Gefahr für die Meinungsfreiheit: Die Facebook-Zensoren des Atlantic Councils

Im Mai beauftragte Facebook den Atlantic Council mit der Aufsicht über die auf der Plattform verbreiteten Inhalte. Die stramm antirussisch ausgerichtete Denkfabrik erlangt dadurch eine gefährliche Machtposition. Deren Protagonisten nutzen diese schamlos aus.
Gefahr für die Meinungsfreiheit: Die Facebook-Zensoren des Atlantic Councils  Quelle: www.globallookpress.com © Global Look Press

von Bryan MacDonald 

Wie alle außenpolitischen und militärischen Denkfabriken existiert auch der Atlantic Council, um für die politischen Ziele seiner Geldgeber zu werben. Im Mai knackte der Think Tank sozusagen "den Jackpot", als er von Facebook im proklamierten Kampf gegen Fake News mit der Aufsicht über die Inhalte auf der größten Social-Media-Plattform der Welt betraut wurde. 

Während die allgegenwärtige Präsenz von Lobbyisten des Atlantic Councils ohnehin einem freien und fairen öffentlichen Diskurs abträglich ist, stellt Facebooks Entscheidung, die Denkfabrik zum Richter über vermeintliche Wahrheiten und Fake News zu ernennen, eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar. Und der Hinweis von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vergangene Woche in der Washington Post auf ein "Wettrüsten" in der Informationssphäre, offenbart die düstere Realität hinter diesem Schritt.

Die medialen Reaktionen auf diese einschneidende Maßnahme waren bezeichnend. Es gab Schlagzeilen wie: "Das kleine Team der US-Denkfabrik hilft Facebook, Fake-Beiträge in den sozialen Medien zu bekämpfen" (Reuters) oder auch: "Facebook kooperiert mit dem Atlantic Council zur Verbesserung der Sicherheit der Wahlen" (The Hill).

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Aber die Wahrheit ist leider eine völlig andere. Der Atlantic Council ist praktisch der Propagandaflügel der NATO. Und er wird unter anderem von Rüstungsherstellern, verschiedenen Zweigen des US-Militärs und von autokratischen Regimen im Nahen Osten finanziert, da er die Agenda der transatlantischen Militärallianz fördert – deren Zweck von ihrem ersten Generalsekretär Hastings Ismay mit den Worten beschrieben wurde, es gehe für die NATO in Europa darum, "die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten".

Damit das klar ist: Wenn die Bevölkerung nicht an die "russische Bedrohung" glaubt, dann macht sich die NATO im Wesentlichen überflüssig. Die Förderung von Spannungen mit Europas größtem Land ist eine existenzielle Angelegenheit für den Atlantic Council. Und jetzt setzte Facebook gerade diese Lobbygruppe als Zensor auf seiner Plattform ein.

Das birgt beträchtliche Gefahren für die freie Meinungsäußerung und sollte jeden beunruhigen, der sich eine faire und ausgewogene Berichterstattung der Medien wünscht. Insbesondere nachdem Zuckerberg in der Washington Post darlegte, wie sein Unternehmen von den US-Behörden zur Kontrolle von Informationen und zur Bekämpfung von "ausländischen Akteuren" eingesetzt wird. Der Firmenchef prahlte auch damit, dass "wir mit den Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet haben, um Konten in Russland zu löschen".

Rolle des Schreckens

Der Atlantic Council wurde im Jahr 1961 mit der Mission gegründet, "die Fortsetzung der nach dem Zweiten Weltkrieg begonnenen Zusammenarbeit zwischen Nordamerika und Europa zu fördern", und er entwickelte sich von einer Art Forum zur Verständigung zu einer pseudo-akademischen Lobbygruppe. Obwohl er sich als "Think Tank" (wörtlich: "Denk-Panzer") bezeichnet, ist diese Beschreibung in der Praxis aufgrund des Fehlens einer echten Debatte und der mangelnden Toleranz gegenüber Meinungsverschiedenheiten nicht im klassischen Sinne zutreffend, da der Atlantic Council eindeutig mehr daran interessiert ist, einen Markt für Panzer zu schaffen als das Denken zu schützen oder gar zu befördern.

