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Dschihad aus dem Untergrund: Wird Israel mit diesem Vorteil der Hamas fertig?

Israel plant, die Tunnelsysteme der Hamas in Gaza auszuräuchern und zu zerstören, aber das könnte sich als ein unmögliches Unterfangen herausstellen. Es wird angenommen, dass die Hamas mehr als 200 Geiseln festhält und zumindest einige von ihnen in diesen Tunneln untergebracht sind.
Dschihad aus dem Untergrund: Wird Israel mit diesem Vorteil der Hamas fertig?Quelle: RT

Von Elizabeth Blade

Es ist mehr als 60 Tage her, seit Israel seine Operation "Eiserne Schwerter" gegen Gaza richtete, um die Hamas auszumerzen, nachdem die Organisation israelische Siedlungen im Süden Israels angegriffen hatte, wobei angeblich mehr als 1.400 Menschen ums Leben kamen und Tausende weitere verletzt wurden.

Zahlreiche Verwaltungsgebäude in Gaza, darunter das Parlament sowie das Gerichts- und Polizeipräsidium, wurden von den israelischen Streitkräften (IDF) eingenommen und in der Folge gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht. Auch das wichtigste und größte Krankenhaus von Gaza-Stadt – das Shifa-Krankenhaus – wurde von den Israelis eingenommen. Israel ging davon aus, dass der medizinische Komplex an das Tunnelsystem der Hamas angeschlossen ist und über Bunker verfügt, in denen möglicherweise einige der israelischen Geiseln festgehalten wurden.

Nach Angaben des israelischen Geheimdienstes soll das Shifa-Krankenhaus jedoch nur ein Teil des komplexen Tunnelsystems der Hamas sein. Berichten zufolge verfügt die Stadt über rund 1.300 Tunnel, deren Gesamtlänge 500 Kilometer beträgt – das sind hundert Kilometer mehr, als das Londoner U-Bahn-System hat. Das Netzwerk dieser Tunnel, das sich 75 Meter tief unter der Oberfläche befindet, beherbergt angeblich Munitions- und Waffenlager sowie Kommando- und Kontrollzentren. Es verfügt außerdem über ein eigenes Belüftungssystem und eine stetige Wasser- und Stromversorgung.

"Was wir bisher wissen, ist, dass es im Gazastreifen verschiedene Arten von Tunneln gibt", sagt Avi Melamed, ein Nahost-Experte und ehemaliger Geheimdienstoffizier der israelischen Streitkräfte. "Es gibt die sogenannten Schmuggeltunnel, zum Schmuggeln von Waren, Waffen und Kämpfern aus dem Sinai. Dann gibt es die sogenannten Angriffstunnel, die tief in das israelische Territorium hineinreichen, und es gibt zudem Tunnel, die von der Hamas für interne militärische Logistik gebaut wurden."

Der Aufbau dieses Netzwerks wurde Berichten zufolge über Jahre hinweg vorangetrieben, beginnend im Jahr 2007, als die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm, was Israel dazu veranlasste, eine Blockade über das Gebiet zu verhängen. Israel war sich dieser Herausforderung durchaus bewusst und hat versucht, den Ausbau des Tunnelnetzwerks zu unterbinden, indem der Import von Beton, Stahl und anderen wichtigen Gütern nach Gaza einschränkt oder verboten wurde. Aber die Hamas hat immer wieder Wege gefunden, den Nachschub von Baumaterial, das eigentlich für zivile Projekte gedacht war, für ihre eigenen Zwecke abzuzweigen. Angeblich wurden auch großzügige Geldspenden aus Katar zur Finanzierung dieses Tunnelprojekts genutzt.

"Unser Geheimdienst wusste von diesen Tunneln, aber wir hatten nicht die Entschlossenheit, sie zu zerstören", sagte Amit Assa, ein ehemaliges Mitglied des israelischen Geheimdienstes Shin Bet, der sich seit Jahren mit der Hamas befasst. Und weiter:

"Stattdessen hat Israel unterirdische Sperren und Technologien zum Einsatz gebracht, um Infiltrationen in das israelische Territorium zu verhindern. Wir haben diplomatische Anstrengungen unternommen, um den Geldfluss an die Hamas zu stoppen, und wir waren davon überzeugt, dass sie ihre Pläne, Israel zu zerstören, aufgeben würden, wenn wir den Palästinensern Wohlstand ermöglichen oder ihnen wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen."

