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Ukraine-Krieg 2023: Von der großen Siegesgewissheit bis zur schmerzhaften Ernüchterung Kiews

Noch zu Beginn des Jahres hat die Ukraine angesichts der vermeintlichen Kriegserfolge 2022 durchaus optimistisch auf den Konflikt mit Russland geblickt. Die sogenannte "Gegenoffensive" der ukrainischen Armee sollte Moskau endgültig zum Rückzug zwingen. Jedoch ist die anfängliche Siegesgewissheit inzwischen der Ernüchterung gewichen.
Ukraine-Krieg 2023: Von der großen Siegesgewissheit bis zur schmerzhaften Ernüchterung KiewsQuelle: Gettyimages.ru

Von Alex Männer

Das Jahr 2023 begann für die Ukraine trotz des verlustreichen Krieges mit Russland durchaus vielversprechend. Politisch, wirtschaftlich und militärtechnisch konnte sich Kiew weiterhin auf die rigorose Unterstützung seitens des kollektiven Westens verlassen, die den Ukrainern zuvor im Herbst 2022 große Landgewinne im Raum Charkow ermöglichte – und den Krieg damit noch weiter eskalieren ließ.

Dabei hätte sich der Konflikt in diesem Jahr ganz anders entwickeln können. Wie mehrere Enthüllungen belegen, wollte Russland eigentlich schon 2022 Friedensverhandlungen und eine fundamentale Einigung im Sicherheitsbereich voranbringen, die der Westen allerdings erfolgreich torpedierte und die Ukraine stattdessen dazu brachte, die Kampfhandlungen auszuweiten. Bis hin zu einer groß angelegten "Gegenoffensive" im Sommer, die Russland eine verheerende Niederlage bescheren und das Land in eine gefährliche innenpolitische Krise stürzen sollte.

Gescheiterte Gegenoffensive

Für dieses Unterfangen wurden der Ukraine Milliarden US-Dollar als Finanzhilfe sowie Unmengen an Kriegstechnik und militärischer Ausrüstung bereitgestellt. Abgesehen von Kampfjets hatte die Kiewer Führung im Grunde alles erhalten, um eine breit angelegte Militäroperation durchführen zu können. Doch bereits im Zuge der ersten Angriffe im Juni standen die Ukrainer vor erheblichen Problemen, gegen die Verteidigung der Russen anzukommen. Am Ende konnten trotz unzähliger Vorstoßversuche keine nennenswerten Fortschritte erzielt werden.

Erklären lässt sich dieses militärische Fiasko vor allem mit dem erbitterten Abwehrkampf und der erfolgreichen Verteidigungstaktik der russischen Streitkräfte, die ihre Lehren aus den Ereignissen 2022 gezogen und sich an das Vorgehen der von der NATO unterstützten ukrainischen Armee angepasst haben. Hervorzuheben sind die russischen Verteidigungslinien, bei denen es sich um ein groß angelegtes Verteidigungssystem mit einem gut ausgebauten Transport- und Logistiknetz handelt, das Dutzende Kilometer in das Hinterland reicht und aus zahlreichen Feuerstellungen, militärischen Befestigungen sowie unzähligen Minenfeldern besteht. Idealerweise stützt sich dieses Verteidigungssystem zudem auf große Verbände von Artillerie und Luftwaffe, die mit ihren Raketenwerfern, den mit Lenkwaffen ausgestatteten Kampfhubschraubern sowie den Kampfjets entscheidend in das Kampfgeschehen eingreifen konnten.

Nach fast sechs Monaten der Kämpfe scheiterte der ukrainische Plan, angesichts des gegnerischen Abwehrbollwerks, die Verteidigungslinien zu durchbrechen und bis zur Krim und dem Asowschen Meer vorzustoßen. Letzten Endes hat Kiew kein einziges seiner Ziele erreicht, stattdessen sind Zigtausende seiner Soldaten getötet worden. Die russische Seite schätzt die ukrainischen Verluste bei dieser Offensive auf etwa 160.000 Mann. Insgesamt sollen in diesem Krieg bisher mehr als 500.000 ukrainische Soldaten getötet oder verletzt worden sein.

Katastrophale Lage in der Armee

Die hohen Verluste haben mit dazu beigetragen, dass es der Ukraine inzwischen an jungen und gesunden Rekruten fehlt und dass sogar zunehmend deutlich ältere Menschen eingezogen werden. Dafür hatte die Regierung in diesem Jahr bestimmte Altersbeschränkungen für die Einberufung aufgehoben – mobilisiert werden seitdem Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren. Auch Frauen werden verstärkt eingezogen.

