Julia Nawalnaja, die Frau des prominenten inhaftierten russischen Politbloggers Alexei Nawalny, ist aus Russland nach Deutschland geflogen, wie die Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch unter Berufung auf eine Quelle berichtete. Während vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie allgemeine Reisebeschränkungen gelten, reiste Nawalnaja demnach am Mittwoch vom Moskauer Flughafen Domodedowo nach Frankfurt am Main. Spiegel hat die Landung von Julia Nawalnaja mit Verweis auf eigene Informationen inzwischen bestätigt. Ob es sich um eine Flucht oder einen privaten Deutschlandbesuch handelt, ist bislang nicht klar.
Alexei Nawalny war in Russland verhaftet worden, nachdem er mit seiner Frau am 17. Januar aus Deutschland zurückgekehrt war. Am 2. Februar wandelte das Gericht seine Bewährungsstrafe im Fall "Yves Rocher" in 3,5 Jahre in einer Strafkolonie um.
Am 23. und 31. Januar sowie am 2. Februar fanden in mehreren russischen Städten nicht genehmigte Kundgebungen zur Unterstützung Nawalnys statt. Julia Nawalnaja hatte am 23. Januar ebenfalls an einer Kundgebung der Opposition in Moskau teilgenommen. Sie wurde inhaftiert, und am 1. Februar verurteilte sie ein Gericht zu einer Geldstrafe von 20.000 Rubel (etwas mehr als 223 Euro) wegen ihrer Teilnahme an einer nicht genehmigten Kundgebung, die demnach zu Beeinträchtigungen von Fußgängern und des Verkehrs führte.
Unternehmensvereinigung gegen weißrussisches Szenario
Derweil wurde der Duma und dem Föderationsrat eine Gesetzesänderung nahegelegt, wodurch als ausländische Agenten anerkannten Personen sowie deren nahen Verwandten die Teilnahme an Wahlen auf jeder Ebene in Russland verboten werden könnte. Den Appell brachte Rachman Jansukow, der Präsident der Vereinigung der Unternehmer für die Entwicklung des Geschäftspatriotismus Aavanti, vor. Laut Jansukow würde dies verhindern, dass Frau Nawalnaja 2021 für die Duma kandidiert. In einer Erklärung verwies die Vereinigung der Geschäftspatrioten Avanti auf die Gefahr der Wiederholung eines weißrussischen Szenarios in Russland. Darin hieß es:
"Wie Sie wissen, ist es leichter, ein Feuer zu verhindern, als es zu löschen. Die Verhinderung der möglichen Teilnahme von Julia Nawalnaja, der Gattin des ausländischen Agenten Alexei Nawalny, an den Wahlen zur Staatsduma wird das belarussische Szenario verhindern und sich positiv auf die Aufrechterhaltung der Stabilität des politischen Systems unseres Landes auswirken."
In Weißrussland übernahm 2020 nach der Inhaftierung des Bloggers Sergei Tichanowski dessen Frau, Swetlana Tichanowskaja, die Zügel. Nach der von ihr angefochtenen Wahl kam es im ganzen Land zu Unruhen und Protesten, wobei die Demonstranten die Annullierung der Wahl forderten. Tichanowskaja zählte ebenfalls auf die Unterstützung Deutschlands.
Der Vorsitzende der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, sprach sich für den Vorschlag der Avanti-Vereinigung aus. "Die Initiative selbst ist noch nicht in der Staatsduma angekommen. Wir wissen von ihr aus Medienberichten", sagte er. "Wir teilen die Position, dass Personen, die von anderen Regierungen engagiert werden, nicht an Wahlen teilnehmen dürfen." Auch der Fraktionsvorsitzende von "Einiges Russland" in der Duma, Sergei Newerow, unterstützte ein Verbot der Teilnahme von "ausländischen Agenten" an Wahlen in Russland.
Nicht "Oppositionelle" – Es sind NATO-Agenten
Am Dienstag hatte das russische Außenministerium klargestellt, dass Mitarbeiter von Alexei Nawalny nicht als "Opposition" oder herkömmliche politische Figuren beschrieben werden sollten, sondern eher als Agenten der NATO. "Wir sollten aufhören, sie als Opposition zu bezeichnen. Die Opposition ist etwas anderes," sagte die Sprecherin des Außenamtes, Maria Sacharowa, am Donnerstag im russischen TV. "Sie sind Einfluss-Agenten, und ich werde es Ihnen jetzt beweisen."
Sacharowa erinnerte daran, wie der wichtige Nawalny-Verbündete Leonid Wolkow in der vergangenen Woche verriet, dass sie im Winter keine Demonstrationen mehr abhalten würden und planten, bis zum Frühling und Sommer zu warten. Dann, am Dienstagmorgen, verkündete der in Litauen lebende Wolkow einen Sinneswandel und schlug eine andere Form des Protestes vor. Sacharowa dazu:
"Was ist zwischen dem 4. und 9. Februar passiert? Es ist trivial, einfach und unglücklich. Wolkow und [Wladimir] Aschurkow [ein weiterer enger Verbündeter Nawalnys, der in Großbritannien lebt] hatten gestern ein Online-Treffen mit der Ständigen Vertretung Polens bei der EU, an dem auch andere EU-Mitgliedsstaaten sowie die Vereinigten Staaten und Großbritannien teilnahmen."
"Eine kleine Nuance", fügte Sacharowa hinzu. "Dieses Format – die EU-Länder, plus die USA, plus Großbritannien – ist nicht die EU, es ist die NATO." Wie Sacharowa darlegte, waren es diese Länder, die Wolkow rieten, dass sie nicht bis zum Frühling warten sollen und die Proteste sofort weitergehen müssen. "Egal, wie Sie es vertuschen, egal, wie Sie es nennen, dies ist ein Treffen mit Einfluss-Agenten, um die Situation in einem souveränen Staat zu destabilisieren." Im Gespräch mit Vesti FM am gleichen Tag bezeichnete die Sprecherin die beiden Nawalny-Verbündeten als "Verräter".
Wolkow hatte per Telegram enthüllt, dass er und Aschurkow der EU Sanktionen gegen einige ausgewählte Russen vorgeschlagen hatten. Bei seinem Besuch in Moskau hatte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell jedoch betont, dass seitens der EU wegen des Umgangs mit Nawalny und den Protesten keine weiteren Sanktionen vorgesehen seien. Nach Ansicht des Nawalny-Verbündeten Wolkow wären die von ihm vorgeschlagenen, gezielten Maßnahmen keine "Sanktionen gegen Russland", sondern "Sanktionen gegen Geldgeber und Propagandisten". "Das sind Sanktionen – im Namen Russlands, in seinem Interesse", schrieb Wolkow.
Auch Nawalny selbst hatte sich gegenüber dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments für gezielte Sanktionen gegen einzelne Russen ausgesprochen. Die in diesem Jahr anstehenden Wahlen für das Unterhaus des russischen Parlaments solle die EU nicht anerkennen, wenn Kandidaten ausgeschlossen werden.
Laut Kremlsprecher Dmitri Peskow zeige der Fokus auf Nawalny und dessen Verbündeten auf ausländischen Druck, um Forderungen wie seine Freilassung aus dem Gefängnis zu erwirken, dass er es verdiene, als ausländischer Agent bezeichnet zu werden.
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