Mit "wirtschaftlichen Möglichkeiten" bezog sich Assa auf eine Reihe von Erleichterungen, die von den israelischen Regierungen in den vergangenen Jahren eingeführt wurden. Dazu gehörten die Erlaubnis für Tausende von Bewohnern von Gaza, zur Arbeit nach Israel einzureisen, die Ausweitung der Fischereizonen und die Erlaubnis, bestimmte Waren zu importieren. Jetzt behauptet Assa jedoch, dass Israel erkannt habe, dass das Konzept der Zugeständnisse grundlegend falsch gewesen sei und dass der israelische Staat deshalb entschlossen sei, "dagegenzuhalten".

Es ist nicht so, dass Israel nicht schon früher versucht hätte, dagegenzuhalten. Im Laufe vieler Jahre hat Israel eine Reihe von Operationen gestartet, die darauf abzielten, die militärischen Fähigkeiten der Hamas, einschließlich ihres Tunnelsystems, zu schwächen. Aber obwohl Teile des Systems beschädigt oder teilweise zerstört wurden, gelang es der Hamas immer wieder, diesem Druck standzuhalten. Jetzt aber, so die Ansage von Assa, wird es ein anderes Spiel geben.

Nach Schätzungen der IDF zerstörte Israel seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 400 Tunnelschächte. Tausende Kämpfer der Hamas und des palästinensischen Islamischen Dschihad sollen dabei getötet worden sein.

Beobachter sind sich einig, dass Israel, sobald es das Problem des Tunnelsystems im Norden des Gazastreifens angegangen ist, weiter nach Süden vordringen wird, wo sich angeblich ein weiteres Netzwerk von Tunneln befindet. Laut dem Nahost-Experten Avi Melamed werden die IDF dabei die Achillesfersen des Tunnelnetzwerks ausnutzen. Er ergänzte:

"Der Betrieb und Aufenthalt in diesen Tunneln erfordert eine ständige Sauerstoffversorgung, und das hängt von der Funktion von Generatoren und vom Vorhandensein von Diesel ab, mit dem die Generatoren betrieben werden. Eine Möglichkeit für uns besteht also darin, sie zu ersticken, indem wir den Sauerstofffluss zu den Tunneln unterbinden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, genügend Informationen über die Ausgänge und Eingänge in die Tunnelsysteme zu sammeln, damit wir diese zerstören und Hamas-Terroristen in den Tunneln begraben können."

Dies könnte sich jedoch als eine unmögliche Mission herausstellen. Es wird angenommen, dass die Hamas und andere palästinensische Gruppierungen mehr als 200 israelische Geiseln festhalten und zumindest einige von ihnen in Tunneln untergebracht sind. Diese Tunnel zu blockieren oder ihnen den Sauerstoff zu entziehen, würde auch für diese Geiseln den sicheren Tod bedeuten, und es wird allgemein angenommen, dass Israel diesen Schritt nicht wagen wird.

Laut Assa gibt es noch einen weiteren Haken – den Faktor Zeit. Während Israel die Bedrohung durch den Terror beseitigt, bombardiert es auch zivile Infrastruktur, darunter Moscheen, Schulen, Krankenhäuser und Wohngebäude. Mehr als 14.000 Palästinenser wurden bereits getötet, die meisten davon Zivilisten. Fast 36.000 wurden verletzt. Währenddessen nimmt der internationale Druck auf Israel zu. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte Israel auf, damit aufzuhören, Frauen und Kinder ins Visier zu nehmen. Ähnliche Forderungen wurden auch von Kanadas Premierminister Justin Trudeau und anderen führenden Politikern in der Welt geäußert. Offizielle in Tel Aviv glauben, dass es nur eine Frage von Wochen ist, bis diese Kritik lauter wird.

"Es war schon immer schwierig, die Aktionen Israels in die Schranken zu weisen", meint Amit Assa. "Aber dieses Mal wird Israel keine Ratschläge von irgendjemandem annehmen. Wenn wir die Hamas und den Palästinensischen Islamischen Dschihad wirklich loswerden wollen, dann dürfen wir in diesem Krieg keine Zurückhaltung zeigen. Wir müssen bis zum Ende durchhalten, egal, was unsere Verbündeten dazu sagen."

Aus dem Englischen.

Elizabeth Blade ist RT-Korrespondentin für den Nahen Osten.

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