Interview mit Autorin Gaby Weber: Für Mercedes Benz geht die Justiz bis heute über Leichen
Von Felicitas Rabe
Im Interview mit RT berichtet die Journalistin Gaby Weber über ihr neues Buch "Causa Mercedes Benz – Mörder und Profiteure". Sie erläutert, warum es bis heute wichtig ist, sich mit den Verbrechen des deutschen Autobauers in den siebziger Jahren zu beschäftigen.
Wirtschaftliche Logik hinter den Ermordungen während der argentinischen Militärdiktatur
Bislang habe man sich in Bezug auf die Morde in Argentinien in der Zeit der Militärdiktatur immer auf den Sadismus seitens des Militärs fokussiert. Die dahinter stehende wirtschaftliche und finanzielle Logik, werde selten erwähnt. Darum geht es in ihrem Buch über die "Causa Mercedes Benz". Der schwäbische Autobauer habe schließlich "Erfahrungen" mit Diktaturen, erklärte Gaby Weber über ihre Motivation für das Buch.
Nachdem in einer ersten Recherchephase von 1999 bis 2014 alle juristischen Möglichkeiten gegenüber Mercedes-Benz in Deutschland, den USA und Argentinien ausgereizt und gescheitert gewesen seien, habe sie das Projekt aufgeben wollen. Die "Menschenrechtsbürokratie" sei zu frustrierend. Doch schließlich habe sie ein neuer Gerichtstermin motiviert, die Causa Mercedes Benz wieder aufzunehmen.
Hintergrund der Morde an Betriebsräten und Gewerkschaftern in den Jahren 1976 und 1977 bei Mercedes-Benz in Buenos Aires
Ab 1976 wurden von argentinischen Militärs vor allem in den Arbeitervierteln linke Gewerkschafter systematisch ermordet, Mercedes-Benz Argentina (MBA) war dabei kein Einzelfall. Im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen könne man die Verbrechen des deutschen Konzerns allerdings mittels Beweisen belegen.
Nach der Diktatur seien die Täter aufgrund von Amnestiegesetze straffrei geblieben. Dagegen gab es viel Widerstand, und schließlich wurden um die Jahrtausendwende mehrere "Wahrheitstribunale" eingerichtet. Dort präsentierte Gaby Weber ihre Rechercheergebnisse. Infolgedessen mussten auch Manager von Mercedes dort aussagen. Der damalige MBA-Produktionschef Juan Tasselkraut habe bei einem Tribunal erklärt, dass nach der Welle des "Verschwinden-Lassens" – so bezeichnen Argentinier diese Morde – die Produktivität im Unternehmen wieder auf ein normales Niveau gestiegen sei. Auf die Frage des vorsitzenden Richters, ob es dabei einen Zusammenhang zu den Morden gebe, habe Tasselkraut geantwortet:
"Wunder gibt es nicht."
Diese "Erklärung" für das Verbrechen, habe die Journalistin später als Titel für einen Dokumentarfilm zu dem Thema verwendet. Mit diesem Ausspruch habe Tasselkraut vor Gericht deutlich gemacht, welche Botschaft die Morde für die Arbeiter beinhalteten, erklärte Gaby Weber:
"Wenn Ihr nicht spurt, dann denunzieren wir Euch bei den Militärs und die foltern und werfen Euch aus den Flugzeugen ins Meer."
Mercedes-Produktionschef Juan Tasselkraut stellte Rubén Lavallén, einen Folterknecht, als Chef des MBA-Werkschutzes ein
Lavallén sei Kommissar in einem Polizeirevier in der Nähe des Werkes gewesen. Später, als Chef des MBA-Werkschutzes, habe er nachweislich in der Produktion beschäftigte Arbeiter gefoltert, einige Überlebende hätte dies vor Gericht bezeugt. Demnach habe er auch das Kleinkind einer Gefangenen geraubt und jahrelang bei sich Zuhause untergebracht. Mit den Chefs von Mercedes habe sich der "Werkschützer" Lavallén glänzend verstanden. Das gute Verhältnis erläuterte die Journalistin folgendermaßen:
"Man besuchte gemeinsam die Bordelle, betrank sich und ermordete die rebellischen Proleten. Und man griff sich ihre Kinder ab."
In der Familie des Mercedes-Managers Juan Tasselkraut seien drei Kinder als "biologische" Söhne eingetragen, obwohl dies nachweislich nicht stimme. Aber weder die deutsche noch die argentinische Justiz hätten aufklären wollen, "ob und wenn ja, aus welchen Folterkammern diese Babys in die Familie des Mercedes-Managers gekommen sind."
Haben das Daimler Management oder der Betriebsrat in Stuttgart etwas zur Aufklärung dieser Morde durchgesetzt?
Der Betriebsrat in Stuttgart habe sich 2002 für eine Untersuchungskommission eingesetzt. Daraufhin sei zwar keine Kommission, aber zumindest ein Berliner Rechtsprofessor mit der Untersuchung der Verbrechen in der argentinischen Filiale beauftragt worden, Prof. Christian Tomuschat. Dessen Abschlussbericht vom Dezember 2003 sei als "Gefälligkeitsgutachten" in die Geschichte eingegangen. Vergeblich habe der Globale Betriebsrat von Mercedes auf Initiative brasilianischer Gewerkschafter hin die Aufklärung des Baby-Diebstahls gefordert. Von den deutschen Funktionären sei die Untersuchung mit dem Tomuschat-Bericht für beendet erklärt worden.
