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Lektion in polnischem Chauvinismus? Nawrocki-Berater erteilt der AfD Benimmstunde

In ihrem Bemühen um ausländische Partner wirkt die AfD-Bundestagsfraktion nicht sonderlich wählerisch. Während AfD-Politiker, die "unerlaubt" nach Russland reisen, bestraft werden, dürfen Vertreter des östlichen Nachbarlandes in einer wenig diplomatischen Art den Deutschen eine politische Benimmstunde erteilen.
Lektion in polnischem Chauvinismus? Nawrocki-Berater erteilt der AfD Benimmstunde© Screenahot Youtube AfD-Fraktion

Von Astrid Sigena 

Am Mittwochabend fand im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages auf Einladung der AfD-Bundestagsfraktion ein Vortrag des polnischen Professors Andrzej Nowak mit anschließender Diskussionsrunde statt. Pikant: Nowak ist nicht nur Historiker an der Krakauer Jagiellonen-Universität, sondern auch Berater des polnischen Präsidenten Karol Nawrocki. Bereits im Vorfeld gab es deshalb vor allem in Polen große Aufregung um den Besuch (RT DE berichtete).

Andrzej Nowak hielt es deshalb zu Beginn seines Vortrags noch einmal für nötig, zu betonen, dass er diesen Besuch bei der AfD-Fraktion als Privatmann und polnischer Bürger abstattet, nicht in seiner Funktion als Präsidentenberater. Und der Abgeordnete Götz Frömming von der AfD, zugleich Stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe, der für die Einladung Nowaks verantwortlich war, behauptete gegenüber der Deutschen Welle, er habe über die Verbindungen Nowaks zu Nawrocki nicht Bescheid gewusst, als er die Einladung aussprach.

Sollte dies wirklich der Fall sein, hat die AfD in Bezug auf Außenpolitik noch viel zu lernen! Auch dass Vertreter des Deutsch-Polnischen Hauses (das ja Hauptthema des Abends sein sollte) nach Bekunden des dortigen Projektleiters Robert Parzers nicht dazugebeten worden waren, kann man nur als Fauxpas werten.

Wenn man sich das Video von der Veranstaltung anschaut, ist zu sehen, dass dort kaum prominente AfD-Gesichter auszumachen sind. Die beiden Partei- und Fraktionsvorsitzenden, Alice Weidel und Tino Chrupalla, sind der Veranstaltung ferngeblieben. Götz Frömming betonte in seinen Einleitungsworten, dass er für die Einladung Nowaks nicht auf die Erlaubnis von Partei und Fraktion angewiesen sei. Das Treffen beinhalte auch nicht das Schmieden einer neuen politischen Allianz. Ganz offensichtlich war das Angebot an den polnischen Historiker, einen Vortrag zu halten, nicht die Idee der Parteiführung. Es war ohnehin keine gute Idee, wie sich zeigte. Denn für das deutsch-polnische Verhältnis brachte der Vortrag nichts, zumindest nichts Positives.

Dabei wies Nowak durchaus zu Recht auf riesige blinde Flecken im deutschen Geschichtsbewusstsein hin. Er zitierte aus einer Studie aus dem Jahr 2019, der zufolge die Deutschen zwar die Erinnerung an die ermordeten Juden, die Sinti und Roma und die Opfer der Euthanasie-Morde sowie an den deutschen Widerstand für wichtig halten, nicht aber das Gedenken an die ermordeten Slawen. Die polnischen und sowjetischen Opfer des Nationalsozialismus wurden in der Umfrage kein einziges Mal genannt. Sie galten den Befragten offenbar als nachrangig (wenn sie sich ihrer überhaupt bewusst waren).

