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Der Westen teilt den Mond auf

Unternehmen auf der Erde schließen millionenschwere Verträge über die Förderung von Bodenschätzen auf dem Mond ab. Abgebaut werden soll ein wertvoller Rohstoff, der aus Science-Fiction bekannt ist. Der Gewinner könnte nach Meinung der Experten unglaubliche technologische Vorteile erhalten.
Der Westen teilt den Mond aufQuelle: Gettyimages.ru © Caspar Benson

Von Sachar Andrejew

Märchen und Wahrheit

"Wer hätte es denken können? Die ganze Energie, die wir benötigen, ist direkt über unserem Kopf. Es ist die Energie des Mondes", heißt es im Science-Fiction-Film "Moon – Die dunkle Seite des Mondes". In diesem haben die Menschen im 22. Jahrhundert gelernt, auf dem Satelliten der Erde Helium-3 zu fördern, mit dem Fusionsreaktoren betrieben werden. Dank der Kernfusion deckten diese "70 Prozent des Energiebedarfs" der Menschheit.

Im beliebten Videospiel "Mass Effect" wurde Helium-3 zur Existenzgrundlage der gesamten interplanetaren Zivilisation: Daraus wird Treibstoff für Raumschiffe gewonnen. Das sind bei Weitem nicht die einzigen Beispiele: Das stabile Helium-Isotop mit zwei Protonen und einem Neutron in seinem Kern hat einen festen Platz in Science-Fiction noch seit den 1970er-Jahren.

Der Grund dafür besteht darin, dass es hypothetisch möglich ist, auf Grundlage dieses Stoffes effektivere Fusionsreaktoren zu bauen, als jene, deren Bau heute versucht wird. Doch das funktioniert nur bei äußerst hohen Temperaturen – etwa einer Milliarde Grad. Bei niedrigeren Temperaturen gelingt es den Forschern bisher nicht, Plasma sicher zu stabilisieren.

Zudem gibt es auf der Erde praktisch keine natürlichen Helium-3-Vorräte, was es äußerst teuer macht. Praktisch der gesamte existierende Stoff wurde künstlich hergestellt. Er wird als Nebenprodukt des Zerfalls des in Atomwaffen und einigen Forschungsreaktoren genutzten radioaktiven Tritiums (ein schweres Wasserstoff-Isotop) gewonnen.

Dafür gibt es Helium-3 auf beliebigen Himmelskörpern ohne Atmosphäre, etwa auf Asteroiden oder auf dem Mond. Wladimir Surdin, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des russischen Staatlichen astronomischen Instituts namens P. K. Sternberg, erklärt:

"Dort bildet sich Helium-3 durch Beschuss der Oberfläche durch Sonnenwind. Schnelle Protonen fliegen, drängen in den Körper eines jeden quasi 'trockenen' Weltraumobjekten ein, spalten Sauerstoff von den Mineralen, der Proton verbindet sich mit Sauerstoff, und es kommt zu verschiedenen Reaktionen, bei denen sich unter anderem Helium-3 bildet."

Auch wenn Helium-3 einst als aussichtsreiches Element für die Energie der Zukunft galt, haben renommierte Forscher dazu längst "abgekühlt" und es den Schriftstellern und Filmemachern überlassen, so Surdin weiter.

Dennoch wurde im September 2025 ein erster Schritt getan, um das Märchen zu verwirklichen.

Fast absolut null

Der US-amerikanische Start-up Interlune hat einen Vertrag mit dem finnischen Hersteller von Kühlsystemen für hochtechnologische und wissenschaftliche Anlagen Bluefors über die Lieferung von Helium-3 geschlossen, das auf dem Mond gefördert werden soll.

Laut dem Vertrag verpflichtet sich das finnische Unternehmen, zwischen 2028 und 2037 jährlich 10.000 Liter des außerirdischen Gases zu kaufen. Der Rohstoff soll allerdings nicht mehr für Fusionsenergie, sondern für eine weitere aussichtsreiche Technologie eingesetzt werden – Quantencomputer, deren Leistung Erwartungen zufolge diejenige der herkömmlichen Rechner um ein Vielfaches übersteigen soll.

Doch zum Bau von Quantencomputern sind Halbleiter erforderlich, die für äußerst tiefe Temperaturen geeignet sind. Helium-3 eignet sich vorzüglich als Kühlstoff: dank seinen Quanteneigenschaften bleibt es flüssig bei Temperaturen von bis zu wenigen Tausendstel Kelvin. In der Pressemitteilung von Bluefors, des führenden Verbrauchers von Helium-3, heißt es, dass der Vertrag die Quantenberechnungen beschleunigen und eine sichere und nachhaltige Lieferkette schaffen solle.

