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Die post-US-amerikanische Welt wird zur Realität

Der Kontrast zwischen dem Jahr, in dem die COVID-19-Pandemie ausbrach und Trump in seiner ersten Amtszeit versuchte, China als Quelle der globalen "Ansteckung" zu isolieren, und der aktuellen Pietät gegenüber seinem Gesprächspartner, mit dem er ganz offensichtlich auf Augenhöhe sprach, ist bemerkenswert. Dabei sind nur fünf Jahre vergangen.
Die post-US-amerikanische Welt wird zur RealitätQuelle: AP © Mark Schiefelbein

Von Alexander Jakowenko

Die Verhandlungen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Busan fielen mit nur einer Stunde und 40 Minuten recht kurz aus. Dabei hatten die US-Amerikaner offenbar mehr erwartet – die Liste der auf ihrer Tagesordnung stehenden Themen war ziemlich umfangreich. Wie immer sind diejenigen Themen am wichtigsten, die aufgrund mangelnder Fortschritte bei der Annäherung der Standpunkte nicht diskutiert oder von den Parteien nicht erwähnt wurden. Dazu gehören die Ukraine-Krise, Chinas Erwerb russischer Energieressourcen und die Drohung Washingtons, ab dem 1. November hundertprozentige Zölle auf alle chinesischen Exporte in die USA zu erheben. Was den letzteren Punkt betrifft, so wurde diese Frage bei den Verhandlungen der Parteien in Kuala Lumpur geklärt, nach deren Abschluss US-Finanzminister Scott Bessent erklärte, dass die Einführung solcher Zölle nicht mehr erforderlich sei. Im Übrigen beschränkte man sich auf geringfügige Kompromisse (bis hin zur Wiederaufnahme der Käufe von US-Sojabohnen durch China) oder Zugeständnisse Trumps.

In jedem Fall geschah dies nach dem Ende des Plenums des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas am 23. Oktober, dessen Ausgang Trump mit seinem Bluff zu beeinflussen versuchte – schließlich ging es um den Totalabbruch aller Handelsbeziehungen im Wert von mehr als 400 Milliarden US-Dollar mit katastrophalen Folgen für die USA selbst. Aber es hat nichts gebracht: Die Position des chinesischen Führers wurde nur gestärkt; es erfolgte eine Säuberung von Kompradoren-Elementen in der Führung des Landes und im Militär. Schließlich wurde auch die Balance zwischen Markt und zentraler Steuerung in der sozioökonomischen Entwicklung hergestellt.

Der Kontrast zwischen dem Jahr, in dem die COVID-19-Pandemie ausbrach und Trump in seiner ersten Amtszeit versuchte, China als Quelle der globalen "Ansteckung" zu isolieren, und der aktuellen Pietät gegenüber seinem Gesprächspartner, mit dem er ganz offensichtlich auf Augenhöhe sprach, ist bemerkenswert. Dabei sind nur fünf Jahre vergangen. Woraus resultieren sich diese Veränderungen und welche weiterreichenden geopolitischen Konsequenzen hat die neue Realität (die auch als Normalität bezeichnet werden kann) für die Beziehungen zwischen den USA und China?

Angesichts der diesjährigen Zollanhebung reagierte Peking mit einer Verschärfung der Exportlizenzen für Seltenerdmetalle und daraus hergestellte Produkte, darunter Magnete, ohne die keine moderne Industrie auskommt – sei es die Automobil- oder die Rüstungsindustrie. Anscheinend konnten die Parteien in Kuala Lumpur ihre Spannungen vorübergehend beilegen – damit sich die beiden Staatschefs überhaupt treffen konnten. Aber es wurde nichts unterzeichnet, und es handelt sich lediglich um vorläufige Vereinbarungen – die Tür für eine Konfrontation bleibt offen, und es ist nicht schwer zu erraten, wer wen in ständiger Spannung hält: natürlich derjenige, der über Ressourcen wie Seltenerdmetalle verfügt.

Ein weiterer Punkt: China konnte in nur einem Jahr enorme Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und der Herstellung von Mikrochips für entsprechende Geräte erzielen. Dabei erfolgte dieser Sprung nicht nur rasant (dazu trug die Anhäufung einer kritischen Masse an technologischen Durchbrüchen bei, darunter die Rückkehr chinesischer Wissenschaftler und Ingenieure aus den USA, die dort als Agenten chinesischen Einflusses und sogar als Spione verfolgt wurden), sondern auch qualitativ, was die Vielfalt und Offenheit der chinesischen Entwicklungen (DeepSeek usw.) betrifft. Letzteres führt zu einer Schwächung dieses Sektors in den USA, wo Jahre und enorme Mittel investiert wurden, um die Dominanz in dieser neuen Entwicklungsphase der Welttechnologie zu sichern.

