International

Aufgebauschte Statistiken – Wie die EU angebliche russische Desinformation findet

Die East StratCom Task Force behauptet in einem Bericht, Deutschland sei das Ziel einer intensiven russischen Kampagne. Über 700 Fälle von Falschinformation will die Arbeitsgruppe zusammengetragen haben. Doch die Datenlage ist oft sehr widersprüchlich.

Deutschland sei das Ziel einer systematischen Kampagne russischer Desinformation. Dies ist das Ergebnis eines Berichts der East StratCom Task Force. 2015 wurde die Gruppe von der EU ins Leben gerufen, um "die laufenden Desinformationskampagnen der Russischen Föderation, die sich gegen die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und Länder in der gemeinsamen Nachbarschaft richten, besser vorhersagen, angehen und darauf reagieren zu können".

Über ihre Webseite EUvsDisinfo soll sie Fälle von russischer Desinformation über Europa dokumentieren und publik machen. In einem kürzlich erschienenen Artikel mit dem Titel "Vilifying Germany; Wooing Germany" (zu Deutsch: "Deutschland verunglimpfen; Deutschland umwerben") behauptet die Arbeitsgruppe, Russland führe eine systematische Kampagne gegen Deutschland. "Überraschen tut es uns nicht", kommentierte Bundesaußenminister Heiko Maas den Bericht. Die Angriffe zielten darauf ab, das Vertrauen in demokratische Institutionen und in die Demokratie insgesamt auszuhöhlen. So steht dort beispielsweise geschrieben:

"Der Kreml schafft ein mentales Bild von einem Deutschland, in dem ein paar vernünftige Stimmen inmitten eines Chors irrationaler 'Russophobie' zu hören sind." 

Fundament des Berichts: 700 dokumentierte Fälle russischer Desinformation seit 2015. Damit ist Deutschland Spitzenreiter verglichen mit Frankreich (300+ Fälle) oder Italien (170+) – eine imposante Zahl, seit fünf Jahren etwa alle drei Tage eine Falschnachricht. EUvdDisinfo stellt außerdem eine Datenbank zur Verfügung, in der jeder Fall nachverfolgt werden kann. Alles transparent, alles offen? Eigentlich schon, doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Datenlage als durchaus widersprüchlich.

Alles kann Falschinformation sein

Bei genauer Betrachtung merkt man schnell: Die Datenbank sammelt jeden noch so kleinen Schnipsel an Falschinformation auf, die sich vermeintlich auf Deutschland bezieht. Dabei geht sie mit dem Label "Information" aber recht großzügig um. Es wird zum Beispiel nicht differenziert zwischen einem journalistischen Artikel und einem Kommentar oder einem Zitat. So werden zum Beispiel Äußerungen von Politikern, Politologen und anderen Stimmen wie eine Nachricht kategorisiert. Ganz lauter ist das nicht.

Folgender Artikel war den EUvsDisinfo-Redakteuren ein Dorn im Auge: "Lawrow: Berlin geht auf Eindämmungskurs gegenüber Russland – doch die Spannungen lassen sich abbauen." Es handelt sich um einen Beitrag über Lawrows Äußerungen. Auf der Seite der Desinformationsexperten fällt der Urheber der Nachricht weg. Etwa 20 Prozent der "Fälle" gehen auf solche Einordnungsfehler zurück. Dabei kann man die Bewertung Lawrows natürlich für falsch halten, aber eine Falschnachricht ist sie per se nicht.

Mehr zum Thema - Pressefreiheit mal anders – Wie die Deutsche Welle "russischer Propaganda" Paroli bietet

EUvsDisinfo beschränkt sich aber auch nicht auf die Anzeige vermeintlicher "Falschinformation", sondern bietet eine scheinbar objektive "Widerlegung" an. Im Falle des NATO-Manövers Defender-Europe 20 fiel in einem Interview mit dem Politologen Alexander Rahr die Bemerkung, das Manöver sei gegen Russland gerichtet. EUvsDisinfo "widerlegt" die Behauptung nicht etwa mit Äußerungen neutraler Experten, sondern mit einer Pressemitteilung des Vizekommandierenden der US-Streitkräfte in Europa. Argumentativ völlig wertlos.