Nowak prangerte an, dass man sich in Deutschland immer noch weigere, in Bezug auf die 1,4 Millionen nichtjüdischen Polen, die der deutschen Besatzung zum Opfer fielen, von einem Völkermord zu sprechen. Massenmorde mit zum Teil zehntausenden Toten wie das Massaker von Pommerellen, die AB-Aktion (die als "Außerordentliche Befriedungsaktion" verharmloste Vernichtung tausender polnischer Intellektueller) und das Massaker im Warschauer Stadtteil Wola im Jahr 1944 sind in Deutschland kaum jemandem ein Begriff.

Seinem berechtigten Anliegen, den polnischen Opfern des Nationalsozialismus einen angemessenen Platz in der deutschen Erinnerungskultur zu verschaffen, liefen aber zwei Tendenzen seines Vortrags zuwider: Erstens sein Bestreben, jederlei Zusammenarbeit Deutschlands mit Russland als ein Übergehen Polens erscheinen zu lassen. Sogar die Weimarer Republik ist für Nowak des Teufels, wegen des Vertrags von Rapallo: Die antipolnische Haltung der damaligen Parteien und Bürger führe in einer direkten Linie zu Hitlers Feindschaft gegenüber Polen. Dabei vergisst Nowak, dass die Weimarer Republik durchaus Grund hatte, Groll auf die neuentstandene polnische Republik zu hegen: Immerhin hatte das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg die zwei Provinzen Posen und Westpreußen an Polen abtreten müssen. Dazu kam der Dauerstreit um Danzig und die polnische Minderheitenpolitik gegenüber den Deutschen, die als "problematisch" zu bezeichnen noch verharmlosend wäre. Aber all das ist kein Thema für den Professor aus Krakau.

Stattdessen nutzt Nowak die Erinnerung an die polnischen Teilungen zwischen den Staaten Preußen, Österreich und Russland, um gegen einen sogenannten heutigen Imperialismus und eine angebliche Appeasement-Politik auszuteilen. Gemeint ist natürlich das Verhältnis zu Russland. Freundschaft mit Polen kann es für Nowak offenbar nur geben, wenn die Deutschen ihre Verbindungen zu Russland aufgeben (was ja das erklärte Ziel seines Kommens war).

Auch Nowaks belehrende Art ist kaum geeignet, unter deutschen Nationalkonservativen Sympathien für sein Anliegen zu gewinnen. Er betonte zwar, er wolle nicht belehren, tat dann aber genau das. Den Deutschen warf er vor, sich als Benimmlehrer und Anwälte der Polen einzusetzen. Das hätten die Polen aber nicht nötig. Zum Beginn seiner Rede plädierte er für einen pluralistischen, individuellen Charakter der Erinnerungskulturen, der von einem verständnisvollen Zusammenkommen geprägt sein solle.

Dieses Versprechen einer Differenzierung löst er jedoch im Folgenden nicht ein. Für die deutsche Erinnerungskultur, zum Beispiel die der Vertriebenen, ist in Nowaks Szenario offenbar kein Platz. Auch die polnische Kollaboration mit den deutschen Besatzern soll nach Nowaks Wunsch im Deutsch-Polnischen Haus keine Erwähnung finden. Nowak pochte auf das polnische Trauma.

Nowaks herablassende Art gegenüber den deutschen Rechtskonservativen wurde zudem anhand einer Bemerkung gegenüber einem Reporter des polnischen Nachrichtensenders TVN24 deutlich. Um seinen Umgang mit den AfD-Leuten zu rechtfertigen, bemühte der Historiker den polnischen romantischen Dichter und Unabhängigkeitskämpfer Juliusz Słowacki (1809–1849):

"In der AfD gibt es alle möglichen Leute. Um es mit den Worten von Juliusz Słowacki zu sagen, der während des Novemberaufstands über die Russen sagte: 'Da sind Menschen, da sind Seelen' – wir können nicht davon ausgehen, dass die 30 Prozent der Deutschen, die die AfD wählen, allesamt Polenhasser sind."

