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Zu Assad-freundlich: Veröffentlichung von US-Wissenschaftlern zu Giftgasvorwürfen gestoppt

Immer wieder war in den vergangenen Jahren die Rede von Giftgasangriffen der Assad-Regierung. Gegenstimmen wurden stets als unseriöse Propaganda abgetan. Nun führte eine weitere Veröffentlichung renommierter US-Wissenschaftler nicht zum gewünschten Ergebnis – und wurde prompt auf Eis gelegt.
Zu Assad-freundlich: Veröffentlichung von US-Wissenschaftlern zu Giftgasvorwürfen gestopptQuelle: Reuters © Abed Kontar

Der 4. April 2017 steht symbolisch für die Grausamkeit des sogenannten Assad-Regimes – zumindest wenn man den Ausführungen der vermeintlichen "internationalen Gemeinschaft" Glauben schenkt. An diesem denkwürdigen Tag soll Assad gegen jede taktische Logik – immerhin befanden sich die Truppen der Syrischen Arabischen Armee zu diesem Zeitpunkt bereits unwiderruflich auf dem Vormarsch – einen grausamen Massenmord durch Giftgas befehligt haben. Über 80 Zivilisten fielen dem Angriff zum Opfer, was prompt den vorhersehbaren Zorn der transatlantischen Gemeinschaft nach sich zog.

Wie im Rechtsverständnis von Brüssel, London, Paris und Berlin inzwischen üblich wurde nicht viel Federlesen um die Unschuldsvermutung und die schiere Logik gemacht. Ohne eine tatsächlich eingehende Untersuchung standen die Schuldigen aufgrund "eindeutiger", aber keiner professionellen Begutachtung standhaltenden "Beweise" binnen kürzester Zeit fest: Assad und seine Schergen. In einer unmittelbaren "Vergeltungsaktion" befahl US-Präsident Trump den Abschuss von 59 Cruise Missiles auf syrisches Territorium, freilich ohne substantiellen Schaden anzurichten.

Das Narrativ lautete wie folgt: Die syrische Regierung ließ einer ihrer berühmt-berüchtigten "Fassbomben", gefüllt mit dem Nervengift Sarin, auf die von "Rebellen" gehaltene Stadt Chan Schaichun in der Region Idlib niedergehen. Einige Zeit nach dem denkwürdigen Giftgasangriff übernahmen auch die Vereinten Nationen im Rahmen ihres Joint Investigative Mechanism (JIM) die propagierte Version des US-Nachrichtendienstes CIA.

Stimmen von Experten und international renommierten Journalisten, die zur Besonnenheit aufriefen und eine gründliche Untersuchung – und zwar am Ort des Geschehens – anmahnten, wurden als Apologeten der russischen bzw. syrischen Propaganda abgetan. Soweit so gewöhnlich.

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Nun sorgt ein Manuskript für Aufregung unter US-Wissenschaftlern. Es handelt sich um eine forensische Analyse innerhalb einer renommierten Zeitschrift der US-Universität Princeton (Science & Global Security, SGS). Als die Presse Wind von der bevorstehenden Veröffentlichung des Papiers bekam, wurde dessen Veröffentlichung demzufolge von den SGS-Redakteuren gestoppt. Die Analyse hatte im Vorfeld zu heftiger Kritik und Warnungen geführt, da die Veröffentlichung des wissenschaftlichen Beitrags dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und der russischen Regierung in die Hände spielen würde.

Der wohl bekannteste Autor des Manuskripts ist Theodore Postol, emeritierter Professor am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und anerkannter Experte auf den Gebieten Raketenabwehr und Kernwaffen. In Blog-Beiträgen und Interviews wies Postol ein ums andere Mal auf die Unwissenschaftlichkeit der Giftgas-Vorwürfe gegen die Regierung Assads hin und das, neben Chan Schaichun, in zwei weiteren Fällen, die ebenfalls der syrischen Regierung angelastet wurden.

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Und auch jetzt meldete sich etwa Gregory Koblentz, Experte für chemische Waffen an der George Mason University in Fairfax, Virginia, zu Wort, um Postol vorzuwerfen, "überwältigende Beweise" schlicht ignoriert zu haben, um die syrische Regierung zu entlasten. Aus welchem Grund sich Postol als Hofwissenschaftler Assads selbst diskreditieren sollte, erläuterte Mason in diesem Zusammenhang nicht. Kernwaffen-Experte Postol wies den Vorwurf als unbegründet zurück:

Ich versuche nicht, Partei zu ergreifen", so Postol.

Die genannte wissenschaftliche Veröffentlichung geht auf den angewandten Mathematiker Goong Chen von der Texas A&M University zurück. Zuvor hatte ihm dessen Sohn von Postols Arbeiten über die Giftgasangriffe in Syrien berichtet. Chen machte sich daran, den Angriff in Chan Schaichun anhand mathematischer Modelle nachzuvollziehen und zog zu diesem Zweck in Folge Postol und fünf weitere Wissenschaftler hinzu.

In ihrer gemeinsamen Analyse konzentrierte sich das ausgewiesene Experten-Team auf das wichtigste Indiz der "Anklage": einen Einschlagskrater in einer Straße, von dem die transatlantische "internationale Gemeinschaft" behauptete, dass dieser das Ergebnis eben jenes ominösen Giftgasangriffs durch die Truppen Assads gewesen sei. Basierend auf Fotos, Satellitenbilder, Munitionsrückständen und Interviews kam JIM zu dem Schluss, dass das etwa einen halben Meter tiefe Straßenloch durch einen Luftangriff erfolgt sei, was demnach auf die syrische Regierung verweise.