Finanziert wird er von Dutzenden ausländischer Regierungen und auch durch Zuwendungen privater Firmen und Einzelpersonen. Dazu gehören die Waffenhersteller Lockheed Martin, Raytheon und Boeing ebenso wie wohlhabende private Geldgeber, etwa Wiktor Pintschuk aus der Ukraine oder der saudische Milliardär Bahaa Hariri. Die staatlichen Institutionen, die Gelder einzahlen, reichen von dem National Endowment for Democracy über das britische Außenministerium bis hin zum US-Militär selbst.

Das Geld wird hauptsächlich für die Einstellung von Lobbyisten verwendet, die als "Fellows" (Ehren- oder Gastmitglied) bezeichnet werden. Manche von ihnen sind in einer Außenstelle der Denkfabrik im Einsatz, dem Digital Forensic Research Lab (DFR Lab) – die Abteilung, die mit Facebook zusammenarbeitet.

Einige der Mitarbeiter des Atlantic Councils verfügen über ein beachtliches öffentliches Profil. Zum Beispiel Dmitri Alperowitsch (dessen Firma die Geschichte von dem russischen DNC-Hackerangriff in die Welt setzte), Anders Aslund (ein radikaler Ökonom, der den Zusammenbruch Russlands fälschlicherweise zweimal vorhergesagt hat, Michael Carpenter (Joe Bidens zumeist falsch informierter antirussischer Handlanger), Borzou Daragahi (Nahost-Korrespondent von Buzzfeed), Maxim Eristawi (ein proamerikanischer ukrainischer Aktivist), Evelyn Farkas (ehemals US-Verteidigungsministerium, dort zuständig für Russland/Ukraine/Eurasien) und Michael Weiss (CNN-"Russland-Analytiker", der noch nie in Russland war und kein Wort Russisch spricht).

Das DFR Lab besteht aus elf Mitarbeitern, bei denen es sich vornehmlich um junge Technik-Enthusiasten aus den USA und Osteuropa handelt, die zuvor an der Verbreitung von NATO-Sichtweisen über die Ukraine und Syrien arbeiteten.

Einige davon sind langjährige Mitarbeiter des Atlantic Councils, andere wurden erst jüngst rekrutiert. Eine führende Rolle darin üben Eliot Higgins (Gründer von Bellingcat), Aric Toler (ein ehemaliger Geheimdienstexperte, der in Russland Studienprogramme des Außenministeriums absolvierte) und Ben Nimmo (ehemaliger NATO-Pressesprecher) aus.

Weitere Mitglieder haben zuvor für die US-Regierung unter Präsident Obama oder für die NATO gearbeitet. Der Direktor und geschäftsführende Herausgeber des DFR Lab, Graham Brookie, war zuvor für den Nationalen Sicherheitsrat der USA tätig. 

Keinem der aufgeführten Mitarbeiter kann in irgendeiner Weise eine gewisse Neutralität gegenüber Russland bescheinigt werden. Darum kann das DFR Lab auch darauf vertrauen, dass die Mainstream-Medien mit ihrer antirussischen Agenda gewiss keinen kritischen Blick auf seine Machenschaften bei Facebook werfen werden.

Andere Zeiten

Unter normalen Umständen erschiene der von Facebook gerade an den Atlantic Council vergebene Auftrag, Normen für zulässige Informationen festzulegen, bizarr. Aber im gegenwärtigen politischen Klima in den USA liegen Zuckerbergs Motive für diesen Schritt wie selbstverständlich auf der Hand.  

Nachdem er für seine Aussage vor dem Kongress zur "russischen Wahleinmischung" von den Medien fast einhellig kritisiert und verspottet wurde, hatte es Zuckerberg besonders eilig, den Atlantic Council zu engagieren. Denn was könnte besser geeignet sein, um die Medien wieder ruhig zu stellen, als Washingtons ultimative Insiderorganisation einzubinden? Schließlich ist eine Organisation, die bei der Rehabilitation von US-Präsident George W. Bush behilflich war, wahrscheinlich imstande, jeden ramponierten Ruf wiederherstellen.

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Welche Macht der Atlantic Council über die Mainstream-Medien hat, wird daran deutlich, mit welchen Fake-Geschichten er immer wieder davonkommt.

