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Internet-Zensur, Iran-Agentur, Erdoğan-Besuch: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Der Besuch des türkischen Präsidenten, Zensur-Bestrebungen der EU und eine Iran-Agentur zur Abwendung von US-Sanktionen: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass zu verzerrender Berichterstattung.
Internet-Zensur, Iran-Agentur, Erdoğan-Besuch: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Reuters

Von Thomas Schwarz

Wenn die transatlantische Brücke so rapide bröckelt wie dieser Tage, dann ist das sicherlich für viele Redakteure der großen Medien nicht einfach zu verarbeiten – beruflich und persönlich. Auf die persönliche Ebene haben wir keinen Einblick, aber stellen Sie sich vor, Sie sind ein indoktrinierter und ideologisch gefestigter Redakteur der Nachrichtenagentur dpa, und Sie müssen nun fast wöchentlich spektakuläre Nachrichten zur mutmaßlichen Dämmerung der deutsch-amerikanischen "Freundschaft" verkünden wie nun diese: "EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien gehen in der Iranpolitik weiter auf offenen Konfrontationskurs zu US-Präsident Donald Trump." Noch vor sehr kurzer Zeit wäre auch eine Feststellung wie diese im Schweizer Tagesanzeiger schwer vorstellbar gewesen:

Europa verbündet sich gegen die USA, alte Gefolgschaften zerbrechen.

Um das internationale Atomabkommen mit dem Iran zu retten, wollen die betreffenden Staaten tatsächlich eine Zweckgesellschaft zur Umgehung von US-Sanktionen gründen. Diese soll den Zahlungsverkehr bei Iran-Geschäften abwickeln, wenn sich private Banken wegen drohender US-Strafen dazu nicht mehr bereiterklären. Dieser überfällige, aber – wenn er denn wirklich umgesetzt wird – dennoch mutige Schritt scheuchte neben der nationalen auch die internationale Mainstreampresse auf. Die Süddeutsche Zeitung etwa gibt der Sichtweise der USA gewohnt viel Raum, die gemäß US-Außenminister Mike Pompeo lautet: "Das (das Vorhaben der EU-Staaten) ist eine der denkbar kontraproduktivsten Maßnahmen für regionalen und globalen Frieden und Sicherheit."

Mainstream-Presse möchte Sanktionen retten

Ganz und gar nicht "amused" ist auch die britische Times, die sich unter anderem von der Haltung Großbritanniens schwer enttäuscht zeigt:

Während der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat US-Präsident Trump seinen politischen Einfluss in die Waagschale geworfen, um Unterstützung für die diplomatische und wirtschaftliche Isolation des Iran zu mobilisieren. Stattdessen versuchen selbst Verbündete der USA unberechtigterweise, den Präsidenten zu isolieren und Teheran zu belohnen.

Um den abtrünnigen EU-Staaten die Leviten zu lesen und um für die weder moralisch noch juristisch gerechtfertigten Iran-Sanktionen zu werben, stellt die Times die Realität auf den Kopf und verwehrt der Verhinderung eines Krieges die moralische Rechtfertigung: "Dabei gibt es keine moralische Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung eines Abkommens, das zwar die Entwicklung zu einem Krieg verlangsamen soll, dabei jedoch einem repressiven Regime alle Freiheiten gibt, sich in anderen Kriegen zu engagieren."

Trump ruft "Wahleinmischung" – ausgerechnet NYT verlangt "Beweise"

Taten statt Worte gegen einen nicht genehmen US-Präsidenten werden derweil aus Polen gefordert: Indirekt zum parteiinternen Putsch gegen Donald Trump ruft etwa die polnische Gazeta Wyborcza auf:

Doch Trumps Republikanische Partei besteht nicht nur aus dem US-Präsidenten. Wie viele Vernünftige finden sich, die in der Lage und willens sind, über den Tellerand zu schauen? Wann reagiert die Partei, bevor es zu einer globalen Katastrophe kommt?

Mit Trump setzt sich auch die New York Times auseinander, genauer mit seinen Äußerungen zu angeblicher chinesischer Wahleinmischung. Dabei wirft das Blatt Trump genau das vor, was die US-Zeitung selber im Rahmen der "Russia-Gate"-Kampagne praktiziert, was unfreiwillig komisch wirkt: "Im UNO-Sicherheitsrat beschuldigte der US-Präsident China – natürlich ohne Beweise vorzulegen –, sich in die anstehenden Zwischenwahlen zu Trumps Ungunsten einzumischen. Es ist eine empörende Anklage, die darauf abzielt, China mit Russland, dessen bewiesene Wahleinmischung vom Präsidenten nicht einmal erwähnt wurde, gleichzusetzen und antichinesische Feindseligkeit innerhalb der Republikanischen Partei zu schüren."

