgesetzt wurden. Russland hat mehrere Jahrzehnte die weißrussische Wirtschaft mit Billigpreisen für Öl-und Gas de facto subventioniert, versäumte es jedoch, sich um humanitäre Angelegenheiten und russlandfreundliche Identität bei den Weißrussen mit NGO-Projekten zu kümmern.
Letztendlich wuchs im Land, mit wohlwollender Unterstützung der autoritär geführten Regierung von Alexander Lukaschenko, der Einfluss der polnischen und US-amerikanischen NGOs, die die nationalistischen Narrative der weißrussischen Geschichte förderten.
Präsident Alexander Lukaschenko setzt derzeit auf Annäherung mit den USA, wo er seit Jahrzehnten als "letzter Diktator Europas" gilt und auf der Sanktionsliste steht. Bei dem Auftritt vor der Presse lobte Mike Pompeo Weißrussland für die "Fortschritte bei der Umsetzung der Menschenrechte" und versprach, bald einen Botschafter nach Minsk zu entsenden. Er bot Weißrussland US-Öl zu "100 Prozent wettbewerbsfähigen Preisen" an. Er betonte, dass Weißrussland ein "souveränes Land" sein muss, zeigte jedoch Verständnis für die Tiefe der weißrussisch-russischen Beziehungen.
Sie haben eine lange Geschichte mit Russland, und wir sprechen nicht über die Wahl zwischen uns und ihnen (den Russen)", sagte Pompeo zu Lukaschenko.
Der weißrussische Außenminister Wladimir Makej sagte nach den Gesprächen zwischen Pompeo mit Lukaschenko, dass Minsk und Washington "in vielen Fragen gegenseitiges Verständnis für eine Zusammenarbeit erreicht haben." Nach dem Treffen signalisierte der weißrussische Präsident die Bereitschaft, sich mit Wladimir Putin am 7. Februar in Moskau zu treffen. Das Treffen soll zur "Stunde der Wahrheit" werden. Lukaschenko ist berühmt für sein loses Mundwerk. In Russland gilt er als schwieriger, aber vertrauter Partner – "Bazjka" (Väterchen) genannt –, der allerdings zu wenig für die Integration der beiden Staaten tut. Bei dem Treffen mit dem US-Gast soll er gesagt haben, dass Weißrussland ein souveränes und unabhängiges Land sei: "Wir können nicht Teil eines anderen Landes sein", wie Interfax berichtete.
Die freundlichen Gesten an die US-Amerikaner sind aus russischer Sicht nicht das Entscheidende, was die russisch-weißrussischen Beziehungen trüben könnte. Viele russische Experten sehen darin Anzeichen dafür, dass Lukaschenko den Weg des in der Ukraine gescheiterten Präsidenten Janukowitsch einschlägt, nur mit dem Unterschied, dass der schleichende Schwenk der weißrussischen Eliten in Richtung Westen keinen Staatsstreich bedarf.
Kasachstan und Usbekistan: China im Visier
Kasachstan ist ein weiterer enger Partner, Nachbar und Mitglied mehrerer Integrationsprojekte Russlands. Die US-Amerikaner sind seit den 1990er Jahren an vielen Unternehmen in dem rohstoffreichen Land beteiligt. Die Entwicklung der Zusammenarbeit in diesen Fragen betonte auch Pompeo und warnte seine kasachischen Partner vor russischen und chinesischen Investitionen.
Die weitreichenden nördlichen Gebiete, die an das russische Sibirien reichen, werden in Kasachstan zu großen Teilen von Russen bewohnt. Diese Gebiete wurden von Moskau im Rahmen des konföderierten Staates UdSSR zugeschlagen. Deshalb fürchtet die kasachische Führung territoriale Konflikte mit Russland. Das wusste der US-Außenminister zu nutzen, als er von der "Notwendigkeit" der antirussischen Sanktionen im Gespräch mit dem kasachischen Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew sprach:
Wir haben versucht, einen Weg der Zusammenarbeit mit Russland zu finden. Aber Sie wissen, dass die Russen die Akte der Aggressionen gegen die Krim und die südöstliche Ukraine begangen haben. Wir wissen, dass Kasachstan nicht möchte, dass Russland zu solchen Aktionen ermutigt wird. Deshalb werden wir die Sanktionen fortsetzen.
Mike Pompeo kam bei seinem Auftritt in der kasachischen Hauptstadt auch auf Menschenrechte zu sprechen: "Die Verteidigung der Menschenrechte bestimmt den Geist einer Nation." Neben Uiguren zählte er auch ethnische Kasachen zu den Opfern der angeblichen Repressalien in den chinesischen Internierungslagern. Dort seien über eine Million Moslems inhaftiert.
Die USA appellieren an alle Länder, sich der Forderung nach einem Ende dieser Repressionen anzuschließen. Wir fordern einen sicheren Hafen für chinesische Flüchtlinge, sagte Pompeo.
In Usbekistan nannte Pompeo seine Gastgeber "Freunde" und lobte das Land für die Öffnung nach außen und die Verbesserung der Menschenrechte. Er versprach weitere Millionen Dollar für US-Programme für diesen Bereich. Im Rahmen des extra für diese Region zugeschnittenen diplomatischen Formats "5 plus 1" traf er sich in der usbekischen Hauptstadt Taschkent mit den Außenministern der fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Eines der wichtigsten Themen war die Sicherung der logistischen Wege nach Afghanistan über die Umschlagorte in Usbekistan.
Bluff der USA und Moskaus Verwundbarkeit
Die lange Reise des US-Gesandten kann aus verschiedener Sichtweise betrachtet werden. Durch die chinakritische Rhetorik entstand der Eindruck, dass sich die Reise gegen den größten US-Rivalen, nämlich China, richtete. Realistisch gesehen, können die USA jedoch China, vor allem in Zentralasien, nicht viel entgegensetzen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der US-Abzug aus Afghanistan sich immer mehr abzeichnet. Selbst Pompeo räumte ein, dass die USA nicht bereit seien, mit China in Bezug auf Investitionen zu konkurrieren, da sie privaten Unternehmen nicht vorschreiben können, wo sie investieren sollen.
Doch die Reise zeigte auch etwas anderes, auch wenn die Ergebnisse der Treffen nicht allzu überraschend ausfielen und der US-Vertreter offenbar im Trump-Stil viel geblufft hat – wie etwa beim Versprechen, Weißrussland komplett mit US-Öl zu versorgen. Alle Gesprächspartner Pompeos, inklusive der ranghöheren Staatschefs, versuchten, ihm zu gefallen, ihm ihre Loyalität und Bereitschaft zu zeigen, Washington in allen Fragen entgegenzukommen, seine Wünsche zu erraten, seine Ideen anzuhören und umzusetzen.
Wie die russische Wirtschaftszeitung Kommersant schlussfolgerte, obwohl die Tatsache, dass die USA derzeit nicht in der Lage seien, ein außenpolitischer Magnet zu werden, der die Staaten der ehemaligen Sowjetunion anziehen würde, sollte den Kreml das nicht beruhigen.
Pompeos Tournee bestätigte die Verwundbarkeit der Position Moskaus im postsowjetischen Raum, so der Kommersant.
An Versprechen von Freundschaft, Liebe und Brüderlichkeit mit Russland, was man oft bei den bilateralen Treffen hört, sollte also nicht bedingungslos geglaubt werden.
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