Wie realistisch ist eine eigene BRICS-Währung?
Eine Analyse von Alexander Männer
Genau eine Woche vor dem Beginn der kürzlichen G7-Konferenz fand auf der internationalen Bühne ein weiteres Großereignis statt, das nicht weniger bedeutend für die Zukunft der Weltgemeinschaft gewesen sein könnte – das 14. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Vereinigung "BRICS".
BRICS, bestehend aus den Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, gilt derzeit als eine der bedeutendsten multilateralen Strukturen der Welt. Seine fünf Mitgliedsstaaten repräsentieren zusammen mehr als drei Milliarden Einwohner beziehungsweise über 42 Prozent der Erdbevölkerung, sie produzieren insgesamt mehr als ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung und betreiben zudem etwa 20 Prozent des globalen Handels.
Neue Leitwährung als Bestandteil einer multipolaren Welt
Angesichts dieser Tatsachen erheben die BRICS den Anspruch, als Gegenpol zur westlich dominierten Weltordnung die globale Entwicklung in großem Maße mitzubestimmen und das internationale System mitzugestalten, um eine neue, gerechtere, multipolare Welt zu schaffen. Dafür wollen die fünf Staaten vieles verändern. Auf politischer Ebene ist beispielsweise eine Reform der Vereinten Nationen zu nennen, die zu den Hauptanliegen der Vereinigung zählt.
Eine weitere Herausforderung stellt die Reform des US-dominierten Weltfinanzsystems, einschließlich seiner wichtigsten internationalen Institutionen, dem IWF und der Weltbank, dar. Ein Schlüsselaspekt in diesem Zusammenhang ist die Idee einer gemeinsamen BRICS-Währung und damit quasi die Schaffung einer vom US-Dollar unabhängigen Reservewährung, deren Umsetzung seit dem Jahr 2017 diskutiert wird und heute definitiv im Mittelpunkt der BRICS-Kooperation steht.
Nicht überraschend also, dass Russlands Präsident Wladimir Putin laut der Nachrichtenagentur TASS am Vortag des diesjährigen BRICS-Gipfels erklärte, die Partner arbeiten aktiv an der Umsetzung einer internationalen Reservewährung "auf der Grundlage eines Währungskorbs der BRICS-Mitgliedsländer".
Dass eine neue Leitwährung – in Anbetracht der US-Finanzhegemonie und der daraus resultierenden Abhängigkeit vom Dollar in der Welt – zumindest innerhalb der BRICS-Gruppe gefragt sein könnte, wurde spätestens in Folge des Wirtschaftskrieges des Westens gegen Russland offensichtlich. Insbesondere das Einfrieren von knapp 300 Milliarden Dollar russischer Währungsreserven durch US- und EU-Notenbanken verdeutlichte ein weiteres Mal die Mängel des bestehenden Finanzsystems und zeigte auch, dass sich ein solches Vorgehen theoretisch auch gegen weitere Staaten richten könnte. Zum Beispiel gegen China, dessen Beziehungen zu den USA nicht zuletzt wegen des geopolitischen Konkurrenzkampfs im Indopazifik und der damit verbundenen Taiwan-Krise enorm angespannt sind.
Die Frage lautet daher: Wie realistisch ist die Einführung einer BRICS-Währung?
Die Direktorin des Russischen Nationalen Komitees für BRICS-Forschung, Viktoria Panowa, hält den jetzigen Zeitpunkt für die Schaffung einer Reservewährung nach Angaben der russischen Zeitung Isvestija für geeignet, da "die Handlungen der USA … das Vertrauen der Welt in den Dollar untergraben haben". Die BRICS-Länder seien in der Lage, "eine grundlegende Entscheidung" zu treffen, die mittelfristig das gesamte globale Finanzsystem verändern könnte.
Denn ein BRICS-Währungssystem könnte, so Panowa, anderen Staaten die Gelegenheit bieten, "aus der Geiselhaft des Dollars herauszukommen" und ein vollwertiger Partner bei der "Bildung einer neuen Wirtschaftsordnung" zu werden. Wenn der Dollar nämlich die Märkte der BRICS-Länder verliere, "dann werde es mit dem bestehenden globalen Finanzsystem bald zu Ende sein". An dessen Stelle könne dann ein "neues, gerechteres und sichereres System" treten.