Die Modelle des Experten-Teams um Chen wiesen nun jedoch in ihrem Manuskript nach, dass der Krater auf den Einsatz einer 122-Millimeter-Artilleriegranate zurückgehen "könnte" und drückten sich damit wesentlich zurückhaltender aus als die "Fass Bomben"-Fraktion.

Ebenso erwartbar wie die unmittelbare Giftgas-Schuldzuweisung in Richtung Assad war die Tatsache, dass die Online-Veröffentlichung des Manuskripts wenig öffentliche Aufmerksamkeit erregte, geschweige denn, dass sie in renommierten Presseorganen diskutiert worden wäre. Für die notwendige Öffentlichkeit brauchte es die hawaiianische US-Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard, die vor allem mit ihrer anti-interventionistischen Rhetorik das politische US-Establishment gegen sich aufbringt und das Manuskript auf ihrer Kampagnen-Webseite veröffentlichte.

Internetportale wie Bellingcat, das stets das außenpolitische Narrativ der US-Regierung durch eigene Recherchen zu untermauern versucht, argumentierten anschließend, dass der in den Modellen simulierte Krater nicht mit dem in Chan Schaichun übereinstimme und zudem nicht wie ein Krater aussehe, der von einer 122-Millimeter-Artillerierakete verursacht werde. Auch aus Frankreich wurde die wissenschaftliche Analyse prompt als parteiisch verurteilt. Dem Forscher und Berater für chemische Waffen Jean Pascal Zanders nach zu urteilen, seien Beweise für die Täterschaft der Assad-Regierung ignoriert worden.

Postol hingegen weist die Bellingcat-Vorwürfe als unwissenschaftlich zurück. Der Cambridge-Professor argumentiert, dass der britische Journalist und Bellingcat-Gründer über "keine wissenschaftliche Ausbildung verfügt, keine Wissenschaft kennt und nicht daran interessiert ist, sich mit Wissenschaft zu befassen".

Postol fügt hinzu, dass seiner Ansicht nach überhaupt kein Sarin-Angriff stattgefunden habe, sondern dass die "Rebellen" sich alle Mühe gaben, es so aussehen zu lassen. Demzufolge deute vieles darauf hin, dass die tatsächlichen Untersuchungsergebnisse gefälscht worden seien, um den zügig erfolgten US-Raketenangriff zu rechtfertigen.

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Erwähnter Gregory Koblentz von der University of Virginia ließ einem der drei Herausgeber der Princeton-Zeitschrift, Pavel Podvig, mehrere E-Mails zukommen, um eine Veröffentlichung der Arbeit zu verhindern. Demnach habe Koblentz nicht in Frage gestellt, dass Postol qualifiziert genug sei. Es seien die früheren Aussagen Postols, die diesen disqualifizierten.

Sie sollten dieser neuesten Analyse mit großer Vorsicht begegnen", ließ er Podvig wissen.

Weiter behauptete Koblentz, dass das Papier "missbraucht werde, um die Verbrechen des [Assad-] Regimes zu vertuschen." Dies würde "den Ruf ihrer Zeitschrift dauerhaft schädigen", warnte er – nicht ohne Erfolg.

Anfang des Monats erklärten die SGS-Redakteure, dass ihre Planung nunmehr die Veröffentlichung einer überarbeiteten Version des Manuskripts vorsehe.

Wir verstehen, dass, obwohl keine Analyse in diesem Bereich vollständig von ihrem politischen Kontext getrennt werden kann, die wissenschaftliche Gemeinschaft über etablierte Praktiken verfügt, um mit dieser Herausforderung umzugehen", hieß es zunächst seitens der Redakteure.

Am 24 September legten diese die Veröffentlichung schließlich vollständig auf Eis. Demzufolge habe eine "unabhängige, interne Untersuchung eine Reihe von Problemen im Rahmen des Begutachtungs- und Revisionsprozesses identifiziert". Die Veröffentlichung werde nicht erfolgen, um "zu prüfen, ob die Redakteure die Probleme beheben" könnten.

Podvig lehnte es demnach ab, die Entscheidung darüber hinaus zu begründen. Nur soviel ließ er wissen:

Im Nachhinein hätten wir es [das Manuskript] wahrscheinlich an eine andere Gruppe von Gutachtern schicken sollen.

Wenig überraschend, begrüßte Koblentz die Entscheidung und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich die renommierte Zeitschrift den Versäumnissen stellen werde.

Ich denke, es wäre für Wissenschaftler auf diesem Gebiet wertvoll zu verstehen, was schief gelaufen ist", zeigte sich Koblentz überzeugt.

Laut Chen habe ihn die Entscheidung "betäubt". Postol wiederum zeigte sich "überaus zuversichtlich", dass die Analyse des Experten-Teams schließlich doch veröffentlicht werde. Postol zufolge sei Koblentz' Kritik nebensächlich:

Ich finde es beunruhigend, dass der Fokus auf seiner Schlussfolgerung zu liegen scheint, dass ich voreingenommen bin", erläuterte er die eigene Zuversicht.

Die entscheidende Frage sei: "Was ist [wissenschaftlich] falsch an der Analyse, die ich vorgenommen habe?"

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