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Russland verwirklicht den jahrhundertealten Traum der Zaren und der Sowjets

Ein sicherer und schneller Weg aus Russland nach Indien stand spätestens seit der Regentschaft Pauls des Ersten auf der Wunschliste russischer Zaren. Intrigen Londons, das sein Imperium bedroht sah, verhinderten immer wieder die Realisierung des Vorhabens. Nun scheint der Traum dank russisch-iranischer Kooperation Wirklichkeit zu werden.
Russland verwirklicht den jahrhundertealten Traum der Zaren und der SowjetsQuelle: Sputnik © Ilja Naimuschin / RIA Nowosti

Von Sergei Sawtschuk

Der 17. Mai 2023 wird mit Sicherheit als ein Tag von wahrhaft historischem Ausmaß in die Geschichtsbücher eingehen. Und auch ein Kapitel in einem Wirtschaftslehrbuch für Universitätsstudenten wird ihm eines Tages gewidmet sein.

An diesem Tag gab Wladimir Putin zusammen mit seinem iranischen Amtskollegen Ebrahim Raisi per Videokonferenz den Startschuss für den Bau der Eisenbahnlinie Rascht-Astara. Mit diesem Projekt wird in naher Zukunft der Traum fast aller politischen Führer unseres Landes mindestens der letzten eineinhalb Jahrhunderte in Erfüllung gehen.

Dem Ereignis ging die Landung russischer Politiker in Teheran voraus, die unter anderem durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander Nowak, den Verkehrsminister Witali Saweljew, den stellvertretenden Leiter der russischen Zentralbank und den Leiter des Zolldienstes vertreten waren. Der iranische Botschafter in Moskau, Kasem Jalali, kündigte außerdem an, dass Elvira Nabiullina nächste Woche im Rahmen desselben Projekts im Iran eintreffen werde. Schon die Zusammensetzung der russischen Delegation spiegelt die Bedeutung des Ereignisses für unser Land und der Empfang durch den Iran bestätigt das nicht mindere Interesse der persischen Seite.

Der im Bau befindliche Abschnitt Rascht-Astara ist nur 162 Kilometer lang und verläuft vollständig auf dem Gebiet der Islamischen Republik, aber die scheinbar bescheidenen Zahlen sollten niemanden in die Irre führen.

Der Bau der transkaukasischen Eisenbahn (seines ersten Abschnitts Poti-Tiflis) begann 1865. Kaiser Alexander II. und seine Nachfolger auf dem Thron ließen die Gleise beharrlich immer weiter nach Süden durch die Berge des Kaukasus legen, angetrieben von einem damals verrückt erscheinenden Traum – Russland und das ferne Persien durch einen direkten Landkorridor zu verbinden. Wie wichtig das Projekt war, zeigt die Tatsache, dass der Bau sogar während des Ersten Weltkriegs fortgesetzt wurde, und zur Zeit der Revolution von 1917 erreichte die Eisenbahnmagistrale Sotschi, durchquerte einen kleinen Winkel Armeniens, führte in die Türkei und erreichte fast Baku.

Nach der Revolution machten sich die Bolschewiki mit dreifachem Eifer an die Arbeit. Im Jahr 1925 wurde die Strecke bis zum armenischen Leninakan und dem georgischen Tskaltubo verlängert; 1940 kamen das ossetische Zchinwal und das abchasische Suchum hinzu, und die grandiosen Bauarbeiten endeten 1949 mit der Eröffnung des großen Bahnhofs Adler. Die Verbindung wurde in Transkaukasische Magistrale umbenannt. Von da an ging es jedoch bergab, und bis 1991 blieben die Bahnhöfe Leninakan in Armenien sowie Nachitschewan und Lenkoran in Aserbaidschan Endpunkte auf der Eisenbahnkarte.