Der Wert des Vertrags beträgt 300 Millionen US-Dollar, was ihn zum teuersten in der Geschichte der Förderung außerirdischer Ressourcen macht, schreibt die Washington Post. Heutzutage ist die Helium-3 eines der teuersten Stoffe auf der Erde. Rob Meyerson, Gründer von Interlune, schätzt seinen Wert auf 20 Millionen US-Dollar pro Kilogramm. Zum Vergleich kostet ein Kilogramm Gold gegenwärtig etwa 100.000 US-Dollar.

Das Team scheint der Förderung von Mondschätzen auf den ersten Blick gewachsen zu sein.

Wo und wie

Der Start-up Interlune wurde 2020 gegründet und ist in einer der technologischen Hauptstädte der USA, Seattle, ansässig (dort befindet sich etwa auch der Sitz von Microsoft). Er hat drei Gründer. Meyerson und Gary Lai sind ehemalige Spitzenmanager des privaten Weltraumunternehmens Blue Origin. Ihnen hat sich Harrison Schmitt angeschlossen – ein ehemaliger Senator, Teilnehmer der Apollo-17-Expedition und der einzige Geologe, der jemals den Mond erreichte. Das Unternehmen erhielt bereits 18 Millionen US-Dollar an Venture-Investitionen und verkündete im Mai 2025, ein Abkommen mit dem US-Energieministerium über die Lieferung von drei Litern Helium-3 vom Mond geschlossen zu haben.

Später präsentierte die Firma das Modell eines Baggers zur Förderung des Stoffes. Die Maschine soll 100 Tonnen Mondgestein (Regolith) pro Stunde abbauen und drei Meter tief graben können – genau in dieser Tiefe soll laut Schmitt das begehrte Element zu finden sein.

Nach Meyersons Angaben habe die Firma "Ideen", wo Helium-3 zu suchen sei – dazu werden Daten des von NASA-Aufklärungssatelliten genutzt. Den konkreten Ort nennt der Geschäftsmann aus Sorge über mögliche Konkurrenz nicht und gibt nur an, dass er in der Nähe des Mondäquators liegt. Vergleichsweise reiche Helium-3-Vorräte befinden sich in ständig beschatteten Regionen neben dem Südpol des Monds, doch dort sei es schwierig, zu arbeiten.

Lai, technischer Direktor von Interlune, hatte zuvor geschätzt, dass in den ersten Jahren der Arbeit seine Firma auf die Erde lediglich "zehn bis 20 Kilogramm" bringen werde. Darauf soll im Jahr 2029 der Bau einer Versuchs-Produktionsanlage auf dem Mond folgen, um "jede Etappe, darunter die Lieferung von Helium-3 an unsere Kunden" zu testen, so Lai weiter.

Im Gegensatz zu Investoren und Geschäftspartnern stehen Wissenschaftler dem Vorhaben skeptisch gegenüber.

"Reine Science-Fiction"

Auch wenn Helium-3 in Bodenproben enthalten ist, due auf die Erde im Rahmen von US-amerikanischen und chinesischen Mondmissionen gebracht wurden, gibt es nach Surdins Angaben wenig von diesem Stoff auf der Oberfläche des Mondes. Der Wissenschaftler erklärt:

"Niemand weiß, ob man es dort sammeln kann. Auf die Erde wurden nur einzelne Atome gebracht. Es ist unklar, wie der Stoff aus dem Grund auszudämpfen und zu sammeln ist. Bisher ist das eine reine Science-Fiction."

Auch westliche Kollegen teilen seine Sorgen. So warnt Laszlo Keszthelyi, Geologe und leitender Forscher für Mondressourcen am wissenschaftlichen Zentrum für Astrogeologie des Geologischen Dienstes der USA in Flagstaff, dass die Eignung des geförderten Rohstoffs nicht bestätigt sei. Er erklärt:

"Um ein Kilogramm Helium-3 zu erhalten, müssen 100.000 bis eine Million Tonnen Regolith bearbeitet werden."