Die Mobilmachung kann jedoch nicht verhindern, dass die Initiative auf dem Kriegsschauplatz im Verlauf des Jahres endgültig zur russischen Seite übergegangen ist. Und selbst wenn die ukrainischen Truppen die Frontlinie noch halten können und das Land große territoriale Verluste vermieden hat, ist die Gesamtlage aus Kiewer Sicht dennoch katastrophal.

Erstens gehen der Ukraine die Waffen und Munition aus, weil der Westen nicht mehr genügend liefert. Zudem gibt es deutliche Anzeichen für einen baldigen Zusammenbruch der ukrainischen Streitkräfte. Zweitens erzielen die Russen regelmäßig kleinere Geländegewinne und bereiten laut Experten damit eine Großoffensive vor. Zum Beispiel haben russische Einheiten eine Offensive bei Awdejewka im Raum Donezk gestartet und dort bereits Fortschritte erzielt. In den USA geht man sogar von möglichen taktischen Erfolgen Russlands aus, die in den kommenden Monaten realisiert werden könnten.

Ernüchterung im antirussischen Lager

In Anbetracht der Misserfolge macht sich im antirussischen Lager unlängst der Pessimismus breit. In den westlichen Ländern etwa, wo an die ukrainische Gegenoffensive hohe Erwartungen geknüpft worden waren, wuchs nicht nur die Enttäuschung über den Kriegsverlauf, sondern auch die Spannungen unter den Unterstützern der Ukraine. Viele machen die Militärführung sowie die Korruption in dem Krisenland für die jetzige Situation verantwortlich. Eine Folge davon ist das Ausbleiben des Großteils der westlichen Hilfsgelder, das für die Ukraine schwerwiegende Folgen haben dürfte. Denn ihr Haushalt wird quasi seit fast zwei Jahren in hohem Maße mit Steuergeldern aus Europa und den Vereinigten Staaten finanziert.

Selbstverständlich war die anfängliche Siegesgewissheit auch in der Ukraine der Ernüchterung gewichen. Das gilt sowohl für die Staatsführung als auch für die Gesellschaft, die am Anfang des Jahres noch sehr optimistisch auf das Kriegsgeschehen geblickt hat. Heute lässt sich jedoch eine deutlich erkennbare Demoralisierung der Bevölkerung konstatieren, weil sich immer mehr Ukrainer über die Kriegsniederlagen- und Verluste enttäuscht zeigen und offensichtlich von den Anstrengungen erschöpft sind, die dieser Konflikt von den Menschen täglich erfordert.

Seine Eindrücke dazu hat Bartosz Cichocki, der im Oktober eine vierjährige Amtszeit als polnischer Botschafter beendete, in einem Artikel der Zeitung The Guardian so ausgedrückt: "Am Ende des letzten und am Anfang dieses Jahres gab es eine solche Euphorie. Jetzt sehen wir ein anderes Extremum, einen Abfall, und ich gehe davon aus, dass wir einige Höhen und Tiefen eine Zeit lang beobachten werden."

In Wirklichkeit erkennen immer mehr Ukrainer, dass der sogenannte "Sieg über Russland", der ihnen noch vor einem halben Jahr versprochen wurde, gelinde gesagt in weite Ferne gerückt ist. Im Land gibt es praktisch kaum noch Freiwillige, die bereit wären, an der Front zu kämpfen, stattdessen werden die Leute nun zwangsrekrutiert. Die Zustimmung zum Krieg geht verständlicherweise immer weiter zurück. Zudem glauben die meisten Ukrainer nicht mehr an die Bereitschaft des Westens, weder das benötigte Kriegsgerät zu liefern noch die Lieferungen in den von Kiew geforderten Mengen zu realisieren.

Dies lässt die ukrainische Bevölkerung außerdem verstärkt an der eigenen Staatsführung zweifeln, die sehr hohe Erwartungen in die "Partnerschaft" mit dem Westen gesetzt hatte. Noch zu Jahresbeginn standen die Ukrainer deshalb klar hinter ihrem Präsidenten und seiner Gefolgschaft. Inzwischen ist von einer breiten Zustimmung der Ukrainer für ihre Regierung jedoch kaum noch etwas zu spüren.

Fazit

Angesichts der Opfer und Lasten, die man der eigenen Bevölkerung wegen der antirussischen Politik des Westens in den vergangenen Monaten aufgebürdet hatte, steht die Ukraine nunmehr vor den schwierigsten Herausforderungen in ihrer Geschichte. Allerdings hängt vieles nicht mehr von ihr selbst ab, sondern vom Westen und Russland, wie in diesem Jahr besonders deutlich wurde.

Trotzdem könnten die Menschen in der Ukraine den entscheidenden Beitrag zum Frieden leisten, indem sie für eine Waffenruhe und fundamentale Verhandlungen eintreten. Andernfalls droht der Ukraine im kommenden Jahr eine regelrechte Katastrophe, von der sich das Land eventuell nicht mehr erholen könnte.

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