Herausforderungen für eine neue Reservewährung
Ungeachtet aller politischen Ankündigungen gibt es zu dem Vorhaben allerdings bislang nur wenige Details, wie etwa zu den Mechanismen, auf deren Grundlage es die neue Währung geben soll. Klar ist jedoch bereits jetzt, dass ihr Wert auf der Grundlage der fünf BRICS-Währungen – dem brasilianischen Real, dem russischen Rubel, der indischen Rupie, dem chinesischen Yuan und dem südafrikanischen Rand – bestimmt werden soll und dass die Währung offenbar als Alternative zum "Sonderziehungsrecht (SZR)" des IWF fungieren soll.
Das SZR ist allerdings selbst keine Währung, sondern ein Reserveguthaben und ein Anspruch auf frei verwendbare Währungen der IWF-Mitglieder. Diese Reserveguthaben werden auf IWF-Konten wie Buchkredite geführt und nicht auf den Devisenmärkten gehandelt.
Einige Experten sehen den Ansatz des "Währungskorbs" jedoch mit diversen Schwierigkeiten im Hinblick auf diejenigen Kriterien, die eine starke Währung ausmachen: Sicherheit, Rendite und Liquidität.
Wie Chris Turner, Berater des renommierten Finanzinstituts ING-Group und Leiter der Forschungsstelle Großbritannien & Zentral- und Osteuropa, anführt, habe die BRICS-Währung in puncto Sicherheit ein Problem bei der Kreditqualität. Die Kreditqualität wird anhand der Ausfallwahrscheinlichkeit und des erwarteten Verlustes erfasst. Dabei geht es im Grunde um den sogenannten Credit Default Swap (CDS) beziehungsweise die Kreditausfallversicherung für Staatsanleihen – ein Finanzderivat, das es Investoren ermöglicht, sich gegen die Insolvenz von Staaten abzusichern, indem zum Beispiel das mit einem Staat verbundene Kreditrisiko, das ein Anleger trägt, mit einem anderen Anleger getauscht oder ausgeglichen wird. Um das Ausfallrisiko zu minimieren, kauft der Kreditgeber CDS von einem anderen Anleger, der sich bereit erklärt, dem Kreditgeber im Falle eines Zahlungsausfalls des Kreditnehmers die Ausfallsumme zu erstatten.
Eben dieser Aspekt sei für die BRICS problematisch, meint Turner, da etwa ein einfacher Durchschnitt eines fünfjährigen Credit Default Swaps der BRICS-Währung mindestens zwanzigmal höher gehandelt würde als ein ähnlicher CDS-Durchschnitt für die SZR-Währungen.
Die schlechtere Kreditqualität soll der hauptsächliche Grund für die nicht gerade optimalen Aussichten bei der Rendite für die BRICS-Staatsanleihen sein, die als eine der wichtigsten Maßzahlen für den Erfolg einer Geldanlage gilt.
Was die Liquidität anbetrifft, so gibt es laut dem führenden Analysten der russischen Investitionsgruppe Finam, Alexander Potawin, noch offene Fragen, die "enorme personelle und finanzielle Kosten erfordern".
Eine "hundertprozentige Liquidität" setze zum einen die Möglichkeit voraus, die "neue Reservewährung" in allen seriösen Banken und Wechselstuben auf der Welt in Banknoten und Münzen jeder anderen Währung umzutauschen.
Zum anderen sollte man in der Lage sein, ein entsprechendes Depositkonto in jeder seriösen Bank der Welt anzulegen und die Währung dazu zu nutzen, um direkt beim Großhandel an den größten Rohstoffbörsen der Welt einzukaufen.
Schlussendlich kann konstatiert werden, dass mit einer zügigen finanztechnischen Umsetzung des Projekts einer neuen Leitwährung nicht zu rechnen ist, da zunächst noch eine Reihe schwieriger Fragen geklärt werden muss. Außerdem hängt der Erfolg dieses Prozesses auch davon ab, ob und in welchem Maße die BRICS-Staaten dazu bereit sein werden, wertvolle Devisenreserven in ein derart komplexes Unterfangen zu investieren.
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