Die Frage ist jedoch noch umfassender und fundamentaler. Wie der jüngste Bericht der RAND Corporation mit dem Titel "Stabilisierung der Rivalität zwischen den USA und China" zeigt, ist es an der Zeit, sich zwischen einer Konfrontation mit ihren unvorhersehbaren Folgen (die Perspektive für Russland, über einer solchen Konfrontation zu stehen, wurde in der Studie nicht berücksichtigt) und einem Übergang zur Entspannung analog zur sowjetisch-US-amerikanischen – und sogar zum "Europäischen Konzert", das das Ergebnis des Sieges über Napoleon Bonaparte und der entscheidenden Rolle des russischen Zaren Alexanders I. auf dem Wiener Kongress 1815 war. Auch hier wird der letzte Aspekt außer Acht gelassen, obwohl er nicht zuletzt auf die zivilisatorische Besonderheit der russischen Diplomatie hinweist, die das besiegte Frankreich als gleichberechtigten Partner der Siegermächte an den Tisch der europäischen Politik gebracht hat. Man denke nur daran, wie Russland nach dem Ende des Kalten Krieges behandelt wurde, obwohl es diesen Krieg nicht verloren, sondern lediglich den Austritt daraus erklärt hatte (zudem kam es in Russland zu einem Regimewechsel): Wir wurden mit der NATO-Erweiterung "bestraft" – eine Entscheidung, die der weitsichtige George Kennan als "die fatalste" bezeichnete, was wir derzeit live miterleben.

Die Berichterstatter loben die sowjetischen Innovationen im Bereich der "friedlichen Koexistenz", sei es in den 1920er- oder 1950er-Jahren. Genau darum geht es derzeit. Interessanterweise wird dabei nicht verschwiegen (um diese Idee dem US-Establishment "schmackhaft zu machen"!), dass die "Entspannungspolitik" zum Zusammenbruch der Sowjetunion beitrug, deren Führung kein positives Programm für eine interne Transformation hatte. Der Unterschied zu damaliger "Entspannung" besteht jedoch darin, dass China bereits eine ähnliche Transformation hinter sich hat. Man kann also sagen, dass Chinas "friedlicher Aufstieg" im Rahmen der vierzigjährigen Globalisierung für das Land bereits eine solche "Entspannung" war.

Nun wird vorgeschlagen, eine weitere Verschärfung der Beziehungen zu China zu vermeiden, sei es in Bezug auf Taiwan, die Probleme im Südchinesischen Meer oder den technologischen Wettbewerb. Ohne Lösungen für die angehäuften Probleme zu finden, sollen vielmehr Kontakte auf verschiedenen Ebenen geknüpft werden, um das Verhalten Pekings berechenbar zu machen. Aber bisher zeigt die chinesische Seite ein klares Verständnis dafür, dass gerade Unsicherheit in der US-amerikanischen Politikkultur nicht toleriert wird und als Element der Zurückhaltung in den Beziehungen zu Washington wirken kann. Am deutlichsten lässt sich diese Taktik in den Kontakten auf militärischer Ebene beobachten. Daher ist es schwer vorstellbar, dass China, das sich seiner Macht und der Schwächen der USA durchaus bewusst ist, sich in ein "Entspannungsnetz" verstricken lässt, zumal man in Peking weiterhin die Erfahrungen der Sowjetunion sorgfältig analysiert.

Wenn man Parallelen zieht, so befinden sich die USA – trotz Trumps Forschheit – gegenüber China derzeit in einer ähnlichen Position wie die UdSSR/Russland gegenüber den USA in den 80er- und 90er-Jahren. Strategisch wird die Lage Washingtons dadurch erschwert, dass Russland mit einem enormen Vorsprung im Bereich der nuklearen Abschreckung auf dem Vormarsch ist. Im Grunde genommen handelt es sich um einen Dritten Weltkrieg, in dem die US-Amerikaner an zwei Fronten kämpfen. Ja, es ist richtig, dass Russland wie im August 1914 mit seiner Sonderoperation in der Ukraine China (wie damals den Entente-Alliierten) einen womöglich entscheidenden Zeitvorteil bescherte und gleichzeitig den Weg für die Lösung des Taiwan-Problems ebnete, das nach dem Krieg von 1895 erstmals Japan angegliedert worden war.

Die Aufzählung der Unterschiede zur Situation "Entspannung 1.0" ist damit noch nicht abgeschlossen. Der "historische Westen" zerfällt in seine geografischen Segmente, die unweigerlich in ihren eigenen Regionalstrukturen versinken. Wie für die Länder des Globalen Südens und Ostens, so stehen auch für Japan und Südkorea die Interessen der eigenen Entwicklung im Vordergrund, und damit die Aufrechterhaltung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und China, mit denen jeder einen Handelsumsatz von mehr als 300 Milliarden US-Dollar erzielt (und dieser ist ausgeglichen!). Anstatt zehn Milliarden US-Dollar in die Produktion in den USA zu investieren, verhandelt das Unternehmen Toyota über eine Rückkehr nach Russland. Und Trump musste die Bedeutung der Energiebeziehungen Tokios und Pekings zu Russland anerkennen. Die Forderungen an Japan und Südkorea, 500 bzw. 350 Milliarden US-Dollar in die USA zu investieren, darunter auch in den Schiffbau, lösen in beiden Ländern negative Emotionen aus – als würde eine mittelalterliche Tributzahlung erhoben.