Eine üble Rolle bei der Verhinderung der Aufklärung habe die deutsche IG-Metall-Spitze gespielt. Seitens der Gewerkschaftsbasis habe es viel Solidarität mit den argentinischen Angehörigen der Ermordeten gegeben. Aber die Funktionäre – eben das, was im Volksmund "Bonzentum" heißt – hätten mit dafür gesorgt, dass nicht weiter untersucht wurde.
Die Rolle der deutschen Politik bei der Verschleierung von Verbrechen an Betriebsräten und Gewerkschaftern
Bei einem Traditionsunternehmen wie Daimler sei von der Politik in Sachen Aufklärung wenig zu erwarten. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich persönlich gegen eine Aufklärung der Verbrechen stark gemacht. So habe sie versucht, den gerade frisch gewählten US-Präsidenten Barack Obama zu "überreden", sich gegen die Eröffnung des Verfahrens in Kalifornien einzusetzen. Die Details beschreibt die Journalistin mit Quellenangaben in ihrem Buch. Dort erläutert sie:
"Es geht dabei ja nicht nur um die brutale Ermordung von 14 Betriebsaktivisten, sondern auch um den systematischen Babyraub, an dem das Unternehmen aktiv beteiligt war."
Bis heute erfolgt die Aufklärung über den Verbleib der "Verschwundenen" schleppend. Stattdessen entstand eine "Menschenrechtsbürokratie"
Noch während der Diktatur hatte sich in Argentinien eine mächtige Menschenrechtsbewegung entwickelt. Der erste Präsident nach dem Militärregime, Raúl Alfonsín, hatte sich zuvor gegen Folter eingesetzt, musste aber auf Druck aus den Kasernen eine Amnestie für die Militärs erlassen. Nach der großen Wirtschaftskrise 2001/2002 habe Präsident Néstor Kirchner die bekanntesten Köpfe der Menschenrechtsbewegung in die Regierung integriert und mit Posten versorgt. Mittlerweile sei von der Bewegung nur noch eine "Menschenrechtsbürokratie" übrig geblieben. Aus Kämpfern habe man gut versorgte Komplizen gemacht: "Das ist eine bewährte Methode: eine Bewegung zu zerschlagen, indem man ihre Anführer einkauft und von staatlichen Subventionen abhängig macht. In Deutschland läuft das ja auch nicht anders", so Weber.
Aufgrund Ihrer Rechercheergebnisse verklagte Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck den früheren MBA-Produktionschef Tasselkraut wegen Beihilfe zum Mord. Was erwarten Sie nach fast 50 Jahren von der deutschen Justiz?
Gar nichts, erwarte die Journalistin. Die Nürnberger Richter und Staatsanwälte weigerten sich im Falle der Verbrechen bei MBA Anklage zu erheben. Ihr Argument: Man könne nicht beweisen, dass die 14 Verschwundenen wirklich tot seien und nicht irgendwann wieder auftauchen. Staatsanwälte sind weisungsgebunden, daher äußerte Gaby Weber:
"Mich wundert da gar nichts mehr."
Stand der Recherchen zur Causa Mercedes Benz
In Deutschland sei überhaupt keine Anklage erhoben worden. In Argentinien habe im Dezember 2023 das Berufungsgericht in San Martín, einem Vorort von Buenos Aires, zwar entschieden, dass der mündliche Prozess gegen Produktionschef Tasselkraut endlich anfangen müsse, aber seine Verteidiger legten immer wieder Einspruch ein. Das Verfahren gegen Tasselkraut sei bereits 2006 von der Staatsanwaltschaft Buenos Aires – fertig ermittelt – nach San Martín abgegeben worden und hätte 2007 terminiert werden können. Tasselkraut ist 82 Jahre alt. Man spiele auf Zeit, so Weber.
Nachdem US-Bundesrichter in Kalifornien das Verfahren eröffnen wollten, habe Daimler den Supreme Court angerufen. Außerdem habe die gesamte westliche Automobil-Industrie einen Amicus-Curiae-Brief an den Gerichtshof geschickt und mit einem Stopp der Investitionen gedroht, sollte das Verfahren eröffnet werden. Daran beteiligt gewesen seien unter anderem die Schweizer Bankenvereinigung, der Deutsche Industrie- und Handelstag. Die Richter hätten sich unterworfen und im Sinne der Automobil-Industrie geurteilt.
Inwieweit lässt sich der Umgang mit den Verbrechen damals mit dem aktuellen Umgang von Regierungen mit Großkonzernen vergleichen?
Gaby Weber zufolge unterwerfe sich die Richterschaft dem Kapital. Im Falle von Mercedes Benz "traten sie ihre eigenen Grundsätze – die richterliche Unabhängigkeit – mit Füßen, um dem Kapital einen Gefallen zu tun.
"Das sind wohl die Zeiten, in denen wir leben: der moralische Niedergang des Westens, das komplette Fehlen von Autoritäten, die sich an die Grundwerte von Demokratie erinnern. Dazu sind die USA verkommen. Irgendwie schade, finden Sie nicht?"
"Causa Mercedes Benz – Mörder und Profiteure", das neue Buch der Journalistin und Filmemacherin Gaby Weber erschien im April 2024 im Verlag Die Buchmacherei. Gaby Weber ist ausgewiesene Lateinamerika-Expertin und lebt sowohl in Berlin als auch in Buenos Aires. Man kann sie über ihre Webseite https://www.gabyweber.com/ erreichen.
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