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"Drastischer Rückgang" deutscher Rüstungsexporte - Pazifismus ist nicht der Grund

Zwar erteilte die Bundesregierung im ersten Halbjahr 2018 weniger Genehmigungen für Rüstungsexporte als im Vorjahr, jedoch ist dies eher auf die langwierige Regierungsbildung als auf geänderte Überzeugungen zurückzuführen. Auch hat sich die Bedarfslage teils geändert.
"Drastischer Rückgang" deutscher Rüstungsexporte - Pazifismus ist nicht der GrundQuelle: www.globallookpress.com

Aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums (BMWI) auf eine Anfrage der Grünen ging hervor, dass die Bundesregierung zwischen Januar und Juni Exporte im Wert von 2,57 Milliarden Euro genehmigte – das ist fast ein Drittel weniger als im Vorjahreszeitraum, als es noch 3,5 Milliarden Euro waren. 

Rückgang wegen Hängepartie durch lange Regierungsbildung

Dieser starke Rückgang sei weniger auf den Vorsatz einer "zurückhaltenden und verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik", die sich das BMWI gern auf die Fahnen schreibt, zurückzuführen, als vielmehr hauptsächlich auf die monatelange Hängepartie bei der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres.

Die Rüstungsindustrie hatte sich in der halbjährigen Übergangszeit zwischen der Bundestagswahl im September 2017 und der Vereidigung des neuen Kabinetts am 14. März 2018 bereits über die schleppende Bearbeitung von Anträgen beklagt.

Seitdem die Regierung im Amt war, schnellten die Genehmigungen folglich erneut in die Höhe. Allerdings seien die Ausfuhren in die Türkei und nach Saudi-Arabien fast ganz gestoppt worden, so die Deutsche Presse Agentur. 

Für den NATO-Partner Türkei erteilte die neue Regierung somit seit dem 14. März nur noch fünf Genehmigungen mit einem Wert von zusammen 418.279 Euro, weitaus weniger als in dem deutlich kürzeren Zeitraum zwischen dem 1. Januar und 13. März 2018, als noch 34 Exportgenehmigungen für die Türkei im Wert von 9,7 Millionen Euro erteilt wurden. Im gesamten vergangenen Jahr belief sich die Summe für 138 Positionen auf 34,2 Millionen Euro.

Zwar hatte der Einsatz deutscher "Leopard"-Panzer bei der türkischen Offensive in der nordsyrischen Region Afrin für viel öffentliche Kritik gesorgt. Auch die Spannungen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 werden dafür verantwortlich gemacht. Doch der Rückgang der Rüstungsexporte an die Türkei könnte unter anderem vor allem auf eine veränderte Nachfrage zurückzuführen sein, da das Land nun selbst zunehmend exportiert, auch nach Deutschland.

So stiegen die Exporte der türkischen Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie um fast 14 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres und erreichten in der ersten Hälfte dieses Jahres bereits über 900 Millionen Dollar.

Mit einem Zuwachs von 10 Prozent auf rund 116,9 Mio. US-Dollar im Zeitraum Januar-Juni erreichte Deutschland den zweiten Platz unter den Top-Exportzielen für die Verteidigungs- und Luftfahrtindustrie", hieß es in der Zeitung Daily Sabah vom 2. Juli.

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2,137 Milliarden Euro der Ausfuhren entfielen auf "sonstige Rüstungsgüter", rund 0,435 Milliarden Euro auf Kriegswaffen. Kleinwaffen und Kleinwaffenteile wurden im Wert von 15 Millionen Euro exportiert.

Weiterhin Entwicklungsländer als Hauptempfänger

An der Spitze der Empfängerländer steht weiterhin, wie im ersten Halbjahr 2017, Algerien, mit Ausfuhren im Wert von rund 643 Millionen Euro. Von den Exporten in die 15 wichtigsten Empfängerstaaten gingen 52 Prozent in Länder außerhalb der NATO. 

Das Volumen der Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte in Entwicklungsländer hatte sich im vergangenen Jahr verdoppelt, wie eine Antwort auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Sevim Dağdelen im Februar ergab. Die Abgeordnete sprach von einer "moralischen Bankrotterklärung, dass die Bundesregierung nach den ohnehin schon hohen Exportzahlen des Vorjahres die Rüstungsexporte in Entwicklungsländer 2017 verdoppelt hat".