Mit angemessenem Sarkasmus reagiert die chinesische Zeitung Huanqiu Shibao auf die Vorwürfe Trumps:

Ist das amerikanische Wahlsystem denn wirklich so fragil, dass es von Moskau, Peking und wem auch immer derart leicht manipuliert werden kann? Wenn die ganze Welt bestimmen könnte, wer im Weißen Haus sitzt, dann hätten die USA wohl kaum einen Präsidenten, der die ganze Welt vor den Kopf stößt und sie mit Drohungen und Sanktionen überzieht.

Medien fangen russische Kampfjets ab

Immer wieder geistern "abgefangene" russische Kampfjets durch die großen deutschen Medien. Viele Berichte suggerieren dann einen gerade noch abgewehrten russischen Luftangriff, so auch in dieser Woche: "Deutsche Kampfjets fangen russische Überschallbomber ab", wusste der Spiegel zu berichten. Das stimmt so nicht: Es sind sich Flugzeuge im internationalen Luftraum begegnet. Der Spiegel dramatisiert dennoch: "Über der Ostsee liefern sich NATO-Kampfjets und russische Flugzeuge immer wieder ein Katz-und-Maus-Spiel." Die passenden Bilder dazu liefert T-Online in diesem merkwürdigen Beitrag über russische Jets – ohne Kommentar, dafür mit bedrohlicher Musik.

Den "Abfang"-Vorgang hat auch RT bereits angemessen zynisch kommentiert: "Russische Flugzeuge mussten im internationalen Luftraum 'abgefangen' werden? Innerhalb von Minuten müssen die NATO-Kampfjet-Piloten 'durch Sichtkontakt' feststellen, ob von dem verdächtigen Luftfahrzeug eine Gefahr ausgeht? Winken sie, oder zählen und identifizieren sie die Bomben an der Außenhülle? Gucken sie, ob die Piloten ohnmächtig geworden sind?" Der Artikel mit dem Titel "dpa als NATO-Sprachrohr" weißt auf ein wichtiges Phänomen hin: die Macht der Nachrichtenagenturen. Die weiter oben aus dem Spiegel zitierte dpa-Meldung etwa findet sich mit ihrem tendenziösen und dramatisierenden Tonfall in zahlreichen Medien.

EU und Zensur – Fake-News-Produzenten rufen: "Fake News!"

Dass die großen Medien nur oberflächlich über den diese Woche von Facebook, Google und Co. unterzeichneten Verhaltenskodex der EU-Kommission gegen Fake News berichten, ist nachvollziehbar. Zum einen ist er eine freiwillige Maßnahme, also ein Papiertiger. Vor allem sehen sich aber die großen Medien nicht als Fake-News-Produzenten und finden es darum in Ordnung, dass sie von dem Kodex gegenüber alternativen Medien mutmaßlich bevorzugt werden sollen, indem die kleinen Medien als "unseriös" diffamiert und ihnen die Werbeeinnahmen unmöglich gemacht werden.

Also muss man bei dem Thema einmal mehr auf RT verweisen, das schon vor Monaten dazu schrieb: "Mit Fake News gegen Fake News: Gegen die Masse an mutmaßlicher Kriegspropaganda, die der sogenannte Mainstream ausstößt, schrumpft das (nicht zu leugnende) Problem unseriöser Alternativ-Medien fast schon zu einer Lappalie. Ein Konzept gegen Fake News, das die Fake-News-Fließbandproduzenten der großen Medien nicht thematisiert, ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist."

Es war nicht alles schlecht: Recep Tayyip Erdoğan und die wohlfeile Empörung

Den Weg des türkischen Präsidenten vom begründet großen Hoffnungsträger zum heutigen etwas undurchschaubaren, medial undifferenziert als "Autokrat" verschrieenen Politiker zeichnet überraschend differenziert die taz nach. Das ist gerade in der Flut des wohlfeilen Er­do­ğan-Bashings anlässlich seines Deutschlandbesuchs bemerkenswert. Zwar krankt auch dieser Artikel taz-typischen West-Zentrismus in der Perspektive – verglichen mit den mitunter schlimmen Auslandsbeiträgen etwa von taz-Autor Dominic Johnson ist er aber geradezu empfehlenswert:

In einem Porträt Ende 2004 schrieb ich: 'In den zwei Jahren der Regierung Erdoğan sind mehr Reformen realisiert worden als in den 20 Jahren davor. Meinungsfreiheit und null Toleranz gegen Folter wurden proklamiert und gesetzlich verankert, kulturelle Rechte für die kurdische Minderheit garantiert und die Todesstrafe endgültig abgeschafft.'

Heute, 14 Jahre später, kann von Meinungsfreiheit keine Rede mehr sein, seit dem Putschversuch im Jahr 2016 wird in Polizeihaft wieder gefoltert, die Kurden im Land gelten wieder pauschal als PKK-Sympathisanten und 'Terrorhelfer'. Erdo­ğan fordert regelmäßig das Parlament dazu auf, die Todesstrafe wiedereinzuführen.

Mehr zum Thema - EU ruft zur Zensur auf: Soziale Netzwerke sollen "herkömmliche Medien" bevorzugen

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