Derzeit wird viel über die Annäherung zwischen Moskau und Peking gesprochen, ähnliche Prozesse mit dem Iran stehen zu Unrecht in ihrem Schatten. Im vergangenen Dezember brach im amerikanischen Bloomberg eine Hysterie darüber aus, dass Moskau und Teheran im Begriff waren, in kürzester Zeit mehrere Verkehrskorridore zu bauen, darunter eine Seeroute durch Astrachan und Dagestan zu den Häfen Astara, Enzel, Nowshera und Amirabad sowie die heute diskutierte Eisenbahnstrecke. Plötzlich stellte sich heraus, dass die Perser, die seit Langem unter den Sanktionen der USA und der übrigen demokratischen Welt stehen, im Rekordtempo eine Eisenbahnlinie nach Süden zu den Häfen von Bandar Abbas und Chabahar ziehen. Nach Abschluss der Bauarbeiten wird es möglich sein, von Russland aus Züge nicht erst nach Teheran, sondern direkt zum indischen Hafen Mumbai zu fahren, einem der größten Handels- und Logistikzentren in ganz Asien, das nach den Häfen von Kandla und Paradip, die jeweils mehr als hundert Millionen Tonnen Fracht pro Jahr umschlagen, an zweiter Stelle steht.

Deshalb kommt dem Bau des letzten, für Eisenbahnverhältnisse kurzen Streckenabschnitts eine so große Bedeutung zu, und der erste Spatenstich wird unter den wachsamen Augen der beiden Staatschefs vorgenommen.

Ein paar kaukasische Akzente müssen hier noch gesetzt werden.

Erstens ist das diplomatische Beharren Moskaus auf einer Vermittlerrolle zwischen Armenien und Aserbaidschan verständlich. Für den Kreml ist es von entscheidender Bedeutung, einen zuverlässigen Verkehrskorridor nach Asien aufzubauen, und dazu muss die Region, durch die der einzige Zweig verläuft, ruhig und stabil sein. Zweitens gibt es eine parallele Route durch Georgien, die bisher nicht genutzt wird. Natürlich ist Tiflis kein Verbündeter, aber es hat seit anderthalb Jahren keine Sanktionen gegen Russland verhängt, und kürzlich hat Wladimir Putin überraschend die direkten Flugverbindungen zwischen den beiden Ländern wieder freigegeben. Es ist bemerkenswert, dass Salome Surabischwili dies als Provokation bezeichnete, aber das Parlament ihre Meinung einfach ignoriert hat, sodass der georgische Transit ins türkische Erzurum ebenfalls in greifbarer Nähe ist, aber darüber ein anderes Mal mehr.

In die Liste der nicht zufälligen Zufälle gehört auch die Tatsache, dass der Handelsumsatz zwischen Russland und dem Iran im Jahr 2022 einen neuen historischen Rekordwert erreicht hat. Der russische Botschafter im Iran, Alexej Dedow, erklärte kürzlich, dass die Zahlen im Laufe des Jahres um 15 Prozent gestiegen seien und das Handelsvolumen nun 4,5 Milliarden Dollar übersteige. Russland liefert Produkte der anorganischen Chemie, Ausrüstung für die iranische Öl- und Gasindustrie und verschiedene Messinstrumente. In die andere Richtung gehen Lebensmittel, Baumaterialien, Kunststoffe und Eisenmetalle.

Der Gütertransport zwischen Russland und dem Iran nimmt bislang einen großen Umweg in Kauf: von den Ostseehäfen geht es über die Nordsee, vorbei an Frankreich, Spanien, durch das Mittelmeer und den Suezkanal. Um den bereits erwähnten Hafen von Mumbai zu erreichen, legen die Schiffe mehr als 14.000 Kilometer zurück, was durchschnittlich 40 Tage dauert. Sobald eine kurze, billige und direkte Route durch den Kaukasus und den Iran eröffnet ist, wird sich die Länge der Strecke auf dreitausend Kilometer reduzieren.

Wie man so schön sagt: Die Schiene ist kurz, aber wertvoll.

Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist am 18. Mai 2023 auf ria.ru erschienen.

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