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Noch heikler sind die Exportbeschränkungen für Saudi-Arabien.

Von den Exportanträgen für Saudi-Arabien bewilligte die neue Regierung nur noch einen einzigen über 28.563 Euro. In den ersten zehn Wochen des Jahres waren es noch vier Rüstungsgeschäfte über 161,8 Millionen Euro.

Im vergangenen Herbst hat die Golfmonarchie ihren Botschafter aus Berlin abgezogen, weil der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ihr "Abenteurertum" vorgeworfen hatte. Das Königshaus in Riad ist aber auch über die kritische Haltung der Bundesregierung zur Intervention Saudi-Arabiens im Jemen verärgert. Riad führt eine Allianz von acht Ländern an, die seit dem Jahr 2015 in Jemen, dem ärmsten Staat der arabischen Halbinsel, kämpft und vor allem durch Luftangriffe immer wieder zahlreiche weitere Zivilisten auf dem Gewissen hat.

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Vorsätze der Koalition und Umsetzung

Union und SPD hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf einen Stopp der Rüstungsexporte für alle Länder verständigt, die "unmittelbar" an diesem Krieg beteiligt sind. Benannt wurden diese Länder allerdings nicht. 

Für die acht beteiligten Staaten wurde in den ersten 15 Wochen nach der Vereidigung der neuen Regierung neben dem einen Export nach Saudi-Arabien nur noch ein weiterer nach Jordanien für 150.000 Euro genehmigt. Für die sechs anderen Länder Ägypten, Bahrain, Kuwait Marokko, Vereinigte Arabische Emirate und Senegal gab es keine Export-Bewilligungen mehr. Im vergangenen Jahr hatte der Gesamtwert der Ausfuhrgenehmigungen für die acht Länder noch rund 1,3 Milliarden Euro betragen.

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Kurz vor der Vereidigung der neuen Regierung genehmigte das alte Kabinett noch den Export von acht Patrouillenbooten für einen dreistelligen Millionenbetrag nach Saudi-Arabien.

Der Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich nannte das "skandalös", da die Regierung zu diesem Zeitpunkt nur noch geschäftsführend im Amt war. 

Auch der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour zeigte sich enttäuscht, dass die Bundesregierung nicht früher gehandelt hat.

Afrin ist von der türkischen Armee erobert, Jemen von Saudi-Arabien längst in die Steinzeit gebombt. Da kommt der Rüstungsexportestopp der großen Koalition extrem spät - für die zahlreichen zivilen Opfer zu spät.

Die Grünen-Rüstungsexpertin Katja Keul äußerte sich skeptisch, dass es eine Trendwende gibt.

Es ist albern, sich jetzt damit zu brüsten, die Ausfuhrgenehmigungen an Saudi-Arabien zurückgefahren zu haben", sagte sie der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag). "Der Grundsatz, dass Rüstungsgüter grundsätzlich nicht in Drittstaaten außerhalb von NATO und EU exportiert werden sollen, muss wieder die Regel werden", forderte Keul.

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Dass die stark umstrittenen Rüstungsexporte mit der kriegführenden Golfmonarchie zurückgegangen sind, war zudem absehbar. Bereits im vergangenen Jahr hatte der saudische Vize-Wirtschaftsminister Mohammad al-Tuwaijri nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, das Königreich wolle künftig nicht mehr offiziell Waffenlieferungen aus Deutschland beantragen:

Wir akzeptieren die deutsche Zurückhaltung, was Exporte nach Saudi-Arabien angeht, wir kennen die politischen Hintergründe.

Saudi-Arabien wolle, so al-Tuwaijri, statt der Käufe in Deutschland nun

eine eigene Rüstungsindustrie aufbauen, natürlich mit dem Know-how ausländischer Firmen. Daran kann sich jeder beteiligen, auch Deutschland.

Und so wurde denn auch folgerichtig der ehemalige Geschäftsführer der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall, Andreas Schwer, Vorstandsvorsitzender des staatlichen saudischen Rüstungskonzerns SAMI (Saudi Arabian Military Industries).

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