Welcher Sherlock Holmes ist der Beste?
Von Pawel Surkow
Am 22. Mai jährte sich der Geburtstag von Arthur Conan Doyle zum 165. Mal – Anlass genug, nicht nur an seine Bestseller rund um den besten Privatdetektiv aller Zeiten und Erdteile zu erinnern, sondern auch an die Filme über den legendären Sherlock Holmes.
Schauen wir uns zusammen die besonders exponierten Beispiele an.
Die Stummfilm-Ära
Der erste Film über Sherlock erschien im Jahr 1900 und hatte nichts mit Conan Doyle zu tun. Die Sache ist die, dass zu dieser Zeit, als der Klassiker weitere Erzählungen über Holmes schrieb und veröffentlichte, – gleich einem Mr. Hyde zu Dr. Jekyll – sein wahrer Held mehrere "böse Doppelgänger" bekam, und zwar in zahlreichen nicht autorisierten Kurzgeschichten in Boulevardblättern. Das würde man heute als die Fan-Fiction bezeichnen. Und ausgerechnet ein solches Double ist auch die Hauptfigur des allerersten Films über den berühmten Detektiv – nämlich in dem amerikanischen Stummfilm "Sherlock Holmes baffled".
Die Handlung dieses 30-Sekunden-Filmchens – gedreht für ein Mutoskop, eines der ersten Geräte zur Vorführung von Filmen – ist ziemlich lächerlich: Sherlock wird von einem unbekannten Dieb ausgeraubt, der auftaucht und verschwindet und am Ende zur Überraschung des Detektivs durch das Fenster springt. Da es keinen üblichen Abspann im Film gibt, wissen wir heute nicht, wer eigentlich die Rolle des Holmes gespielt hatte und kennen nur den Namen des Kameramanns: Arthur Marvin.
Es gibt allerdings auch einen vollwertigen Stummfilm über das Original des Meisters der Deduktion – aus dem Jahr 1916 und fast zwei Stunden lang.
Der britische Klassiker, der klassische Brite
Ein klassischer britischer Sherlock war Jeremy Brett, der den großen Detektiv zehn Jahre lang im englischen Fernsehen spielte. Brett selbst hasste die Kunstfigur Holmes. Er hielt die Rolle für eintönig und "völlig uninteressant". Dr. Watson wäre für ihn als Schauspieler viel interessanter gewesen, ließ er die Presse wissen. Dennoch wirkte der Künstler bei der Verfilmung aller klassischen Geschichten von Conan Doyle mit und imitierte fleißig den klassischen englischen Akzent und die Gewohnheiten des viktorianischen Gentleman.
Eine britische Fernsehproduktion, die von 1983 bis 1994 lief, kam dem Originaltext sehr nahe, und Brett war äußerst charmant in der Rolle. Daher verbinden die meisten Engländer das Bild von Sherlock mit Brett, der immer noch als "der wichtigste englische Holmes" bezeichnet wird. Hier eine Kostprobe.
Wie sich die Sowjetunion den Briten vorstellte
"Wenn Papa diesen russischen Künstler sehen könnte, wäre er glücklich", soll Conan Doyles Tochter ausgerufen haben, als sie die sowjetische Filmreihe von Igor Maslennikow sah. Das Duo von Wassili Liwanow und Witali Solomin in den Rollen von Holmes und Watson ist großartig. Vielleicht erschienen zum ersten Mal zwei absolut gleichwertige Hauptfiguren auf der Leinwand: Vor diesen Filmen blieb der Begleiter des großen Detektivs in dessen Schatten.
Als Vorlage für Make-up und Kostüme dienten Maslennikow die klassischen Illustrationen des Künstlers Sidney Paget zu den Büchern von Conan Doyle – kein Wunder, dass Liwanow als Holmes dem "britischen Original" so ähnlich wurde. Und bis heute hängt auch das Porträt von Liwanow im Holmes-Museum in der Baker Street in London an einem der Ehrenplätze der besten Filmdarsteller – oder vielleicht als der Beste? Jedenfalls stellen sich wohl Millionen von Lesern in aller Welt so genau den "echten" Holmes vor. Wer weiß, vielleicht hat sich sogar Jeremy Brett etwas bei seinem russischen Kollegen abgeschaut, erschien doch die erste Folge der sowjetischen Filmreihe vier Jahre vor der britischen Serie.
Etwas gehandicapt ist die sowjetische Verfilmung lediglich dadurch, dass in Ermangelung des Zugangs zu Originalschauplätzen das lettische Riga die Rolle als viktorianisches London spielen musste.
Der am wenigsten Authentische?
Peter Cushing, den Star-Wars-Fans als den Gouverneur Wilhuff Tarkin kennen, schien für die Rolle des großen Detektivs völlig ungeeignet. Kleine Statur, negativer Charme – er würde eher für Schurken-Rollen passen. Trotzdem erschien er immer wieder als Sherlock Holmes auf der Leinwand. Und einmal zusammen mit seinem besten Freund Christopher Lee, der berühmt wurde, auch in den Rollen als Dracula und als Schurke Francisco Scaramanga in Bond-Filmen.
Beide geborenen Filmschurken waren an dem Kultfilm "Der Hund von Baskerville" beteiligt – einer freien Adaption des Romans, in dem Sir Henry (gespielt von Lee) – kein romantischer Edelmann, sondern ein verzweifelter britischer Draufgänger ist. Vor dem Hintergrund der stattlichen Christopher Lee erschien Cushing etwas verloren, aber es gelang ihm, seiner Holmes-Figur wahres britisches Charisma zu vermitteln. Das Ergebnis war weniger eine Detektivgeschichte als eine Fantasy-Burleske, die dennoch bei echten Fans des berühmten Detektivs beliebt ist.
Die Sherlocks des 21. Jahrhunderts
Die Serie "Sherlock" – eine großartige Fantasie auf der Grundlage der Geschichten von Conan Doyle, ein Meisterwerk der Postmoderne – hat uns neuerliche Verkörperungen von Holmes und Watson beschert. Benedict Cumberbatch und Martin Freeman wurden zu den Helden der jungen Menschen, die sich für Doyles Bücher interessierten.
Nun, der Detektiv aus Guy Ritchies Zweitteiler "Sherlock Holmes" und "Sherlock Holmes: Spiel im Schatten" basiert auf Comicromanen, die ihrerseits auf Conan Doyles berühmten Kurzgeschichten beruhen, und wird vom Publikum ebenfalls geliebt. Es ist nicht verwunderlich, dass Robert Downey Jr., einer der attraktivsten Männer Hollywoods, sich als ein solch ein komischer und seltsamer Holmes entpuppte: Zottelig, tollpatschig, aber furchtlos und mit der gleichen deduktiven Methode ausgestattet, unterscheidet er sich auffallend von allen Sherlocks auf der Leinwand.
Bonus: Der Anti-Holmes
Die Serie von Andrei Kawun erzählt die ungewöhnliche Geschichte von Holmes (Igor Petrenko) und Watson (Andrei Panin): Der berühmte Detektiv hat kein einziges Verbrechen gelöst, alle Heldentaten wurden von einem mutigen Militärarzt im Ruhestand vollbracht, der sie aus Bescheidenheit seinem Freund zuschrieb. Aber dieser Sherlock – kurzsichtig und ein wenig feige – wird sehr schnell umerzogen, nimmt sich ein Beispiel an Watson und wird schließlich zu einem vollwertigen Superman. Das ist eben so, Sie wissen schon!
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen auf ria.ru am 22. Mai 2024.
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