Sollte die AfD nun dem Historiker aus dem Nachbarland dankbar dafür sein, dass er ihnen großzügig und nach Gutsherrenart das Recht auf Menschsein zubilligte? Bemerkenswert ist übrigens auch, dass der russophobe Nowak damit einen Vers aus einer Strophe zitiert, in dem davon die Rede ist, dass "Moskaus Türme beben werden".

Dass nicht alle im AfD-Umfeld von Nowaks überheblichem Gebaren begeistert sind, merkt man an einem X-Beitrag von Benedikt Kaiser, einem einflussreichen Autor innerhalb der patriotischen Szene und Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Robert Teske. Kaiser zitierte eine nicht namentlich genannte, bei dem Vortrag anwesende junge Dame, die von einer "Lektion in polnischem Chauvinismus" sprach. Auch der Compact-Reporter Paul Klemm, der in seiner Eigenschaft als Journalist vor Ort war, bestätigte, dass Nowak im Deutsch-Polnischen Haus keinen Platz für das Gedenken an deutsche Opfer sehe, betrachtete jedoch das diesbezügliche Schweigen der AfD-Fraktion als "diplomatisch klug".

Überhaupt ist die Berichterstattung des Compact-Magazins, das an diesem Abend im Vortragssaal vertreten war, bemerkenswert. Für das Wochenende kündigte Compact eine Sendung zu dem Thema an. Man habe die Gelegenheit gehabt, selbst mit dem polnischen Historiker zu sprechen. Den Besuch Nowaks, der nach eigenem Bekunden die AfD von ihrem prorussischen Kurs abbringen will, nannte Compact "historisch". Noch am Vortrag hatte das Magazin Putins Geburtstag in der Botschaft der Russischen Föderation begangen und seine Putin-Medaille vorgestellt.

Auffällig war, welch demütige Haltung die AfD-Gastgeber gegenüber Nowaks Insolenz einnahmen. Dies wurde schon zu Beginn deutlich, als der Abgeordnete Frömming die drastischen Kürzungen der polnischen Regierung beim muttersprachlichen Unterricht für die Kinder der deutschsprachigen Schlesier mit den Versäumnissen der Bundesregierung in Bezug auf den polnischen Sprachunterricht in Deutschland rechtfertigte. Als ob ihm der Unterschied zwischen einer nationalen Minderheit und Arbeitsmigration nicht bewusst wäre!

Nach dem Vortrag sprach Götz Frömming lediglich davon, dass dieser "keine leichte Kost" gewesen sei. Ebenso Alexander Wolf. Beide wiesen auf die positiven Episoden der deutsch-polnischen Geschichte hin, Frömming auf das Hambacher Fest, Alexander Wolf auf die gemeinsame Entsetzung Wiens im Jahr 1683. Tatsächlich lässt Nowak das Hambacher Fest gelten, weil damals die Deutschen den Polen nach dem verlorenen Aufstand beigestanden hätten. Wieder versuchte Nowak, dieses historische Ereignis auf die Gegenwart anzuwenden: Man habe "für eure und für unsere Freiheit" gegen ein Imperium gekämpft – einen Slogan, den Nowak bei seiner Verabschiedung noch einmal wiederholen sollte. Auch für die Hilfspakete zur Zeit der Solidarność zeigte sich Nowak dankbar. Er selbst erinnerte noch an die gemeinsam ausgefochtene Schlacht von Liegnitz im Jahr 1241. Letztendlich kam Nowak dann aber doch immer wieder auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück.

Die AfD-Vertreter bemühten sich sichtlich, nicht mit Kritik anzuecken, und sprachen weder die Vertriebenenproblematik noch die Lage der im Land verbliebenen deutschsprachigen Schlesier an. Auch die Reparationsforderungen an Deutschland wurden nicht erwähnt. Nowaks verbalen Attacken gegen Russland will man nicht widersprechen. Was ist aber ein Dialog wert, bei dem man sich nicht traut, auch strittige Themen anzusprechen? Mit einem Gesprächspartner, den die deutsche Sichtweise von vornherein nicht interessiert?

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