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USA-Besuch von Selenskij: Dominosteine, gute "Hurensöhne" und strategisches Schweigen

Raus aus der afghanischen Bratpfanne und rein ins ukrainische Fegefeuer? Die Architekten des US-Imperiums haben einen neuen Bauern, um ihr apokalyptisches Schachspiel im Gang zu halten.
USA-Besuch von Selenskij: Dominosteine, gute "Hurensöhne" und strategisches SchweigenQuelle: Reuters © Jonathan Ernst

von Tarik Cyril Amar

Die Reise des ukrainischen Präsidenten nach Washington hat die "Russland-Beobachter" des Westens in Scharen an die Schreibmaschinen und in die Kommentarspalten getrieben. Unter ihnen ist Michael McFaul, ein ehemaliger US-Botschafter in Moskau, der sich inzwischen zu einem produktiven, wenn auch unzuverlässigen Kommentator entwickelt hat.

In seinem neuesten Kommentar in der Washington Post machte McFaul deutlich, dass er das Treffen von Wladimir Selenskij mit Präsident Joe Biden als einen lauten Startschuss ansieht, und appelliert an die US-Regierung und die Öffentlichkeit, sich unterstützend hinter die Ukraine zu stellen. Aber wie in den Werken des Stanford-Professors üblich, ist Kiew eigentlich nur eine Ausrede, eigentlich auf einen bloßen Vorwand reduziert.

In Wirklichkeit hat McFaul eine viel größere Axt zu schleifen, nämlich mit Russland (und damit die Runde komplett ist, auch gleich mit Weißrussland und China). In einer Wiederbelebung des Kalten Krieges möchte der ehemalige – und etwas unglückliche und zu diplomatischen Fehltritten neigende – Diplomat, dass wir an drei wesentliche Dinge glauben: Dominosteine, gute "Hurensöhne" und strategisches Schweigen.

Wenn es um Dominosteine geht, ist McFaul lobenswert explizit. Entweder bekommt die Ukraine von Washington die Unterstützung, die sie will, und das Land hat dann Erfolg, oder fiese Autokraten von Moskau bis Peking werden "ermutigt". Wenn Kiew fällt, geht die westliche Zivilisation mit unter. Hier ergibt sich jedoch eine schlimme unlogische Schlussfolgerung, wie gerade einige Leute in Kabul herausgefunden haben, aber egal.

Man fragt sich aber, was er genau meint. Vielleicht wäre "ermutigt" ein besserer Begriff für die aktuelle Stimmungslage der Taliban? Immerhin haben sie die USA nicht nur komplett besiegt, was die Moral stärken muss, sondern Washington hat ihnen auch ein hervorragendes Waffenarsenal sowie Experten und Offiziere hinterlassen, die, wenn die Taliban sie nicht ermorden, perfekte Kandidaten sind, um in ihre Dienste gezwungen zu werden.

Aber das spielt für McFaul alles keine Rolle. Machen wir uns lieber Sorgen darüber, dass Russland, China und der jüngste Horror des Westens, Weißrussland – ein mittelgroßes europäisches Land, das, seien wir ehrlich, nur für sich selbst eine Bedrohung darstellt – "ermutigt" werden könnten.

Dies ist, das muss man deutlich hervorheben, ein Klassiker der Unlogik des Kalten Krieges, der einen Staat in eine bestimmte strategische Vorwärtsposition stellt (oder besser hinfantasiert), von der ein ganzes globales oder zumindest regionales Ergebnis abhängen soll. Es hat ja bekanntlich Wunder bewirkt für diejenigen, die anfänglich von dieser Haltung des Nicht-Denkens "profitierten", von Laos bis Vietnam, um nur zwei zu nennen. Und – welche Ironie! – die Dominotheorie verursachte zwar immenses Leid, war aber auch für sich genommen völlig sinnlos. Denn – und das wurde bewiesen, auch wenn McFaul es nicht bemerkt hat oder sich nicht erinnern will – sie hat nie funktioniert. Vietnam ist "gefallen", und doch hat der Westen den Kalten Krieg gewonnen, die Sowjets sind weg.

Aber für McFaul ist der Kalte Krieg, mehr als 30 Jahre nach seinem Ende, keine reale Geschichte. Er ist ein Hollywood-Mythos von Guten, die mitten in Deutschland für die "Freiheit" einstehen. Und wenn man keine Geschichte sieht, kann man natürlich auch nichts daraus lernen.