Beispielsweise als Ben Nimmo Anfang dieses Jahres darauf beharrte, dass Grammatikfehler in Social-Media-Beiträgen "ein Beweis" dafür seien, dass es sich bei den NATO-kritischen Nutzern tatsächlich um Kreml-Trolle handeln muss. Kurz darauf verunglimpfte Nimmo den auf Twitter aktiven britischen Rentner Ian Shilling ("Ian56789") als "russischen Bot".

Doch keine der Mainstream-Medien warf die Frage in den Raum, ob Nimmo als Facebook-Zensor überhaupt geeignet ist – selbst nachdem das Opfer seiner Verunglimpfung vor die Kameras getreten war, um zu beweisen, dass er eine reale Person ist. Statt vor den Gefahren zu warnen, die vom DFR Lab ausgehen, wurde der Fall von den Medien weitgehend ignoriert.

Weit davon entfernt, sich bei Ian Shilling zu entschuldigen, schrieb Nimmo nach Shillings Fernsehauftritt, es sei "interessant, das echte Gesicht von Ian56789 zu sehen, statt das von David Gandy (britisches Männermodell, das Shilling als Profilbild nutzte, Anm. d. Red.). Es ist kein Troll-Fabrik-Account. Vielmehr ein Pro-Kreml Troll (Definition basiert auf der Verwendung des Bildes einer anderen Person, der systematischen Verwendung von Kreml-Narrativen und wiederholtem missbräuchlichem Verhalten)."

WikiLeaks forderte den Lobbyisten anschließend heraus:

Sie haben buchstäblich mit dem Geld von Waffenfirmen und Diktaturen eine Fake-Story produziert, die sich über die ganze Welt verbreitet hat, indem Sie einen britischen Rentner als Kreml-Bot diffamieren, der die Profite von Rüstungsfirmen reduzieren will. Also wer ist hier der bezahlte Troll?

Und erneut, trotz der Prominenz von WikiLeaks, hat kein Mainstream-Medium den Vorfall aufgegriffen. Eliot Higgins und Nimmo bemühten sich außerdem, die Twitter-Nutzerin "Partisan Girl" (echter Name Maram Susli) zu diskreditieren. Laut Susli hat ein Mitarbeiter von Higgins sogar ihre Universität angeschrieben und sie dabei beschuldigt, an einer Verschwörung zur Herstellung von Sarin-Gas beteiligt zu sein. (Susli veröffentlichte das Schreiben auf ihrem Twitter-Kanal.)

Susli wurde auch vom Atlantic Council-"Fellow" Michael Weiss beleidigt. Nachdem eine Gruppe dschihadistischer Agitatoren sie beschuldigt hatte, eine Schönheitsoperation gehabt zu haben, reagierte sie mit der Veröffentlichung eines Kindheitsfotos von ihr, um das Gegenteil zu beweisen. Weiss mischte sich in die Debatte ein und schrieb, dass die junge Maram wie eine Prostituierte aussehe: "Also, deine Eltern haben dich als Straßendirne erzogen? Schatz, kein Wunder, dass du Pro-Assad bist."

Es scheint eine Gewohnheit des CNN-Mitarbeiters zu sein, die körperlichen Eigenschaften von Frauen zu kommentieren. Einige Monate zuvor wurde Weiss von der bekannten libanesisch-amerikanischen Journalistin Rania Khalek beschuldigt, eine Verleumdungskampagne gegen sie losgetreten zu haben, indem er fälschlicherweise behauptete, sie habe Gelder, die für ihre journalistische Arbeit gespendet wurden, für eine Nasen-OP zweckentfremdet. Die Tatsache, dass Weiss trotz der "MeToo"-Debatte damit einfach so durchkam, spricht erneut Bände. 

Verunglimpfen statt debattieren 

Währenddessen ging Higgins der Debatte und Konfrontation mit echten Experten aus dem Weg. Im Frühjahr weigerte er sich, mit Theodore Postol zu diskutieren, der sich unter anderen mit den Chemiewaffenvorfällen in Syrien beschäftigt hat. Stattdessen bezeichnete Higgins den emeritierten Professor für Wissenschaft, Technologie und internationale Sicherheit am MIT als "Idioten".