Ein weiteres mögliches Hindernis ist der allgegenwärtige Mondstaub – es ist unklar, ob die Technik seiner Einwirkung standhalten wird. Chris Dreyer, der Leiter der Abteilung für Maschinenbau am Zentrum für Weltraumressourcen an der Colorado-Bergbauhochschule, meint:

"Ein längerer Betrieb unter Bedingungen der Anwesenheit von Mondstaub wird ernsthafte Schwierigkeiten bringen."

Dabei wird Interlune nicht nur eine Antwort auf hochkomplexe technische Herausforderungen finden, sondern auch Konkurrenten überholen müssen. So zielt ein weiterer US-Start-up, Magna Petra, ebenfalls auf Helium-3 auf dem Mond ab. Er hat ein Partnerschaftsabkommen mit dem japanischen Mondunternehmen ispace geschlossen und beabsichtigt, den Stoff zu fördern, indem Isotope ohne Graben des Mondgesteins gewonnen werden.

Druckmittel

Im Falle eines Erfolgs wird auf der Erde ein prinzipiell neuer Förderkanal für Helium-3 erscheinen, was den Markt erheblich beeinflussen kann: Die Verfügbarkeit des Isotops für den Bedarf der Wissenschaft und Industrie könnte steigen, die Preise sinken und die Nachfrage durch neue Akteure – etwa Hersteller von Quantenanlagen, wissenschaftlichen Labors und Energieprojekten – aufkommen, meint Anastassia Grocholskaja, Sprecherin des Beratungsunternehmens TRIADA Partners. Sie führt aus:

"In breiterem Sinne wird der Bau der weltweit ersten Rohstoff-Förderanlage auf dem Mond zeigen, dass Ressourcen des Weltraums kommerziell genutzt werden können. Analytiker ziehen Parallelen zum Markt von Seltenerdmetallen: Wem es als Erstes gelingt, sichere Lieferketten aufzubauen, der wird Druckmittel gegenüber der Hochtechnologie-Branche erhalten."

Laut dem Weltraumvertrag aus dem Jahr 1967 unterliegt der Mond und andere Himmelskörper keiner "nationalen Aneignung weder über Souveränitätserklärungen, noch über Nutzung oder Besatzung, noch über sonstige Mittel". Doch der Vertrag verbietet nicht die Förderung von Rohstoffen – es bleibt nur, einen Platz am Himmelskörper zu sichern.

Der US-Kolumnist Leonard David vergleicht die Erschließung des Monds mit dem Kauf von Alaska durch die USA von Russland:

"Im März 1867 unterzeichnete US-Staatssekretär William Seward ein Abkommen mit Russland, wonach Alaska für 7,2 Millionen US-Dollar gekauft wurde. 'Sewards Torheit' erschien in einem neuen Licht, als dort 1898 Gold entdeckt wurde."

Auch Russland braucht es

Russlands Bedarf an Helium-3 wird als gering, aber steigend eingeschätzt, bemerkt Grocholskaja. Staatsunternehmen und Universitäten arbeiten an Entwicklung von Quantencomputern, die ebenfalls Kühlanlagen einsetzen, die mit Helium-3 betrieben werden. Neben Quantenforschungen ist Helium-3 im Bereich von Neutronendetektoren für Kontroll- und Sicherheitsgeräte und in der Medizin, etwa bei Lungentomographie, nachgefragt.

Der Staatskonzern Rosatom kündigte im Januar 2024 eine Erweiterung von Produktionskapazitäten zur Gewinnung von Helium-3 aus verbrauchtem Nukleartreibstoff an. Der Stoff soll bei medizinischer Visualisierung, Nukleardiagnostik und Quantentechnologien eingesetzt werden.

In Russland wird Helium-3 aus künstlich hergestelltem Tritium gewonnen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Rosatom-Betriebe Majak und W/O Isotop. Zudem sucht der Gazprom-Konzern nach Methoden, um Helium-3 aus heliumhaltigem Gas in neuen Vorkommen in Ostsibirien zu gewinnen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Russland auch dem Mond-Wettrennen um das wertvolle Isotop anschließen wird. Gemeinsam mit China plant es, im Jahr 2030 eine wissenschaftliche Station auf dem Mond zu bauen. Eines der langfristigen Ziele des Projekts ist die Nutzung von Bodenschätzen des Monds, darunter Helium-3. Ob diese Initiativen konkrete technische Lösungen vorsehen, ist bisher nicht bekannt. Die Aktivität der westlichen Konkurrenten könnte den Prozess beschleunigen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 2. Oktober bei RIA Nowosti.

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