Russische Analysten: Westen steuert die Welt mit Skripal-Fall auf Kuba-Krise 2.0 zu
Bei jeder neuen Krise, die der Westen bezüglich Russlands anzettelt, wirken deren Triebkräfte immer irrationaler. Wie der unmittelbar Betroffene – ein kurz vor der Ausweisung stehender russischer Diplomat, Mitarbeiter des kürzlich geschlossenen russischen Konsulats im US-amerikanischen Seattle - es im russischen Fernsehen formulierte:
Die um sich schlagende Russophobie in den USA entzieht sich mittlerweile jedweder rationalen Analyse.
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Diese Stimmung in den USA lässt die höchsten Vertreter des Landes mittlerweile über Russland wie über ein Meerungeheuer sprechen: Die Sprecherin des US-Außenministeriums Heather Nauert meinte es ernst, als sie letzte Woche Russland mit einem Riesenkraken verglich.
Für Alexej Puschkow, den Vorsitzenden des Ausschusses für Informationspolitik im russischen Föderationsrat, sind auch solche Abgründe der Rhetorik, verbunden mit den Neubesetzungen im Weißen Haus und der US-Regierung – man denke an Mike Pompeo oder John Bolton - ein Zeichen der Unsicherheit. Denn die Behauptung der USA, es handele sich bei Russland um eine "revisionistische Macht", die geopolitisch die USA am ernsthaftesten herausfordere, sei ein Zeichen davon, dass die USA ihrer hegemoniale Stellung nicht mehr sicher seien, sagte Puschkow in einem Polittalk im russischen Fernsehkanal TVC.
Salisbury: Der informationelle Rammbock
Darüber hinaus analysierte er detailliert das Vorgehen der Westmächte bei der Begründung ihres Handelns. Mittlerweile brauche man nicht einmal mehr gefälschte Beweise, um einen bestimmten politischen Schachzug zu begründen – konkret, um in der sogenannten Skripal-Affäre eine diplomatische Krise vom Zaun zu brechen und den Druck auf Russland zu erhöhen. Im Falle der Irak-Invasion waren immerhin ein Reagenzglas mit weißem Pulver, und beim Angriff auf Libyen wurden erfundene Geschichten über Morde an Tausenden Zivilisten durch Gaddafis Truppen wenigstens mit Fernsehbildern weinender Müttern der Getöteten "untermauert". Im Fall Skripal gebe es nicht einmal das: nur wilde Anschuldigungen und in sich widersprüchliche "Geschichten" über Vergiftung durch Buchweizen, via Türklinke, Koffer oder Klimaanlage im Auto. Die angeblich "mit einer chemischen Kriegswaffe" Vergifteten könnten im Endeffekt genesen, aber die politische Realität werde diese Nachricht nicht mehr ändern können:
Das ist eine neue Eigenschaft des Medienzeitalters, wenn Informationen als Rammbock benutzt werden, der bis auf Knochenmark durchschlägt, um der öffentlichen Meinung eine bestimme Ansicht aufzuzwingen, um im Endeffekt die Grundlage für die Durchsetzung einer politische Linie zu schaffen. In diesem Fall ist besagte Linie der Kalte Krieg mit Russland. Der Rest ist unwichtig, denn die Skripals können genesen, aber das wird nur einen überschaubaren Kreis an Leuten inklusive uns interessieren", so Puschkow.
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Für diese Strategie der Anspannung, wie es der Außenpolitische Sprecher der Partei Die Linke Alexander Neu formuliert hat, gebe es laut Puschkow durchaus rationale Gründe:
Die Maßnahmen, die zuvor gegen Russland beschlossen worden waren, beispielsweise die Sanktionen, hätten ausgedient. Es gebe immer mehr Stimmen dagegen, und die Ansicht, dass man das Sanktionsregime fallen lassen und alle Beteiligten zu einem neuen Modus Vivendi finden müssten, habe sich im Westen immer mehr durchgesetzt. Man brauche etwas ganz Eindrucksvolles, was man auf emotionaler Ebene alle betroffen mache – zum Beispiel eine Vergiftung oder einen Chemiewaffeneinsatz. Das habe den antirussischen Kessel noch mehr zum Kochen gebracht – bei erhöhter Temperatur. Es habe nicht einmal zu Zeiten des Kalten Krieges derartige Massenausweisungen gegeben, merkte Puschkow an.
Ist inzwischen nur noch auf das nukleare Gräuel Verlass?
Dennoch sei die im Moment entstandene Situation nicht eindeutig, schließlich verfolgten die führenden europäischen Mächte wie Deutschland und Frankreich auch nach der Ausweisung der Diplomaten gemeinsame Projekte mit Russland. So sei die geplante Reise Emmanuel Macrons zum Wirtschaftsforum nach Sankt Petersburg im Mai bislang nicht abgesagt worden. Zudem widerstünden einige EU-Staaten dem Druck aus London und Washington - wie etwa Österreich oder die Slowakei - und verlangten mehr Beweise. Dennoch sei die fortlaufende Tendenz durch das Wirken speziell der USA sehr besorgniserregend. So sei ein Abgleiten in eine Situation wie zu Zeiten der Kuba-Krise im Jahr 1962 heute wahrscheinlicher denn je. Zu einer Eskalation könne es in erster Linie in Syrien kommen, dort sei die Lage besonders fragil. Als mögliche Schauplätze gefährlicher Zwischenfälle kämen als nächstes das Ostseegebiet und die Ukraine in Frage.
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Mit dieser Einschätzung steht Alexej Puschkow in Russland nicht allein. Vielmehr drückt er die vorherrschende Einstellung zur westlichen antirussischen Kampagne und den Motiven dahinter in Form einer nüchternen Analyse aus. Dabei neigt er dazu, den Selbsterhaltungstrieb der Weltlenker in deren Wertskala noch relativ hoch anzusiedeln. Zwar sieht er im Krieg eine Art "objektives Bedürfnis" der US-Eliten im Ringen um die unangefochtene Hegemonie, hält ihn aber trotzdem nicht für unvermeidbar. Der Übergang zur neuen Weltordnung werde zwar eine chaotische Phase durchlaufen.
Aber den Luxus eines Krieges kann sich die Menschheit nicht erlauben. Die nukleare Bedrohung müsste auch die schlimmsten Kriegstreiber innerhalb der Eliten von einem Krieg abhalten", so der russische Politiker abschließend.
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