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Wir haben es also mit der seltsamen Situation zu tun, bei der ein Mann ohne naturwissenschaftliche Ausbildung, dessen beruflicher Hintergrund in Finanzen und Verwaltung liegt, es wagt, einen qualifizierten Spezialisten von einer der besten Universitäten der Welt zu verunglimpfen. Vielleicht gewinnt man ja ein solches Selbstvertrauen, wenn man wie Higgins für einen Propagandazweig der NATO arbeitet.

Dessen Kollege Weiss hat ebenfalls die Angewohnheit, renommierte Akademiker zu beleidigen. So betreibt er schon seit langem eine Rufmord-Kampagne gegen Stephen Cohen, emeritierter Professor für Russistik an der Princeton University und der New York University.

Um die Ziele seiner Geldgeber voranzubringen, muss der Atlantic Council natürlich auch Einfluss auf klangvolle "Narrative", also auf die tendenziöse Weltsicht von Medien und Journalisten nehmen. Das ist vermutlich der Grund dafür, warum er eigene Council-Leute wie Jim Sciutto (CNN-Chefkorrespondent für Nationale Sicherheit) oder Miriam Elder (außenpolitische Redakteurin von Buzzfeed), trotz des sich daraus ergebenden Interessenkonflikts, als Moderatoren für seine Podiumsdiskussionen anheuert.

Gleichwohl die Pressearbeit des Councils zumeist reibungslos verläuft, erscheint sie manchmal aber doch ungeschickt und amateurhaft. Nehmen wir zum Beispiel diesen Tweet seiner Lobbyistin Agnia Grigas. Erstens stellt sie das erklärte Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin falsch dar, Russland unter die Top-5-Wirtschaftsnationen zu bringen, indem sie die Rohdaten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verwendet, bei denen das Land derzeit aufgrund der schwachen Wechselkurse schlecht abschneidet.

In Wirklichkeit betrachten Wirtschaftsexperten die Kaufkraftparität als eine aussagekräftigere Momentaufnahme der wirtschaftlichen Situation eines Landes. Und in Kaufkraftparität gemessen, lag Russland im vergangenen Jahr laut IWF-Daten nur 163 Milliarden US-Dollar hinter dem Fünftplatzierten, Deutschland (mit 4.007.831 Milliarden US-Dollar gegenüber 4.170.790 Milliarden Dollar), so dass es nicht mehr viel aufzuholen hat.

Was Grigas als nächstes mit ihren Desinformationen macht, ist lehrreich: In ihrem Tweet markiert ("tags") sie neben anderen Lobbyisten des Atlantic Councils auch den Nachrichtenredakteur der Financial Times, Peter Spiegel. Wodurch die Grenzen zwischen vermeintlich unabhängigen Medien und einer Propaganda verwischt werden, die sich als Wissenschaft verkleidet.

Der Schwanz wedelt mit dem Hund

Jetzt, da Sie sich ein Bild von der Vorgehensweise dieser Lobbyisten machen konnten, lassen Sie mich auf die Kooperation des DFR Lab mit Facebook zurückkommen, die dem Atlantic Council eine außerordentliche Machtfunktion verleiht. Erst letzten Monat ließ der bereits eingangs zitierte Reuters-Artikel die Hüllen fallen:

Facebook engagiert die Gruppe, um seine Untersuchungen über ausländische Einmischungen zu verstärken. Letzte Woche sagte das Unternehmen, dass es 32 verdächtige Seiten und Konten gelöscht hat, die angeblich von Linken und Minderheitenaktivisten betrieben wurden. Während einige US-Beamte sagten, es handele sich dabei wahrscheinlich um das Werk russischer Agenten, sagte Facebook, dass es sich darüber nicht sicher sei.

Lesen Sie die letzte Zeile noch mal. "Facebook sagte, dass es sich darüber nicht sicher sei". Die Konten wurden trotzdem gelöscht. Vermutlich auf Geheiß des Atlantic Councils.

Hier sehen wir die Auswirkungen von Mark Zuckerbergs Kurzschlussreaktion auf den von führenden Kongressmitgliedern und prominenten Medienvertretern ausgeübten Druck. Anstatt seine Unabhängigkeit zu behaupten, knickte der Facebook-Gründer ein. Und der Einsatz ist hoch. Offen gesagt, handelt es sich um eine Fusion des US-Sicherheitsstaates mit dem Silicon Valley. Mit Auswirkungen weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus.

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