"Ami go home!" – Publizist Stefan Baron fordert europäische Unabhängigkeit von den USA
von Tilo Gräser
Die gern als "Europa" bezeichnete Europäische Union (EU) müsse sich vom Gängelband der USA lösen, schreibt der renommierte Wirtschaftsjournalist Stefan Baron. In einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe des Schweizer Wochenmagazins Die Weltwoche betont er, nur so könne die EU als "größtes Friedenswerk der Weltgeschichte" Bestand haben und den äußeren und inneren Frieden bewahren.
Baron schreibt:
"Will Europa den äußeren und inneren Frieden, seinen Wohlstand und das europäische Integrationsprojekt bewahren, muss es sich von Amerikas Gängelband lösen."
Mit einem Goethe-Zitat warnt er vor der bereitwilligen Selbstversklavung Europas, wenn die EU dem US-Konfrontationskurs gegenüber China folgt.
"Der Kriegsgefahr, dem Wohlstandsverlust und Zerfall, denen es sich als Handlanger Washingtons aussetzt, kann es sich nur entziehen, indem es sich vom 'großen Bruder' emanzipiert und echte strategische Autonomie erlangt."
Interessen statt Werte
Der Journalist und Publizist hat unter anderem als Chefredakteur der Wirtschaftswoche gearbeitet und gilt als China-Experte. Kürzlich hat er das Buch "Ami go home! – Eine Neuvermessung der Welt" veröffentlicht. Darin beschäftigt er sich mit der fundamentalen Verschiebung der Geopolitik durch den Aufstieg Chinas.
In der Weltwoche erinnert Baron an die alte Erkenntnis, dass Außenpolitik immer Interessenpolitik ist. Aus seiner Sicht fielen die Interessen der USA und der EU jahrzehntelang zusammen, während sie jedoch in den letzten Jahren auseinanderdriften. Das habe geopolitische Gründe, stellt er fest und verweist darauf, dass die Prioritäten der US-Außenpolitik vom eurasischen Kontinent auf die Eindämmung Chinas verlegt wurden.
Vielleicht hat das damit zu tun, woran der renommierte Journalist erinnert: Die USA sind die erste und einzige Weltmacht der Geschichte, die nicht aus Eurasien kommt, und will zugleich verhindern, "dass eine andere Macht Eurasien dominiert". Baron zitiert dazu Halford Mackinder als den "Vater der Geopolitik" und den US-Strategen Zbigniew Brzeziński. Die USA scheinen sich ihrer Macht über den eurasischen Kontinent sicher zu sein.
Steigende Kriegsgefahr
Dass die US-Politik China ins Visier nimmt, gefährdet aus Sicht des Autors die Globalisierung und habe "eine Balkanisierung der Weltwirtschaft, schwere Wohlstandseinbußen sowie ein Scheitern im Kampf gegen den Klimawandel" zur Folge. Und er mahnt eindringlich:
"Zugleich wächst die Gefahr eines neuen kalten, wenn nicht heißen Krieges."
Das habe die Kluft zwischen den US-amerikanischen Interessen und denen der EU weiter aufgerissen. Letztere habe kein Interesse an einer Konfrontation mit China, weil sie keine Hegemoniestellung verteidigen müsse und keine imperialen Ambitionen hege. Die globale Mission der EU als "das größte Friedenswerk der Weltgeschichte" könne "nur die einer Friedensmacht sein – wozu auch eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz zählt".
Baron setzt auf eine strikt an den eigenen Interessen orientierte Politik gegenüber China. Als Vorbild sieht er die einstige Ostpolitik des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt. So könnten neue Wachstumspotenziale erschlossen werden, zum Beispiel durch eine Kooperation beim Entwicklungsprojekt "Neue Seidenstraße". Zugleich widerspricht der Journalist deutlich den US-amerikanischen Aufforderungen an die EU, "als Hilfssheriff an seiner Seite gegen China ins Feld zu ziehen, stärker aufzurüsten und ihm einen größeren Teil der Hegemoniallasten abzunehmen".
Hilfe zur Selbsthilfe
Er warnt davor, Washingtons Appellen bereitwillig zu folgen, denn dadurch würde sich "nur Amerikas Konfliktbereitschaft gegenüber China verstärken und seinen eigenen Interessen schaden". Notwendig sei es, dass sich die USA von der Hegemonialpolitik verabschieden. Das sei "für die Menschheit insgesamt" wie auch für die USA selbst besser. Dazu müsse die Macht geteilt sowie eine multipolare Weltordnung und eine friedliche Koexistenz verschiedener politischer Systeme akzeptiert werden.
Wenn sich die EU emanzipieren würde, wäre das laut Baron nicht das Ende der "transatlantischen Partnerschaft". Das bedeute "nur echte Partnerschaft, bei der die Partner deren Umfang frei wählen können und sich auf Augenhöhe begegnen" würden. Die europäischen Partner sollten den USA statt blinder Gefolgschaft "eine ebenso konsequente wie wohlmeinende Haltung" entgegenbringen: Die könne der bisherigen führenden Weltmacht helfen, "sich selbst zu helfen, sprich: sich zu ändern".
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