Eine weitere, von der Arbeitsgruppe als "gegen Deutschland gerichtet" identifizierte Falschmeldung lautet: "Der Papst steht im Dienst des Kampfes der Globalisten gegen weiße Christen." Wirft man einen Blick auf den Text, so findet man einen Verweis auf das Paul-Ehrlich-Institut. Der Artikel beschäftigt sich, wie der Titel es bereits andeutet, mit dem Papst. Von Deutschland ist ansonsten nicht die Rede.

Verzerrte Aussagen

Eine eher zum Staunen geeignete Falschinformation: "Russland hat den ersten COVID-Impfstoff entwickelt, daher ist die russische Einschätzung von Nawalnys Gesundheit richtig." Das soll der russische Botschafter in Frankreich gesagt haben. Der exakte Satz lautet: "Russlands Analyse- und Testabteilungen sind sehr kompetent. Es ist kein Zufall, dass Sputnik V, der erste Impfstoff gegen COVID-19, in Russland entstanden ist." Das ist natürlich eine selbstbewusste Aussage über die Fähigkeiten russischer Einrichtungen, aber die kausale Verbindung, wie EUvsDisinfo sie darstellt, ist so nicht getroffen worden – eine mutwillig negative Interpretation.

Letztes Beispiel: "Sanktionen gegen Russland sind unwirksam". EUvsDisinfo bezieht sich auf ein Interview mit dem AfD-Politiker Armin-Paul Hampel. Dieser spricht tatsächlich von 90 bis 120 Milliarden Euro Schaden für Deutschland. Hier schwanken die Einschätzungen: EUvsDisinfo verweist auf einen Bericht, der den Schaden auf 14 Milliarden im Zeitraum von 2014 bis 2016 beziffert. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) ging 2015 von einem mittelfristigen Verlust von 27 Milliarden aus. Nur: Hampels Zitat bezog sich überhaupt nicht auf den wirtschaftlichen Schaden, mag er ihn auch zu hoch eingeschätzt haben. In voller Länger lautet die Aussage: "Eine Sanktionspolitik hat nie ihre Ziele erreicht. Sie hat nie geschafft, den politischen Gegner zu irgendwelchen Handlungen zu zwingen. Von daher waren die Sanktionen von Anfang an Blödsinn und falsch." Eindeutig bezieht sich Hampel auf politischen Zwang und nicht auf wirtschaftliche Auswirkungen. Eine Verwechslung aufgrund textlicher Nähe ist auch auszuschließen. Hier ist die Falschinformation aufgrund einer bewussten Verzerrung des Textes entstanden.

Ein Überblick über die Arbeit der angeblichen Propagandajäger fällt schwer. Bei oberflächlicher Betrachtung zeigen sich jedoch methodische Mängel, die belegen, dass es sich bei EUvsDisinfo nicht bloß um einen "Faktenchecker" handelt, wie es in letzter Zeit in Mode gekommen ist. Die Arbeitsgruppe arbeitet selbst unsauber und stellenweise tendenziell. Auch Bewertungen von Politikern und politischen Kommentatoren sind "Nachrichten" und werden auch so behandelt. Etwa 20 Prozent der Falschinformationen sind auf diese Weise entstanden. Der folgende "Faktencheck" zieht oft nur Regierungs- und EU-Quellen zu Rate. Eigenleistung oder Verweis auf objektive dritte Instanzen? Fehlanzeige.

Die Mission der Taskforce ist, "auf die laufenden Desinformationskampagnen der Russischen Föderation zu reagieren". Von Objektivität war schließlich nie die Rede.

Mehr zum Thema - Parfümierter Schmutz verkleidet als Journalismus - Details über die Bild-"Ermittlung"

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.