Aus seiner Sicht könnte Selenskij mit Problemen zu kämpfen haben, räumt McFaul ein. Aber wenn er ein "Hurensohn" ist, ist er zumindest "unser Hurensohn". Die USA sollten die Korruption in der Ukraine nicht zu eng sehen, empfiehlt er. In seiner konsequenten Ausrichtung auf einen kleinen Teil der Welt scheint der Politologe nicht nur kein historisches Gedächtnis zu haben, sondern auch nicht in der Lage zu sein, über Kontinente hinweg Assoziationen aufzubauen. Sonst wäre ihm vielleicht eingefallen, dass Korruption gerade bei der großen Niederlage von Kabul eine große Rolle gespielt hat und zum schlimmsten US-Debakel nach dem Kalten Krieg geworden ist. Eine großartige Idee, dies bewusst herunterzuspielen! Das mit der Korruption hat beim letzten Mal so gut geendet, das es schwer ist, sich daran zu erinnern, denn es geschah – vor wenigen Tagen.

Es wird noch besser. Wenn Korruption in höflichen Neo-Kalter-Kriegs-Gesellschaften nicht mehr so oft erwähnt werden sollte, ist McFaul bereit, einen Ersatz anzubieten: Reden wir stattdessen mehr über Demokratie! Das klingt ansprechend, auch wenn es sich immer ein bisschen komisch anhört, wenn Demokratie von jemanden zur Sprache gebracht wird, der zur oberen Intelligenzija der US-Oligarchie gehört.

Die größere Kuriosität an McFauls Vorstellung von Demokratie ist, dass sie klassische Inhalte aus der, wie wir es heute nennen, "Spielanleitung des Autoritarismus" beinhaltet. McFaul lobt Selenskij dafür, dass er Medien verbieten lässt, die der politischen Opposition nahestehen. Er scheint auch glücklich darüber zu sein, dass Kiew auf den wichtigsten gewählten Oppositionsführer Wiktor Medwedtschuk, der die Annäherung an Russland unterstützt, nicht mit politischen, sondern mit pseudolegalen Mitteln einschlägt. Für den Demokratieexperten aus Stanford ist ein solches Verhalten lobenswert "energisch".

Sein Ansatz ist nicht nur verwirrend, sondern auch unehrlich. McFaul blendet einfach aus, dass Selenskij inzwischen mithilfe eines undurchsichtigen, vom Sicherheitsdienst getriebenen Verfahren im Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine, auch noch ein weiteres Top-Medienunternehmen schließen ließ, strana.ua – glücklicherweise mit nur sehr begrenztem Erfolg. Selbst die OSZE hat im Gegensatz zu McFaul bemerkt, dass in der Ukraine etwas nicht stimmt.

Aber kein Wunder, dass der ehemalige Botschafter genau bei diesem Thema besonders schlampig ist. Denn dieser Fall ist so ungeheuerlich, dass selbst der eifrigste "Demokratie"-Experte, der dem Kalten Krieg nachtrauert, Schwierigkeiten hätte, sich so weit zu verbiegen, dass er diese Vorgänge offen verteidigen kann. Wenden wir also Trick Nummer drei des Kalten Krieges an: strategisches Schweigen. Wenn man Vorgänge nicht beeinflussen kann und das Verhalten des Lieblings-"Hurensohns" so peinlich wird, dass es schwer ist, es zu rechtfertigen, dann tut man einfach so, als wäre nichts vorgefallen.

Wenn McFaul wirklich an der Demokratie in der Ukraine interessiert wäre und nicht nur daran, dieses Land auf dem großen alten strategischen Schachbrett zu mobilisieren und zu nutzen – ein Schachbrett, dass Hobby-Geopolitiker seiner Art immer schon sehr geliebt haben –, hätte er seine Kommentarspalten dazu verwendet, um Selenskij zu ermahnen, seine autoritären Tendenzen zu zügeln. Aber stattdessen fördert dieser "Freund" von Kiew nur die schlimmsten Tendenzen bei jemandem, den die USA als Wundermann der Ukraine zu betrachten scheinen.

Und natürlich ermutigt McFaul damit auch alle in den USA, die glauben, dass der Grad der Kontrolle und Gleichschaltung der Konzernmedien im eigenen Land noch nicht hoch genug ist. Wenn man im Ausland für Autoritarismus wirbt, kann dies letztendlich im eigenen Hinterhof nach hinten losgehen.

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Übersetzung aus dem Englischen.

Tarik Cyril Amar Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Er twittert unter @tarikcyrilamar.

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