Betrachtet man die Länder Südostasiens (die "Top Ten" der Vereinigung südostasiatischer Staaten, ASEAN), so entfällt auf sie etwa eine Billion US-Dollar von Chinas Außenhandelsvolumen in Höhe von insgesamt sechs Billionen US-Dollar. Doch die wirtschaftliche Verflechtung dieser Region mit China geht noch viel tiefer: Auf sie und sechs Länder des Nahen Ostens erstreckt sich das von Peking initiierte System der sofortigen digitalen Zahlungen, das erhebliche Kosteneinsparungen ermöglicht, aber vor allem langfristig 38 Prozent des weltweiten Handels aus dem US-Dollar-Umsatz herausnimmt. Medienberichten zufolge scheint die neue japanische Premierministerin Sanae Takaichi bereit zu sein, gemeinsam mit Seoul ein ähnliches Abrechnungssystem mit Peking in einem trilateralen Format einzuführen. All dies kommt zu den Maßnahmen hinzu, die in diesem Bereich von der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) ergriffen werden.

Möglicherweise ist das der Grund, warum Trump nicht am Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) teilgenommen hat – an diesem " Fest", bei dem sich die US-Amerikaner plötzlich fremd fühlten, bei dem trotz der Herzlichkeit und des Scheinmutes der verbündeten Beziehungen längst alles "in trockenen Tüchern" ist. Wie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton sagte: "It's the economy, stupid!", nur jetzt auf regionaler und globaler Ebene. So kommt es zu einer beschleunigten Abkopplung ganz Ostasiens und einer noch viel größeren Region von der Pax Americana (Australien ist keine Ausnahme), während in den USA selbst ein wirtschaftlicher Zusammenbruch bevorsteht, der durch den Einbruch des Aktienmarktes ausgelöst wird und eine echte Reindustrialisierung des Landes in Gang setzen wird. Und niemand möchte davon betroffen sein.

Dass Trump nach dem Treffen mit Xi einigermaßen still wirkte, kann nur eines bedeuten: Dort, in Ostasien, begegnete er nicht dem Phantom (das schon seit Langem über den USA schwebt), sondern der Realität der post-US-amerikanischen Welt. Dort wurde er zwar noch nicht gefragt, wer er eigentlich ist und was die USA bedeuten, aber auch das steht kurz bevor.

Die Haltung dort ähnelt einer Karawane, die an den USA und den geopolitischen Fantasien ihrer Eliten vorbeizieht. Daraus resultiert auch die Haltung zum Ukraine-Konflikt: "Lasst sie kämpfen", das heißt, man solle alles dem natürlichen Lauf der Dinge überlassen, damit der Stärkere siegt. Und dann stellen gute Beziehungen zum Kreml keinen Luxus dar, sondern sind fast schon ein kategorischer Imperativ im Sinne Immanuel Kants ("Das Thema Kaliningrad ist für die NATO vom Tisch"). Und wenn das Gespräch mit Xi nicht ausreichte, dann sollten die Berichte über unsere beiden strategischen Drohnensysteme Trump klarmachen, dass sich die Welt unwiderruflich verändert hat und dass Eintrittspreis dafür die Achtung der Rechte und Interessen anderer, nicht weniger starker und nicht weniger souveräner Mächte ist. Man muss auch etwas zu bieten haben und nicht versuchen, wie in alten Zeiten geopolitische Vorteile zu erzielen.

Auf der anderen Seite entwickelt die RAND Corporation weiterhin Strategien, die den Eindruck erwecken sollen, dass – abgesehen von einer drastischen Kursänderung  – noch etwas unternommen werden kann, obwohl im Grunde genommen alles bereits entschieden ist. Es bleibt zu hoffen, dass China gegenüber den Vereinigten Staaten nicht ebenso unerbittlich sein wird, wie die Briten gegenüber China während der Opiumkriege auftraten. Früher oder später werden die USA erkennen müssen, dass die eigentliche Ressource der Außenpolitik die innere Verfassung des eigenen Landes ist, und genau damit muss man beginnen. Darin besteht wahrscheinlich die Mission von "Trump, dem Zerstörer" (Anthony Scaramucci). Bereits 2014 räumte Francis Fukuyama ein, dass die USA ohne institutionelle Umwälzungen nicht zu heilen seien. Wir wissen das aus eigener Erfahrung. So funktioniert die Welt. Und darin liegt auch der Preis für die fatale Entscheidung von 1994 zur NATO-Erweiterung, die die Transformation der USA auf die lange Bank geschoben hat, ohne die sie die Realität ihres Landes, das seit Jahrzehnten in der Hyperrealität der Finanzialisierung existiert, nicht finden können.

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Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. November 2025 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.

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